Konzept der Bundesregierung Woran es bei der China-Strategie hakt
Mehr Unabhängigkeit, mehr Wirtschaftssicherheit und Relevanz von Menschenrechten - nicht nur in Lieferketten: Eigentlich sollte die China-Strategie der Ampel längst vorliegen. Wo liegt das Problem?
Es ist still geworden um ein großes Vorhaben der Ampelkoalition - und vor allem um die Frage, wann es denn mal fertig wird: Die China-Strategie, die inmitten schwieriger Zeiten das Verhältnis zu China neu definieren will. Alle Zeitpläne dazu sind schon lange hinfällig, auch für die vorgelagerte Nationale Sicherheitsstrategie.
Die Frage ist, ob die China-Strategie noch vor den vom Bundeskanzler angesetzten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen am 20. Juni in Berlin kommt.
Erst Sicherheits-, dann China-Strategie
Danach sieht es nach Informationen von tagesschau.de nicht aus. Denn für Juni ist dem Vernehmen nach nun erstmal die Finalisierung der Nationalen Sicherheitsstrategie geplant, die sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet. Allein dieses Projekt ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, das bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben war. Ziel ist es, einen neuen, breiteren Sicherheitsbegriff festzuschreiben, der innere und äußere Sicherheit, aber auch interdisziplinär verschiedene Ressorts, Datenschutz und Cybersicherheit verbindet.
Erst wenn die große Sicherheitsstrategie in der Ampelkoalition geeint ist, wird dort die Feinabstimmung zur China-Strategie vollendet. Inzwischen läuft dies alles unter höchster Geheimhaltungsstufe im Regierungsviertel, Schriftstücke werden per Boten auf Papier und nicht elektronisch ausgetauscht - nachdem ein erster Entwurf aus dem Auswärtigen Amt im Herbst etwa den Weg in die Medien fand.
"De-Risking" statt "Decoupling"
Doch ist es keineswegs so, dass man sich in der Koalition aus SPD, Grünen und FDP über die China-Frage noch derart streitet, dass dies die Nationale Sicherheitsstrategie blockiert. Andere Themen seien viel strittiger, heißt es in Regierungskreisen. Viel Zeit hat auch das Gerangel um einen Nationalen Sicherheitsrat gekostet, der die Strategie begleiten sollte. Er war von der FDP wie auch der Oppositionsführerin Union sehr erwünscht. Das Gremium ist inzwischen vom Tisch.
Bei der China-Strategie wiederum sind keine hitzigen Tweets oder Wortgefechte zwischen FDP und Grünen zu vernehmen, anders etwa als zuletzt bei der Heizungs- und Wärmewende. Alle Beteiligten, sei es der Kanzler oder die beiden grünen Ministerien wie auch die FDP betonen, es gehe nicht um ein "Decoupling", keine Entkoppelung von China.
Aber sehr wohl um ein sogenanntes "De-Risking" - das Verringern von Sicherheitsrisiken, zu stark von der Wirtschaftsmacht in einzelnen wichtigen Bereichen gerade bei kritischer Infrastruktur abhängig zu sein - ein Begriff, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst prägte.
Seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und der spätestens damit aufgefallenen zu hohen Energieabhängigkeit hat die deutsche Politik auch China auf dem Schirm. Mantra: Wir müssen aus Fehlern lernen, die die Politik in Sachen Abhängigkeit bei Russland gemacht hat. "Ich bin sicher, dass es gute Schnittmengen gibt und ein vernünftiges Papier dabei herauskommen wird", sagt der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Ulrich Lechte.
Durchaus Scharmützel in der Ampel
Trotzdem ist der Eindruck nicht falsch, dass es in der Vergangenheit Differenzen in der China-Politik gab. Das lag vor allem an Kanzler und Außenministerin. Olaf Scholz reiste bereits im November nach Peking, begleitet von kritischen Worten von Annalena Baerbock - der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich tadelte sie öffentlich dafür als "unhöflich".
Kurz zuvor hatte Scholz sich für den Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco bei einem Hamburger Hafenterminal ausgesprochen, gegen die Warnung von sechs Fachressorts, darunter auch die beiden von den Grünen geführten Ministerien Außen und Wirtschaft, sowie beider deutscher Nachrichtendienste. Der Hafen wird vom Bundesamt für Sicherheit (BSI) in der Informationstechnik inzwischen als kritische Infrastruktur eingestuft.
Baerbock erhielt erneut Tadel von Mützenich, während sie im April zu ihrer eigenen Asien-Reise unter anderem mit einem Tacheles-Besuch nach China aufbrach: "Zu dogmatisch, nicht pragmatisch genug". Sicher nicht ganz zufällig traf zu diesem Zeitpunkt auch ein Positionspapier des wirtschaftsliberalen Seeheimer Kreises der SPD ein. Doch inzwischen haben sich die Wogen wohl geglättet. An Baerbocks China-Besuch gab es im Nachgang keine Kritik.
Taiwan, Investitionen, IT
Es geht um die Tonalität bei der Taiwan-Frage, aber auch um wirtschaftspolitische Frage der Direktinvestitionen - oder staatlicher Exportkredite: Welche China-Geschäfte will der Bund künftig noch mit Investitionsgarantien aus Steuergeld absichern? In welche Bereiche dürfen sich chinesische Unternehmen einkaufen oder: Soll das IT-System der Bahn mit chinesischer Technik ausgerüstet sein?
Hier wird noch ein weiteres Gesetz zu Schutzstandards in der kritischen Infrastruktur aus dem Innenministerium benötigt, um eine China-Strategie überhaupt umsetzen zu können. Auch dieses ist schon länger angekündigt - und liegt noch nicht vor.
Ringen um die "Tonalität"
Doch lege man die zahlreichen ampelinternen Konzepte übereinander - auch die FDP-Fraktion hat eines vorgelegt, Auswärtiges Amt und Wirtschaftsministerium sowieso - so komme dabei eine große Schnittmenge heraus. "Sicherlich wird auf allerhöchster Ebene um zentrale Punkte noch gestritten, aber das ist auch wichtig - viele Regierungen ringen hier um die richtige Tonalität", sagt Mikko Huotari, Direktor des China-politischen Think Tanks Merics, im Gespräch mit tagesschau.de.
Er sieht bereits große Schnittmengen der Koalitionspartner in der Frage. Man müsse anerkennen, dass sich bereits sehr viel bewegt habe in der China-Politik und vieles in der Ampelkoalition bereits gemeinsam gedacht werde.
Größter CO2-Emittent und größter Handelspartner
China ist derzeit der größte C02-Emittent der Welt, für rund 31 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich und zugleich Deutschlands bisher wichtigster Handelspartner - da bleibt die Frage, ob es ein nicht auflösbares Dilemma für die Scholz-Regierung wird, China einerseits mit mehr wirtschaftspolitischem Misstrauen und Distanz zu begegnen und sich gleichzeitig die Führung des Landes als Partner im Klimaschutz zu erhalten?
"Wie sich Deutschland wirtschaftspolitisch zu China stellt, ist bei der Klimaschutzfrage nicht sehr relevant, der Einfluss ist zu klein. Klimaschutz wird nur passieren, wenn China selbst Interesse dran hat", urteilt China-Experte Huotari. "Die chinesische Seite wird im Übrigen ein gutes Verständnis dafür haben, dass man Risiken beobachtet und Deutschland sein nationales Interesse wahrt - das machen sie selbst so." Insofern ist Deutschland und Europa dann vielleicht doch freier im Umgang mit der autoritär geführten Wirtschaftsmacht, als mancher denkt.