Auf einem Tisch liegen Waffen, eine Flagge und weitere Devotionalien eines Reichsbürgers.

Baden-Württemberg Wo "Reichsbürger" ihre Hochburg haben

Stand: 28.05.2023 14:39 Uhr

Auch bei den jüngsten Festnahme von drei "Reichsbürgern" kamen zwei aus Baden-Württemberg. Warum hat gerade das Bundesland im Süden Deutschlands ein "Reichsbürger"-Problem?

Von Fabian Siegel, SWR

Die Ermittler schlugen am Montag zu: Im kleinen Frickingen am Bodensee verhaften die Beamten eine mutmaßliche "Reichsbürgerin". Sie ist ehemalige Bundestagskandidatin der umstrittenen Partei "Die Basis" und soll zur Gruppe des im vergangenen Dezember verhafteten Heinrich XIII. Prinz Reuß gehören, die geplant haben soll, die Bundesregierung zu stürzen. Auch ein zweiter der deutschlandweit drei Verhafteten kommt aus Baden-Württemberg.

Wieder einmal steht das Bundesland im Fokus. Es ist nicht der erste und nicht der letzte Fall mit "Reichsbürgern" in Baden-Württemberg. Im Februar 2022 überfährt ein Mann, der ebenfalls der Szene zugeordnet wird, bei einer Fahrzeugkontrolle im Landkreis Lörrach einen Polizisten und verletzt diesen schwer. Er wurde mittlerweile zu zehn Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt.

Nach Festnahmen: Warum die "Reichsbürger"-Szene in Baden-Württemberg so stark ist

Fabian Siegel, SWR, tagesthemen, 23.05.2023 22:15 Uhr

Immer wieder aufsehenerregende Fälle

20. April 2022, kurz vor 6 Uhr morgens. Vor einem Anwesen im beschaulichen Bobstadt, einem Ortsteil des nicht minder beschaulichen Städtchens Boxberg in Nordwürttemberg, versammeln sich Spezialeinsatzkräfte der Polizei. Sie kündigen sich über Megaphone an, stürmen dann ein Hofgut mitten im Ort. Der Mann, der dort wohnt, soll gegen das Waffengesetz verstoßen haben und außerdem der "Reichsbürger"-Szene angehören. Er eröffnet kurze Zeit später das Feuer. Aus schweren Kriegswaffen.

Der Schütze ergibt sich erst nach längeren Verhandlungen. Die Bilanz eines völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatzes: zwei verletzte Beamte, ein niedergebranntes Gebäude, hunderte Einsatzkräfte vor Ort, mit schwerem Gerät, teilweise sogar aus den benachbarten Bundesländern. Und spätestens jetzt die Gewissheit: "Reichsbürger" stellen in Baden-Württemberg eine große Bedrohung dar.

Der "Reichsbürger" von Boxberg wird zur Gerichtsverhandlung geführt.

Der "Reichsbürger" von Boxberg wird zur Gerichtsverhandlung geführt.

Im Dezember 2022 dann die zahlreichen Verhaftungen im Zuge der Ermittlungen um die Gruppe Reuß. Einer der Schwerpunkte schon damals: Baden-Württemberg. Einer der Hauptverdächtigen: ein ehemaliger Bundeswehrsoldat aus Calw.

Und die Gruppe sorgt weiter für Aufsehen im Land. Im März dieses Jahres schießt in Reutlingen wieder ein mutmaßlicher "Reichsbürger" während einer Durchsuchung im Zuge der gleichen Ermittlungen auf die Polizei. Auch bei ihm finden die Ermittler später Unmengen von Waffen. Baden-Württembergs Innenminister Strobl spricht damals von einem "erschreckendem" und "perversem" Arsenal. Der CDU-Politiker betont die Gefährlichkeit der Szene.

Nur auf den ersten Blick überraschend

Doch warum ist Baden-Württemberg ein solcher Schwerpunkt? Ein Land, das zu den wohlhabendsten in der ganzen Bundesrepublik gehört? In dem die Arbeitslosigkeit niedrig und das Durchschnittseinkommen hoch ist? Der Verfassungsschutz und das Landesinnenministerium sprechen von aktuell 3800 "Reichsbürgern" im Land - deutschlandweit ein absoluter Schwerpunkt.

Experten sehen die Wurzeln in der wechselreichen Geschichte des Landes. Traditionell seien esoterische und alternative Weltanschauungen, etwa die Anthroposophie, in Süddeutschland und im Alpenraum sehr stark, sagt Michael Blume, Politik- und Religionswissenschaftler und seit 2018 Beauftragter gegen Antisemitismus der Landesregierung.

Die Menschen hier legten schon immer großen Wert auf Autonomie und selbstständiges Leben, so Blume. Hinzu komme die Topographie: Die südlichen Bundesländer liegen weit weg von den politischen Zentren. "In Regionen, wo sich Menschen zwischen den Bergen selber organisieren, entsteht Ehrenamt, Zivilgesellschaft, Parlamente. Aber leider auch ein Hang zu Verschwörungsmythen und Esoterik", sagt Blume.

Das beobachte man in Baden-Württemberg, aber auch in Bayern, Österreich oder der Schweiz. Das heiße nicht, dass jeder Esoteriker zum gefährlichen Staatsfeind werden könne, aber das Radikalisierungspotenzial sei größer. Wer etwa alternative Medizin einkaufe, weil er den Ärzten nicht traue, sei auch generell anfälliger, andere Institutionen zu hinterfragen, und könne in einer Art Radikalisierungsspirale landen. "Reichsbürger sind leider ein extremer Ausdruck davon", sagt Blume.

Jüngstes Beispiel dieser Radikalisierung: Die Stadt Heilbronn hat vergangene Woche einen esoterischen Teeladen dicht gemacht. Die Besitzerin hatte keine Umsatzsteuer mehr gezahlt. In einem Schaufensteraushang schreibt sie von ihrer "Angehörigkeit zum Königreich Deutschland".

Ein Hinweisschild auf eine "Kreativpause" hängt an einem esoterischen Laden.

Ein Schild an dem esoterischen Teeladen in Heilbronn

Weltbild aus unterschiedlichsten Strömungen

Wer so tief abgedriftet ist, dass er den Verschwörungsmythen der "Reichsbürger" anhänge, stelle sich oft ein von vielen verschiedenen Strömungen beeinflusstes Weltbild zusammen, meint Blume: "Ein bisschen Esoterik, ein bisschen Germanentum, ein bisschen Antisemitismus, so, dass es für einen selber passt - auch wenn man von außen draufschaut und sagt, das passt doch hinten und vorne nicht."

Der Schütze von Boxberg ist ein gutes Beispiel dafür: An einer Hauswand des Hofguts in Bobstadt, auf dem er zusammen mit einer weiteren Familie wohnte, hingen große germanische Runen, bei dem gerade vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen ihn laufenden Prozess bezeichnete er sich als Fan "alter Schriften".

Auf dem Gelände fanden die Beamten neben den Waffen auch eine große Zahl von nationalsozialistischen Devotionalien, der Mann soll auch mindestens eine Kundgebung mit rechtsextremem Hintergrund besucht haben. tagesschau.de liegen außerdem Fotos vor, die ihn auf einer "Querdenker"-Demo gegen die Corona-Maßnahmen zeigen - mit einer schamanischen Trommel in der Hand. "Aus dieser Mischung entsteht dann oft der Hang zur Gewalt und Putschfantasien", sagt Politikwissenschaftler Blume.

Der Wohlstand in Baden-Württemberg stehe nicht im Widerspruch zu diesen extremen Ausprägungen, sagt Blume. Im Gegenteil: Die sozioökonomischen Strukturen begünstigten radikale Ansichten oftmals sogar. "Wer ein Haus gebaut hat, hat auch etwas zu verlieren", fasst Blume es vereinfacht zusammen. "Reichsbürger" seien oft keinesfalls arme und ungebildete Menschen, sondern Menschen, die etwas erreicht hätten im Leben und nun glaubten, sie müssten das gegen eine Verschwörung verteidigen.

Ein guter Nährboden für radikale Ansichten: Deshalb sei auch die "Querdenken"-Bewegung im Raum Stuttgart entstanden. Auch deshalb gebe es in Baden-Württemberg zahlreiche florierende Verlage, die Verschwörungsmythen und radikale Ansichten publizierten - und damit ein Geschäft machen. Denn auch das sei Teil der Geschichte: "Es ist eben auch deswegen in Süddeutschland so stark, weil man hier damit so richtig Geld machen kann", sagt Blume.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 23. Mai 2023 um 22:15 Uhr.