Omid Nouripour
analyse

Nach der Bremen-Wahl Minus im grünen Konto

Stand: 15.05.2023 18:55 Uhr

Die Grünen im Bund täten gut daran, den herben Stimmenverlust in Bremen ernstzunehmen und nicht als landespolitische Schlappe abzutun. In Berlin klafft derzeit eine spürbare Lücke zwischen Ambition und Realpolitik.

Von Corinna Emundts, ARD-aktuell, tagesschau.de

Nach der Bremen-Wahl sollte gerade auch in Berlin dem und der letzten grünen Strategin in der Bundeszentrale klar geworden sein: Jetzt ist Schluss mit lustig. Zwar ist es das kleinste Bundesland, aber es hält mitnichten nur der bereits deswegen zurückgetretenen Spitzenkandidatin Maike Schaefer den Spiegel vor. Alle Alarmglocken müssten jetzt bei den Grünen läuten, will man noch starker ernstzunehmender Partner in der Ampelkoalition bleiben - und sich gar Hoffnungen auf eine zweite Kanzlerkandidatur im Bundestagswahljahr 2025 machen.

Denn nicht nur die offensichtlichen Schwächen in der Landes- und Bundespolitik sollten neu angeschaut werden, alarmierend ist vor allem zusätzlich ein Befund in der Analyse der Bremischen Wählerschaft: Bei ihrer bisher bundesweit unangefochtenen Kernkompetenz "Klima- und Umweltpolitik" büßen die Grünen aktuell 24 Prozentpunkte gegenüber 2019 ein. Vier von fünf Wählenden sagen, die Heizungspläne des grünen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck überforderten die Bürgerinnen und Bürger. Von den grün Wählenden sagen das immerhin mehr als die Hälfte: 55 Prozent.

Mehr und besser erklären

Doch die Parteispitze übt sich erstmal in Schadensbegrenzung: Zwar habe es keinen Rückenwind von den Grünen im Bund für Bremen gegeben, räumte der Co-Vorsitzende Omid Nouripour am Tag nach der Wahl öffentlich ein - aber 78 Prozent der Wählerschaft hätten ja landespolitische Gründe für ihre Wahlentscheidung angegeben. Zugleich hätten die Grünen bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein Spitzenergebnisse erzielt, etwa mit 27,1 Prozent in Kiel. Deswegen sehe er nicht, weswegen man daraus Konsequenzen für die Bundespolitik ziehen müsse. Allenfalls lässt der Grünen-Politiker sich noch das Bekenntnis entlocken, die Partei müsse in ihrer Kommunikation besser werden.

Dabei ist Kommunikation nur eine der Baustellen der Grünen. Ihre Spitzenpolitiker räumen inzwischen öffentlich ein, bei den Veränderungen in der Klimaschutzpolitik nicht den richtigen Ton getroffen zu haben: Sie hätten mehr und besser erklären müssen, sagte etwa die grüne Umweltministerin Steffi Lemke der "Bild am Sonntag".

Fehlende Professionalität im Berliner Betrieb

Spürbar war das für die Grünen sicher schon länger: Spätestens, seitdem ein erster noch unfertiger und nicht abgestimmter Referentenentwurf aus dem Habeck-Ministerium zur Wärmewende an die Öffentlichkeit geraten war, in dem der SPD der soziale Ausgleich noch fehlte. Da hätte mehr Professionalität im Berliner Betrieb geholfen, dies vorauszusehen und gleich eine Kommunikationsstrategie parat zu haben.

So ist es trotz aller Korrekturen bis heute nicht gelungen, Mythen rund um das geplante Gebäudeenergiegesetz (GEG) wieder aus der Welt zu kriegen. Obwohl das Kabinett der Ampel-Koalition unterschrieben hat, stehen doch nur SPD und Grüne wirklich dahinter. Die FDP distanzierte sich bereits im ersten Schritt und legt ständig nach. Kein Wunder, dass das Gesetz aus dem Hause Habeck derzeit vor allem negativ auf das grüne Konto einzahlt.

Sie scheinen nicht aus Fehlern zu lernen

Mit Blick auf die zwei noch ausstehenden Landtagswahlen in diesem Jahr in Bayern und Hessen urteilt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch: "Die Bundesregierung macht es der Union zur Zeit relativ leicht, sie anzugreifen - zum einen durch inhaltliche Fehler, zum Teil auch noch durch die FDP befeuert." Letztere grenze sich öffentlich zum Teil schärfer von der eignen Politik ab, als diese inhaltlich hergibt - zum Beispiel mit dem Begriff "Heizungsverbot".

Hinzu komme bei den Grünen dann auch noch "der Anschein von Günstlingswirtschaft durch die 'Trauzeugen-Affäre' im Wirtschaftsministerium und der Filz im gesamten Bereich der erneuerbaren Energien über Stiftungen, Thinktanks bis zum Ministerium", so Münch.

Die "Trauzeugen-Affäre" rund um den Habeck-Staatsekretär Patrick Graichen weist noch auf ein weiteres Problem der Grünen hin: Sie wissen, wie wichtig Glaubwürdigkeit für ihre ambitionierte Politik ist, scheinen aber dabei nicht aus alten Fehlern zu lernen. Spätestens seit Annalena Baerbocks Ungenauigkeiten im Lebenslauf in ihrer Kanzlerkandidatur-Phase hat die Partei zu spüren bekommen, wie stark der Gegenwind wird, je mächtiger die grüne Partei wird.

In der Defensive

Jetzt ist sie erstmals seit 2005 wieder in einer Regierung und verantwortet große Umbrüche in der Klimaschutzpolitik, die zu Interessenkonflikten führen - auch wenn sie sich aus der Unterschrift Deutschlands zum Pariser Klimaschutzabkommen ergeben. Daraus ergibt sich ihr hoher Anspruch nicht nur an ihre Politik, sondern auch an Transparenz und Gespür im politischen Handeln, jeden Anschein von Befangenheit zu vermeiden. Diese Fachkompetenz fehlte Staatssekretär Graichen offenkundig.

Aber es gelang auch dem dazugehörigen Ministerium nicht, solche Verfahrensfehler erst gar nicht passieren zu lassen, etwa durch Befangenheitsprüfungen. Wenn Habeck jetzt an Graichen festhält, mag das menschlich verständlich sein - seiner Politik und Glaubwürdigkeit wird es nicht helfen. Es bringt die Grünen in eine Defensive, die sie sich bei den politischen Herausforderungen, die sie angehen wollen, eigentlich nicht leisten können. Das Ergebnis der Bremen-Wahl dürfte mindestens als Warnschuss dafür gesehen werden.

Anm. der Red.: In einer früheren Version dieses Textes hieß es fälschlicherweise, dass Maike Schaefer Landesvorsitzende der Grünen sei. Wir haben dieses korrigiert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen