Weiterbetrieb von AKW Grüne Fraktionsspitze empfiehlt Zustimmung
Trotz großer Vorbehalte will die Spitze der Grünen-Bundestagsfraktion dem Machtwort von Kanzler Scholz zum AKW-Weiterbetrieb folgen. Fraktionschefin Haßelmann sagte, sie werde den Abgeordneten trotz der Kritik die Zustimmung empfehlen.
Die Grünen-Bundestagsfraktion soll den Kompromiss zur längeren Nutzung der drei verbleibenden deutschen Atomkraftwerke mittragen. "Wir werden empfehlen, dass wir dem Vorschlag folgen", sagte Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann in Berlin. Es werde dazu Beratungen geben. Es sei dazu bei der Fraktionssitzung am Nachmittag mit einer intensiven Aussprache zu rechnen und auch mit kritischen Stimmen. Haßelmann machte aber auch deutlich, dass sie am Ende mit einer Mehrheit für die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz rechne.
"Gut, dass Atomausstieg April 2023 verbindlich kommt"
Es sei damit "jetzt sichergestellt, dass der Atomausstieg längstens bis zum 15.4. komplett zu Ende ist". Der Atomausstieg sei "unumkehrbar". Die Entscheidung des Kanzlers bedeute: "Es werden keine neuen Brennelemente angeschafft." Das sei "gut und wichtig", betonte Haßelmann.
Die Grünen-Abgeordneten sollten "diesem Vorschlag des Bundeskanzlers folgen, auch wenn wir wissen, dass in der Sache das AKW Emsland fachlich nicht notwendig ist". Denn dann könne man sich jetzt wieder darauf konzentrieren, "wie die Frage der Versorgungssicherheit, der Netzstabilität, des Ausbaus der erneuerbaren Energien, der Energieeinsparung und der Effizienz erfolgen kann", sagte Haßelmann.
Nach Haßelmanns Worten muss die Entscheidung des Kanzlers nicht unbedingt bedeuten, dass alle drei Atomkraftwerke bis zum 15. April laufen werden. Nach ihren Erkenntnissen reichten die Brennstäbe im AKW Emsland wohl noch etwa bis Februar, sagte die Fraktionschefin. Sie gehe aber davon aus, dass mit der Entscheidung von Scholz kein Betrieb über den 15. April hinaus möglich sei und keine neuen Brennstäbe beschafft würden. Offen ist nach Haßelmanns Ansicht, ob der von Scholz angekündigte Leistungsbetrieb einen tatsächlichen Streckbetrieb bedeute oder doch nur eine Bereitschaft in Reserve.
Kritik wird erwartet
Zuvor hatten sie und ihre Co-Vorsitzende Katharina Dröge angekündigt, in der Fraktion zu beraten, wie sie "mit der Entscheidung des Kanzlers umgehen" sollten. Haßelmann sagte, es habe vor der Entscheidung des Kanzlers keine Verhandlungen mit den Grünen gegeben. "Olaf Scholz hat als Bundeskanzler im Rahmen der Richtlinienkompetenz diese Entscheidung getroffen", sagte sie. Koalitionsintern sei die Lage verfahren gewesen.
Die Fraktion der Grünen fühle sich nicht an die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gebunden, das Parlament insgesamt auch nicht. Eine Richtlinienkompetenz übe man nur gegenüber der Bundesregierung aus, sagte Haßelmann. Sie gehe davon aus, dass die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf vorlege.
Auch Habeck und Parteispitze kompromissbereit
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte zuvor gesagt, er denke, dass die Grünen der Regierung weiter die Treue halten werden. "Deutschland und Europa befinden sich in einer schweren Krise", sagte Habeck im Interview mit den tagesthemen. "In dieser Situation die Regierung aufs Spiel zu setzen, scheint mir überhaupt nicht verhältnismäßig. Das kann eigentlich nicht passieren", betonte der Grünen-Politiker.
Grünen-Parteichefin Ricarda Lang hatte weitere Gespräche angekündigt, aber auch darauf hingewiesen, dass mit dem Kompromiss die Hauptanliegen der Grünen in der Debatte erfüllt seien. Ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour betonte zwar, dass er nichts davon halte, auch das AKW Emsland weiter laufen zu lassen. Dennoch sei die Entscheidung von Scholz kein Grund, "eine große Diskussionskrise auszulösen".
Grüne in Niedersachsen verärgert
Anders äußerte sich die Grüne Jugend. "Das ist Basta-Politik, und die brauchen wir nicht", sagte der Co-Chef der Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus, der Nachrichtenagentur dpa. "Wir brauchen eine Debatte im Bundestag zu dem Thema." Die Grünen-Landtagsfraktion in Niedersachsen nannte die Entscheidung des Kanzlers unnötig, falsch und "in hohem Maße irritierend". Sie sei fachlich ohne Grundlage und blockiere den Ausbau und die Nutzung der erneuerbaren Energien, erklärten Julia Willie Hamburg und Christian Meyer. Das besonders umstrittene AKW Emsland liegt in Niedersachsen.
Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin äußerte scharfe Kritik. "Wenn getroffene Verabredungen, zum wiederholten Male im übrigen, seitens der FDP nicht eingehalten werden, der Bruch dieser Vereinbarungen dann vom Kanzler per Machtwort versucht wird durchzusetzen", dann seien die Grundlagen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in dieser Koalition"einem extremen Stresstest ausgesetzt", sagte der frühere Bundesumweltminister im Deutschlandfunk.
Kompromisslösung für Grüne und FDP
Scholz hatte am Montag den tagelangen Streit innerhalb der Ampelkoalition mit einer klaren Ansage für beendet erklärt. Der Kanzler wies die zuständigen Minister an, Gesetzesvorschläge zu machen, damit die drei Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland über das Jahresende hinaus maximal bis zum 15. April 2023 weiterlaufen können. In einem Schreiben von Scholz heißt es, ein Leistungsbetrieb solle ermöglicht werden.
Die Grünen hatten am Wochenende auf einem Parteitag beschlossen, nötigenfalls einen sogenannten Streckbetrieb für die Meiler Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis Mitte April 2023 mitzutragen. Die FDP hatte gefordert, auch das dritte Atomkraftwerk Emsland am Netz zu halten und alle drei Meiler bis ins Jahr 2024 hinein laufen zu lassen. Gegebenenfalls sollten bereits stillgelegte AKW reaktiviert werden.