Bedrohung durch Russland "Putin möchte Zweifel und Angst säen"
Die Sorge vor russischen Angriffen ist groß - auch hierzulande. BND-Präsident Kahl warnt im ARD Interview der Woche vor realen Bedrohungen. Putin gehe es darum, "unsere Gesellschaft durcheinanderzubringen".
tagesschau.de: Vor Kurzem wurde bekannt, dass in Leipzig ein Paket mit einem Brandsatz, das für den Transport von DHL gedacht war, in Brand geraten ist. Der Verdacht fiel damals auf russische Sabotage. Diese Woche stürzte ein Transportflugzeug von DHL mit Start in Leipzig unvermittelt ab. Haben sie diesmal auch diesen Verdacht?
Kahl: Den Verdacht musste man sofort haben, nach den Hinweisen, die wir vorher erhalten hatten. Aber bevor die Ermittlungen nicht zu Ende geführt sind, können wir in dieser Richtung auch nichts Konkretes sagen. Nach allem, was ich weiß, sind Experten vor Ort und ermitteln auch mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen zusammen: alles, was nötig ist, um diesen Sachverhalt aufzuklären. Bisher haben wir keine konkreten Hinweise, dass sich etwas in diese Richtung ereignet haben könnte.
tagesschau.de: Was steckt allgemein hinter russischer Sabotage?
Kahl: Insgesamt müssen wir leider feststellen, dass sich die russischen Aggressionen eben nicht nur auf dem Schlachtfeld in der Ukraine austoben, sondern dass es viele Maßnahmen gibt, mit denen Russland versucht, den Westen zu beeinflussen. Und dazu gehören hybride Maßnahmen der Spionage, der Cyberangriffe, auch durchaus Sabotage, Handlungen oder vorbereitende Handlungen zu Sabotageakten dazu.
Deswegen dürfen wir auch nichts ausschließen in diesem Zusammenhang, was gegebenenfalls auch letale Folgen haben kann - in Deutschland und in anderen europäischen Ländern.
tagesschau.de: Was würde man damit bezwecken, wenn man ein Flugzeug zum Explodieren bringen würde, das dann eventuell in Wohngebiete abstürzt? Was wäre der Sinn dahinter?
Kahl: Auch ohne dass es zu einem solchen Absturz kommt, ist allein die Drohung damit etwas, was Menschen verunsichert und die Diskussion zum Beispiel darüber anheizt, wie stark die Ukraine unterstützt werden soll.
Und das ist genau das, was Putin im Sinne hat. Er möchte unsere Gesellschaft durcheinanderbringen, er möchte Zweifel und Angst säen und möchte natürlich auch die Politik dazu bringen, dass sie die Unterstützung für die Ukraine zurückfährt.
Mögliche Einflussnahme bei der Bundestagswahl
tagesschau.de: Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat vor Kurzem gesagt, dass sie davon ausgeht, dass bei der Bundestagswahl Einfluss genommen werden soll - von unter anderem Russland. In welcher Form kann so einen Einfluss geschehen?
Kahl: Wir haben ja auch schon bei vergangenen Wahlen - ob das die zum Europäischen Parlament gewesen sind oder vergangene Bundestagswahlen - Einflussnahmen gesehen. Das sind weniger Maßnahmen, die den Wahlprozess als solchen betreffen. Der ist, Gott sei Dank, in Deutschland gut geschützt und kann ohne große Gefährdungen vonstattengehen.
Aber im Vorfeld der Wahlen die öffentlichen Diskussionen mit zu beeinflussen, das ist eine Disziplin, die die Russen sehr, sehr gut beherrschen. Sie nehmen durch sogenannte Trolle teil an den Diskussionen in sozialen Medien. Sie verstärken diese Einflussnahme durch technische Konstrukte, durch Bots, so dass der Eindruck entsteht, es seien sehr, sehr viele Teilnehmer.
Sie erzeugen große Mengen von Stellungnahmen in den sozialen und gesellschaftlichen Diskussionen und setzen sich drauf auf Diskussionen, die sowieso schon in Deutschland stattfinden - ob das damals die Covid-Diskussionen waren, ob das Energiesorgen sind, ob das politische Themen sind: Sie werden angeheizt durch Akteure von außen. Und so wird dann ein Meinungsbild mehr oder weniger verzerrt.
"Das Stärken derer, die am Rande tätig sind"
tagesschau.de: Welches Interesse könnten Russland und Putin denn daran haben?
Kahl: Das Ziel ist das Verächtlichmachen derer, die in der Mitte unserer Gesellschaft Verantwortung tragen und das Stärken derer, die am Rande tätig sind, insbesondere solche, die auf Putins Propaganda hereinfallen und verlängerte Arme seiner Meinungsbildung hier in Deutschland sind.
tagesschau.de: Sie selbst haben gewarnt, Ende des Jahrzehnts könnte es sein, dass Russland in der Lage ist, gegen die NATO Krieg zu führen. Empfehlen Sie, Garagen zu Bunkern umzubauen?
Kahl: Ich glaube schon, dass wir mental und auch ganz praktisch wieder uns einstellen sollen auf Zeiten, wie wir sie aus dem Kalten Krieg kennen, dass Bedrohungen real werden können.
Welche Maßnahmen das jetzt genau sind, da bin ich jetzt bestimmt nicht der richtige Experte, da gibt es Fachleute - für den Zivilschutz und für kritische Infrastrukturen. Aber bestimmt müssen wir wieder umdenken, und wir müssen auch mehr Geld in die Hand nehmen, um uns darauf vorzubereiten und Vorsorge treffen, dass es eben auch wieder ernsthafte Auseinandersetzungen geben kann.
Anschlagspläne in Europa verhindert
tagesschau.de: Wo sehen Sie gerade die Gefahr des islamistischen Terrors? Wächst da wieder etwas, was kommt der IS wieder?
Kahl: Ja, der IS ist leider dabei, wieder stark zu werden. Nicht in der Form, wie wir ihn mit vereinten Kräften besiegt haben, nicht als Herrscher über Territorium, der ein Kalifat, einen islamischen Staat, wirklich real auf dem Gelände etabliert; aber die Strukturen dieser Vereinigung sind wieder so vital, dass es ihnen gelingt, Terror zu exportieren, Leute weltweit dazu zu motivieren, Anschläge auszuüben, Verbündete zu finden und ganz konkret auch in Europa zu Anschlägen mit beizutragen.
Wir haben einen Sportsommer erlebt mit der Europameisterschaft in Deutschland, mit den Olympischen Spielen in Frankreich, wo große Anschläge- Gott sei Dank - vermieden werden konnten. Aber das war kein selbstverständliches Spiel, es hat großer Anstrengungen bedurft, um das durchzusetzen. Und wir sehen ganz deutliche Aktivitäten auch vom IS und von Al Kaida.
tagesschau.de: Sie sagen, Anschläge konnten vermieden werden. Es waren ganz konkret welche geplant?
Kahl: Es waren welche geplant und es sind auch sozusagen Leute von der Straße geholt worden - um das zu verhindern. Ja, es ist durchaus dazu gekommen, dass Taten vorbereitet worden sind und rechtzeitig enttarnt werden konnten.
Das Gespräch führte Evi Seibert, ARD-Hauptstadtstudio. Das ganze ARD Interview der Woche ist ab Samstag zu hören.