Volker Wissing
analyse

Verkehrsbilanz der Ampel "So wie es ist, kann es nicht bleiben"

Stand: 29.12.2024 05:25 Uhr

Verpasste CO2-Ziele, Sanierungsstau bei der Bahn, unklare E-Auto-Strategie: Das Verkehrsministerium galt lange vor allem als Ort der Misserfolge. Wie sieht Wissings Bilanz aus?

Eine Analyse von Jan Zimmermann, Oliver Sallet und Torben Ostermann, ARD-Hauptstadtstudio

Ganz zufrieden blickt Bundesverkehrsminister Volker Wissing auf die angestoßenen Sanierungen und Reformen bei der Deutschen Bahn. Wie groß die Probleme des Staatskonzerns sind, hat Wissing gleich zu Anfang seiner Amtszeit mehr als deutlich formuliert.

Die Bahn sei jahrelang vernachlässigt und "durch eine Unterfinanzierung und politische Versäumnisse an ihre absolute Grenze gebracht" worden. Mehrmals betonte er: "So wie es ist, kann es nicht bleiben."

Wissings Ziel: eine pünktliche Bahn

In den Mittelpunkt seiner Bahnpolitik rückte das Sanierungsprogramm zur Erneuerung von rund 40 viel befahrenen Strecken bis 2030, die Generalsanierung sogenannter Hochleistungskorridore. Sein Ziel ist es, die Bahn "wieder pünktlich und zuverlässig" zu machen.

Den Auftakt, die Sanierung der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim, können Bahn und Wissing als Erfolg verbuchen. Die geplante kurze Bauzeit von fünf Monaten wurde eingehalten.

Das Konzept der Generalsanierung umfasst die komplette Sperrung der Baustrecke, um fast alles zu erneuern. Zuvor wurde bei der Bahn bei laufendem Betrieb an den Strecken gearbeitet - mit ständig wechselnden Baustellen. Oft zog sich das dann Jahre hin.

Selbst vom Branchenverband Allianz pro Schiene, der sonst meist kritisch auf die Verkehrspolitik des Bundes blickt, kommt Anerkennung - auch weil der frühere FDP-Politiker so viel Geld für die Bahn aufgetrieben hat wie keiner seiner Vorgänger.

Dennoch reichen die Finanzmittel einigen Oppositionspolitikern nicht aus. Sie fordern noch mehr Engagement des Verkehrsministers für die Schiene.

Laut Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, ist zum Beispiel die Finanzierung der weiteren Generalsanierungen nur bis einschließlich 2027 gesichert, sagt er im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.

Manche werfen Wissing vor, den Fokus zu einseitig auf die Generalsanierungen zu legen und den Ausbau des Schienennetzes vor allem in ländlichen Regionen zu vernachlässigen.

Nach wie vor Sorgenkind bei CO2-Ausstoß

Auch die Denkfabrik Agora Verkehrswende bewertet die Bahnsanierung "positiv", sieht jedoch insgesamt eine "unzureichende Bilanz" in der Verkehrspolitik der Ampelkoalition.

Christian Hochfeld, Direktor des Think Tanks, kritisiert insbesondere die Aufhebung der sogenannten Sektorziele, wodurch klimaschädliche Emissionen aus dem Verkehrssektor nicht mehr gesondert betrachtet, sondern nur noch in die Gesamtemissionen aller Bereiche eingerechnet werden.

Was bringt die "Planungsbeschleunigung"?

Auf gemischte Reaktionen stößt das Gesetzespaket zur "Planungsbeschleunigung", das Genehmigungsverfahren vereinfachen und die in den vergangenen Legislaturperioden verzögerten Infrastrukturprojekte zügig voranbringen soll. Wirtschaftsverbände begrüßen die Maßnahmen, während Umwelt- und Naturschutzverbände warnen, dass dadurch Umweltstandards und die Beteiligungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit eingeschränkt werden könnten.

Ein im März 2024 veröffentlichter "Beschleunigungsmonitor" der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) kritisiert zudem, dass die Umsetzung insgesamt nur schleppend vorankomme.

Mit Deutschlandticket Nerv vieler Fahrgäste getroffen

Ein Projekt, das Wissings Amtszeit prägen dürfte, ist das Deutschlandticket. Vermutlich das meistdiskutierte Verkehrsthema in der letzten Zeit. Im Mai 2023 wurde es zum Preis von 49 Euro eingeführt - quasi das Anschlussticket an das in der Energiekrise als Entlastungsmaßnahme erfundene 9-Euro-Ticket. Wissing und viele andere sprechen von einem Erfolgsprojekt und einer Revolution.

Inzwischen zählt das deutschlandweit gültige Ticket rund 13 Millionen Kundinnen und Kunden. Es hat den Nahverkehr attraktiver gemacht und sorgt dafür, dass mehr Menschen Bus und Bahn nutzen, ist der Minister überzeugt. Jedenfalls hat das Ticket den Nahverkehr deutlich einfacher gemacht. Kein Recherchieren mehr, wann wo welches Ticket zu welchem Preis gilt.

Der Verkehrsminister verfolgte mit dem Deutschlandticket aber nicht nur das Ziel, ein preisattraktives Angebot zu schaffen. "Wir führen die Digitalisierung des ÖPNV flächendeckend in Deutschland ein", sagte er nach der Entscheidung der Bundesregierung, das Ticket einzuführen und mit den Ländern gemeinsam zu finanzieren. Es gehe darum, Fahrgastdaten besser auszuwerten und Verkehre künftig kundenorientierter zu planen.

Das neue Angebot galt auch als Kampfangsage an die zahlreichen Verkehrsverbünde im Land. Weniger Verbünde, weniger Kosten bzw. mehr Geld, um den Preis des Deutschlandtickets stabil zu halten, so Wissings Plan. Das ist laut Experten bisher nicht erreicht worden. Die Länder und Kommunen würden sich nicht an eine Strukturreform der Verkehrsverbünde herantrauen, heißt es.

Veto gegen Verbrenner-Aus

Eine weitere "Errungenschaft" der Ampel-Regierung: das Aus vom Verbrenner-Aus. Obwohl die EU bereits beschlossen hatte, ab 2035 Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotor zu verbieten, um ihre Klimaziele zu erreichen, legte die Bundesregierung auf Druck der FDP ein Veto ein.

Sie erreichte, dass Verbrennungsmotoren auch nach 2035 zugelassen bleiben, sofern sie ausschließlich mit emissionsfreien Kraftstoffen wie E-Fuels betrieben werden. Verkehrsminister Volker Wissing setzte sich ebenfalls für diese sogenannte "Technologieoffenheit" ein.

Kritiker, darunter Autoexperten, bemängeln jedoch, dass das Hin und Her in der Diskussion Verbraucher und Industrie verunsichert habe. Gleichzeitig folgt die Bundesregierung mit ihrer Haltung weitgehend den Interessen der deutschen Autoindustrie, die den Weiterbetrieb von Verbrennungsmotoren mit E-Fuels als Möglichkeit für klimaneutrale Mobilität ansieht.

Und dennoch: Christian Hochfeld von Agora Verkehrswende resümiert, vieles deute international darauf hin, dass das Ende des Verbrenners "schneller kommt als absehbar".

Stillstand beim E-Auto

Beim Schreiben des Koalitionsvertrags hatte das Ampel-Bündnis noch groß gedacht: 15 Millionen E-Autos sollen 2030 auf Deutschlands Straßen unterwegs sein. Ein vollmundiges Versprechen, das mittlerweile von nahezu allen Experten als unrealistisch eingeschätzt wird. Die Gründe dafür, dass der E-Auto-Markt in Deutschland schwächelt, sind vielfältig und nicht nur politischer Natur. Zum einen sind vor allem Modelle deutscher Anbieter noch immer deutlich teurer als etwa chinesische und für viele Menschen hierzulande schlicht kaum bezahlbar.

Doch auch die Ampel hat zu wenig getan, um ihr selbst gestecktes Ziel zu erreichen. Noch immer fehlt es vielerorts an Ladestellen, vor allem außerhalb der großen Städte. Außerdem hatte die Bundesregierung kurzfristig eine Kaufprämie für E-Autos gestrichen, nachdem das Bundesverfassungsgericht sein wegweisendes Haushaltsurteil gesprochen hatte.

Zwar haben die Autohäuser danach die Preise um etwa den gleichen Teil gesenkt, stabilisierend hat diese Entscheidung trotzdem nicht gewirkt. Und so wird gerade auch die Auto-Politik der FDP, dem Verkehrsminister Wissing bis zum Ampelbruch angehörte, als verwirrend wahrgenommen.

Über Monate stritt die Koalition über E-Fuels, also einen synthetisch hergestellten Kraftstoff. Es entstand der Eindruck, dass E-Autos vielleicht nur eine Alternative von vielen sind. Experten gehen davon aus, dass das auch zur Kaufzurückhaltung beigetragen hat. 2024 ist der E-Auto-Absatz um circa 20 Prozent eingebrochen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 17. Dezember 2024 um 23:37 Uhr.