Sportschützen
Hintergrund

Waffenrecht Warum der Täter durchs Raster fiel

Stand: 21.02.2020 17:56 Uhr

Obwohl der mutmaßliche Täter von Hanau offenbar psychisch krank und rassistisch war, besaß er legal Waffen. Wie kann das sein? tagesschau.de fasst die Regelungen zum Waffenbesitz zusammen.

Von Sandra Stalinski, ARD-aktuell

Zwei Waffen waren zuletzt in der Waffenbesitzkarte des mutmaßlichen Täters von Hanau eingetragen. Der 43-Jährige war aktiver Sportschütze und seit 2012 Mitglied im Frankfurter Schützenverein Diana Bergen-Enkheim.

Im Jahr 2013 hatte er eine waffenrechtliche Besitzerlaubnis bekommen. Ein Jahr später sei die erste Waffe darauf eingetragen worden, sagte ein Sprecher der zuständigen Kreisbehörde des Main-Kitzing-Kreises. 2019 sei die Erlaubnis zum Waffenbesitz überprüft worden.

Formal lief also alles nach Vorschrift. Doch wie konnte die offenbar rassistische Gesinnung des Täters niemandem auffallen? Wieso ist dem Schützenverein, den Behörden sein Hang zu Verschwörungstheorien verborgen geblieben?

Wer darf eine Waffe besitzen?

Eine Antwort auf diese Fragen liegt in den recht grobmaschigen Kontrollen. Beim Erwerb der Waffe wird bei Sportschützen noch ziemlich genau hingeschaut. Voraussetzungen sind:

  • Alter: mindestens 18 Jahre, bei großkalibrigen Waffen 21 Jahre
  • mindestens ein Jahr lang Mitglied in einem Schützenverein und nachweislich mindestens zwölfmal im Jahr im Verein mit der Waffe trainieren
  • Prüfung zur Waffensachkunde
  • Bedürfnisantrag, in dem dargelegt werden muss, welche Waffe zu welchem sportlichen Zweck erworben werden soll
  • Je nach Waffentyp muss bei 18- bis 25-Jährigen ein Nachweis über die "persönliche Eignung" erbracht werden. Für ein entsprechendes Gutachten ist eine Untersuchung mit Leistungstests, Fragebögen, Gutachtergespräch und ggf. einer ärztlichen Untersuchung notwendig.
  • Nachweis der ordnungsgemäßen Unterbringung der Waffe in einem Waffenschrank
  • die zuständige Waffenbehörde holt das polizeiliche Führungszeugnis ein
  • mit dem neuen Waffengesetz erfolgt routinemäßig auch eine Abfrage beim Verfassungsschutz

Wer all diese Kriterien erfüllt, kann die demnach genehmigte Waffe erwerben. Diese wird daraufhin nicht nur in der Waffenbesitzkarte, sondern auch im nationalen Waffenregister eingetragen. Die Waffe darf dann zwar nicht regelmäßig mitgeführt werden, aber zu sportlichen Zwecken transportiert und benutzt werden.

"Persönliche Eignung" wird kaum kontrolliert

Zwar ist im Waffengesetz "Zuverlässigkeit und persönliche Eignung" Voraussetzung für Waffenbesitz. Wer beispielsweise geschäftsunfähig, alkoholabhängig oder psychisch krank ist, darf keine Waffe besitzen. Doch wer polizeilich oder beim Verfassungsschutz nie aufgefallen ist oder beim ersten Erwerb der Waffe älter als 25 Jahre ist, kann hier durchaus durchs Raster fallen.

"Eine standardmäßige psychologische Prüfung oder ähnliches gibt es für über 25-Jährige nicht", sagt der Leiter der Rechtsabteilung beim Deutschen Schützenbund (DSB), Robert Garmeister, im Gespräch mit tagesschau.de. Zwar muss die Erlaubnis zum Waffenbesitz - nach dem neuen Waffengesetz - mindestens nach fünf Jahren und dann noch einmal nach zehn Jahren überprüft werden, doch auch hierbei geht es lediglich um das polizeiliche Führungszeugnis, die Verfassungsschutzabfrage, das regelmäßige Schießen und die ordnungsgemäße Unterbringung. Nach der Zehnjahresprüfung wird gar nicht mehr kontrolliert. Beim alten Waffengesetz erfolgte die erste Überprüfung bereits nach drei Jahren, dafür war die routinemäßige Abfrage beim Verfassungsschutz noch nicht vorgesehen.

Soziale Kontrolle im Schützenverein?

Eine Art soziale Kontrolle gebe es aber in den Schützenvereinen durchaus, sagt Garmeister vom DSB. Auch wenn diese nicht explizit in Regularien festgeschrieben sei. "In den Vereinen wird schon darauf geschaut, ob sich jemand schräg verhält oder komische Dinge äußert", sagt Garmeister. Er habe durchaus gelegentlich Anrufe von Mitgliedern, die nachfragten, wie sie sich in einem bestimmten Fall verhalten sollten. "Bei Auffälligkeiten wird das Gespräch gesucht, eine ärztliche Untersuchung angeraten oder auch eine Meldung bei den Behörden gemacht."

In einer Stellungnahme zur Tat in Hanau zeigte der Deutsche Schützenbund sich schockiert und spricht sich gegen jede Form von Extremismus aus. Dies ist auch in der Satzung des DSO fest verankert: Mitglieder mit "rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen Bestrebungen (...) haben mit Ausschluss zu rechnen", heißt es hier. Darüber hinaus versucht der DSO beispielsweise zum Thema Rechtsextremismus zu informieren und zu sensibilisieren. "Dennoch ist es natürlich kaum möglich für Vereine beziehungsweise die handelnden Personen, dem Menschen hinter die Stirn zu gucken. Dies gelingt ja oft selbst professionellen Psychologen nicht", sagt Garmeister.

"Kein auffälliges Verhalten"

In seinem Schützenverein sei der mutmaßliche Täter nicht aufgefallen, sagte der Vereinsvorsitzende Claus Schmidt. Er ei "eher ein ruhiger Typ" gewesen, der "keinerlei ausländerfeindliche Sprüche geklopft" habe und sich auch im Umgang mit Vereinsmitgliedern mit Migrationshintergrund nicht auffällig verhalten habe.

Zwar ist das deutsche Waffenrecht eines der schärfsten im internationalen Vergleich, Schlupflöcher bleiben dennoch. Wer sich zwischen den Routineüberprüfungen beziehungsweise jenseits des Radars der Behörden oder Vereine radikalisiert, bleibt unentdeckt.

Mutmaßlicher Täter hätte Behörden auffallen können

Die Opferorganisation Weißer Ring plädiert deshalb dafür, Waffenbesitzer alle zwei, drei Jahre auf ihre Eignung zu überprüfen. Das Waffenrecht sei streng genug, müsse aber konsequenter umgesetzt werden, sagt Landeschef Erwin Hetger. Zudem müsse die psychische Verfassung der Waffenbesitzer überprüft werden. "Es befinden sich zu viele auffällige Menschen mit Waffen im öffentlichen Raum."

Tatsächlich hätte der mutmaßliche Täter den Behörden auffallen können. Die Bundesanwaltschaft hatte im vergangenen November Kontakt mit ihm, da er eine Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gestellt habe, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank. Darin habe er zum Ausdruck gebracht, dass es eine übergreifende große Organisation gebe, die vieles beherrsche, "sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern". Man habe aufgrund dieses Schreibens kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass der mutmaßliche Todesschütze psychisch krank war.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 21. Februar 2020 um 17:00 Uhr.