Vorwurf des "Racial Profiling" Nachweisbare Praxis oder nicht?
Für die einen sind Polizeikontrollen kaum der Rede wert, andere erleben sie als rassistische Diskriminierung. Einer Studie zufolge ist "Racial Profiling" eine "empirische Realität". Die Polizeigewerkschaft sieht das anders.
Für gewisse Menschen ist es leidliche Routine: Die Polizei bittet sie im Zug, am Bahnhof oder an öffentlichen Plätzen, ihren Ausweis vorzuzeigen. Leidig ist das für die Betroffenen, wenn sie ihr äußeres Erscheinungsbild selbst als "nicht typisch deutsch" einschätzen, aber zum Beispiel sehr wohl in Deutschland geboren sind, längst einen deutschen Pass oder einen legalen Aufenthaltstitel haben - und sich überdies keines Vergehens schuldig gemacht haben. Von der Optik lässt sich eben mehr schlecht als recht auf die Herkunft, geschweige denn auf kriminelle Energien schließen.
Um derlei Kontrollroutinen geht es in einer jüngst veröffentlichen Auswertung einer bundesweiten Telefonbefragung des Sachverständigenrats für Integration und Migration: Von rund 15.000 Befragten gaben fünf Prozent an, in den zwölf Monaten vor der Befragung (Ende 2021 bis Mitte 2022) mindestens einmal an einem öffentlichen Ort von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Davon wiederum nahmen sich 8,3 Prozent aufgrund von äußerlichen Merkmalen selbst als ausländisch wahr; 4,4 Prozent verneinten dies.
Grundgesetz versus Polizeiroutine?
Absolute Zahlen gehen aus der Befragung nicht hervor. Die Datenbasis ist für den Sachverständigenrat aber belastbar genug für die Schlussfolgerung, "dass Racial Profiling in Deutschland eine empirische Realität ist". "Racial Profiling" meint den Vorwurf an die Polizei, Menschen mit vermeintlich "fremdländischem" Erscheinungsbild häufiger mit Verdacht auf kriminelle Umtriebe zu kontrollieren. "Polizeikontrollen, die auf der Grundlage äußerlicher Merkmale und nicht verhaltensmotiviert stattfinden, stellen eine unzulässige Ungleichbehandlung dar und verstoßen gegen das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot", kritisiert der Sachverständigenrat in dem Zusammenhang.
Auf die Verfassung, genauer auf Art. 3 Abs. 3 im Grundgesetz, verweist auch Alexander Tischbirek, Jura-Professor an der Universität Regensburg und engagiert im Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. mit Sitz in Berlin. Für die NGO verteidigt Tischbirek Menschen, die sich als Opfer von "Racial Profiling" betrachten, vor Gericht. "Immer, wenn die Hautfarbe zum Beispiel ein tragendes Kriterium für die Kontrollen spielt, sind wir im Bereich des Verbots aus unserer Verfassung", erklärt Tischbirek.
Kontrollen wegen "unerlaubter Einreise"
Geregelt sind anlasslose Personenkontrollen im Bundespolizeigesetz, in Art. 22 Abs. 1a "zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet". Eingeführt wurde die Norm nach dem Wegfall der Grenzkontrollen im Schengenraum; sie diene inzwischen aber als eine Art "Allzweckwaffe gegen allerhand Unerwünschtes", kritisiert Tischbirek.
Statt von anlasslosen Personenkontrollen spricht das zuständige Bundesinnenministerium auf Anfrage von "lageabhängigen Befragungen". Diese würden "diskriminierungsfrei durchgeführt". Auch würden "keine Personen aufgrund ihrer Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder in Anknüpfung sonstiger Anhaltspunkte wie ethischer Herkunft befragt und kontrolliert".
Allerdings: Die Bundespolizei erfasst lediglich die Gesamtzahl derer, die sie kontrolliert. Im Jahr 2022 waren das 1.873.411 Personen, von Januar bis Oktober diesen Jahres 1.529.721. "Die Kontrolle etwaiger Identitätsdokumente, wie bspw. Pässe, wird von der Bundespolizei hierbei nicht statistisch erfasst", teilt das Bundesinnenministerium mit. Wer also genau und mit welcher Motivation kontrolliert wird, bleibt im Dunkeln.
"Ist es, weil ich schwarz bin?"
Nicht so im Fall des nigerianischen Flüchtlings Prince, der in einer Sammelunterkunft im oberbayerischen Wolfratshausen lebt. Im Gespräch mit der tagesschau berichtet der 33-Jährige, an einem Juliabend 2020 auf dem Weg von der S-Bahn in seine Unterkunft von der Polizei angehalten worden zu sein. Sie habe ihn nach seinem Ausweis gefragt - nach seiner Darstellung nur ihn und niemand anderen der vielen ausgestiegenen Pendler.
"Ist es, weil ich schwarz bin?", habe er die Polizei gefragt. Sie hätten ihm gesagt, nach Drogendealern zu fahnden, woraufhin sie den Nigerianer einer Leibesvisitation unterzogen hätten - im Bahnhofsgebäude, in aller Öffentlichkeit, ohne fündig zu werden.
Sicher ein extremes Beispiel. Aber: Die öffentliche Demütigung habe er aus Angst, seinen Verbleib in Deutschland zu riskieren, nicht angezeigt. Bei der Polizei vor Ort war er trotzdem, das bestätigt eine Anfrage bei der Polizeiinspektion Wolfratshausen. Die Beamten, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der örtlichen Polizei fielen, hätten klar eine Grenze überschritten, teilt die Dienststelle mit; gleichwohl bestehe eben ein Problem mit Drogendealern aus Afrika.
Laut bayerischer Polizeistatistik für das Jahr 2022 hatte mehr als ein Drittel der 256.036 Tatverdächtigen - 93.375 Menschen - keinen deutschen Pass. Ausländerrechtliche Delikte sind hier bereits ausgenommen. Nicht-deutsche Tatverdächtige kamen dabei mit weitem Abstand aus Rumänien, gefolgt von der Türkei und Polen. Unter den ermittelten Taten durch Verdächtige ohne deutschen Pass sind Rauschgiftdelikte (14,6 Prozent) auf dem vierten Platz zu finden.
Ein afrikanisches Land wie Nigeria, aus dem der kontrollierte Flüchtling stammt, findet sich allerdings nicht unter den zehn Ländern, aus denen die meisten ausländischen Tatverdächtigen kamen.
"Ein Gefühl der Erniedrigung"
Unbescholtene Kontrollierte, die wie Prince ausländische Wurzeln haben, bleiben mit dem unguten Gefühl zurück, besonders im Visier der Polizei zu sein. Gehör finden sie bei der Münchner Beratungsstelle "Before" für Betroffene von rechter und gruppenbezogen menschenfeindlicher Gewalt und Diskriminierung. Dort berichteten Hilfesuchende von einem "starken Gefühl der Ohnmacht" während der Polizeikontrolle, sagt "Before"-Mitarbeiterin Lea Tesfaye.
Meistens seinen Betroffene in der Situation allein, stünden mehreren Beamten gegenüber und es gebe meist keine unabhängigen Zeuginnen und Zeugen, keine Personen, die sich auf ihre Seite stellen, sagt Tesfaye. "Dennoch finden die Kontrollen ja im öffentlichen Raum statt. Und auch deswegen spielen Faktoren wie Scham oder auch ein Gefühl der Erniedrigung eine große Rolle."
Belastbare Zahlen rund um "Racial Profiling" kann auch die Beratungsstelle nicht nennen. Zwar stiegen die Beratungszahlen zum Thema, was aber nicht zwangsläufig heißen müsse, dass auch die Fallzahlen anstiegen. Möglicherweise liege das auch "nur" an einer wachsenden Sensibilisierung der Betroffen. Festhalten kann Tesfaye jedenfalls so viel: "Dass Racial Profiling, rassistisches Polizeihandeln und Polizeigewalt immer wieder Bestandteil unserer Arbeit sind".
Bundesweite Polizeistudie bis Ende 2024 erwartet
Licht ins Dunkel der Rassismusvorwürfe gegen die Polizei bringen soll einstweilen eine bundesweite Polizeistudie, die das Bundesinnenministerium - damals noch unter Horst Seehofer (CSU) - ins Rollen gebracht hat und die noch bis Ende 2024 läuft. Für einen ersten Zwischenbericht, der im April dieses Jahres erschien, hatten die Studienmacher knapp 51.000 Fragebögen an Beamte im gesamten Bundesgebiet (mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Hamburg) ausgewertet. Darin heißt es: "Zustimmung findet die pauschale Aussage, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland, bei 14 Prozent der Befragten, und etwa 21 Prozent zeigen sich hier zwiegespalten."
Rückschlüsse auf "Racial Profiling" als ein Grundproblem bei der Polizei lässt dieses Meinungsbild freilich nicht zu. Im Zwischenbericht taucht der Begriff nicht einmal auf. Jan Pfeil, stellvertretender Landesvorsitzender bei der Gewerkschaft der Polizei Bayern, plädiert einstweilen für einen differenzierten Blick: Profiling spiele natürlich bei der Arbeit eine Rolle, wenn es einen konkreten Fahndungsansatz gebe. "Aber ich würde das Wort 'racial' nicht dazusetzen", sagt Pfeil.
Neuentwurf des Polizeigesetzes
Der Regensburger Jurist Alexander Tischbirek kritisiert jedoch "die Kontrollen als solche", die das Bundespolizeigesetz normiert. "Man mag vielleicht denken: Ach, dann zeigt man mal den Ausweis und gut ist. Aber man darf den ausgrenzenden Effekt nicht unterschätzen. Wenn das mit steter Regelmäßigkeit passiert, macht das was mit den Menschen und dem sollten wir uns auch nicht verschließen."
Im Bundesinnenministerium liegt inzwischen ein Referentenentwurf vor, der den strittigen Paragrafen 22 Abs. 1a im Bundespolizeigesetz novellieren soll. Verdachtsunabhängige Kontrollen wären danach weiterhin möglich. Der Entwurf räumt den Kontrollierten aber das grundsätzliche Recht ein, "unverzüglich eine Bescheinigung über die Maßnahmen und ihren Grund" von der Polizei zu erbitten.
Zu viel zusätzliche Bürokratie, winkt Jan Pfeil von der Gewerkschaft der Polizei Bayern ab. Gleichwohl könnte "Racial Profiling" damit erstmals durch Zahlen der Polizei selbst belegt - oder eben widerlegt werden.