Pflege-Entlastungsgesetz Was die Reform für Pflegebedürftige bedeutet
Die Bundesregierung will Pflegebedürftige und ihre Angehörigen finanziell entlasten - aber reicht das? Zwei Familien aus Rheinland-Pfalz sehen in der Reform Vorteile, aber auch Nachteile.
Beate Masendorf steht auf der Terrasse ihres Hauses in der Nähe von Mainz. Beherzt greift die 57-Jährige in den Wäschekorb, rasch hängt sie T-Shirts, Socken, Pullover und Hosen zum Trocknen auf. Die Zeit drängt. Ihr Mann Frank hat Alzheimer und ist seit acht Jahren pflegebedürftig - und das mit gerade mal 64 Jahren. Zähneputzen, rasieren, Toilettengänge, ins Bett legen, essen: All das kann der frühere Bauleiter nicht mehr allein. Zumindest einigermaßen in Ruhe um den Haushalt, den Garten und die Verhandlungen mit Pflege- und Krankenkasse kümmern kann sich Beate Masendorf nur dann, wenn jemand anders auf ihren Mann aufpasst.
Das ist gerade mal zwölf Stunden in der Woche der Fall. Dann kommen Betreuer wie Stefan Heyde, der mit Frank Masendorf beispielsweise kurze Spaziergänge ums Haus macht. Den Rest der Zeit ist Beate Masendorf im Einsatz. Die Bauzeichnerin sagt, es gebe Tage, an denen sie sich fragt, wie sie das alles gewuppt bekomme. Und vor allem noch wie lange. Abschalten könne sie ohnehin so gut wie nie. Ihre Arbeit musste sie aufgeben. Was das für ihre eigene Rente bedeutet, darüber möchte sie lieber nicht nachdenken.
Beate Masendorf macht sich am PC über die Pflegereform schlau.
Das Gefühl, von der Politik alleingelassen zu werden
Alles, was Beate Masendorf für ihren Mann tut, macht sie gerne. Sie betont, das alles funktioniere aber auch nur, weil sie gute Freunde und eine tolle Familie hätten. Von der Politik hingegen fühlt sich die Rheinland-Pfälzerin oft alleingelassen. Daran ändere auch die Pflegereform nichts: "Einerseits ist es natürlich gut, dass endlich mal etwas passiert. Es reicht allerdings bei weitem nicht aus."
Gut findet Beate Masendorf an der Pflegereform, dass Leistungen für die Kurzzeit- und die Verhinderungspflege zu einem Budget zusammengelegt werden, das Pflegende flexibel nutzen können. Da ihr Mann den höchsten Pflegegrad 5 hat, bekommt sie von Juli 2025 an 3539 Euro aus diesem Topf. Mit dem Geld kann sie stunden- oder tageweise beispielsweise Betreuer Heyde engagieren oder gegebenenfalls ihren Mann in eine stationäre Kurzzeitpflege geben.
Frank Masendorf und Betreuer Stefan Heyde.
Geld für beides bekommen die Masendorfs schon heute - allerdings aus verschiedenen Töpfen. Das macht die Sache oft kompliziert. Beate Masendorf sagt: "Diese Neuerung bringt zumindest ein bisschen Erleichterung im undurchsichtigen Bürokratiedschungel." Viel zu oft würden Pflegende Geld nicht abrufen, weil das System zu komplex und unübersichtlich sei.
Dass das Pflegegeld Anfang 2024 um fünf Prozent erhöht werden solle, sorgt bei ihr hingegen für Unverständnis: "Da fühle ich mich veräppelt." Nicht nur die Kosten für Lebensmittel und Energie seien in jüngster Zeit deutlich gestiegen. Auch die Windeln für ihren Mann seien mittlerweile beispielsweise dreimal so teuer wie früher. Momentan legt das Ehepaar bis zu 700 Euro im Monat für die Pflege drauf.
"Ein Träumchen"
Elfriede Busch sitzt mit anderen Bewohnerinnen in einem Pflegeheim in Kaiserslautern vor einem großen Fernsehbildschirm und macht Gehirnjogging. Sie ist 90 Jahre alt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit zwei Jahren lebt sie in der Einrichtung. In dieser fühle sie sich sehr wohl, erzählt sie strahlend. Wüsste sie, dass sie für den Heimplatz monatlich 2870 Euro bezahlt, würde sie wahrscheinlich trotzdem sofort ausziehen wollen, sagt ihr Betreuer und Neffe Bernd Lenhart.
Doch das ist nicht möglich, denn Busch hat Pflegegrad 4. Lenhart sagt, er habe sich mittlerweile an die hohen Ausgaben gewöhnt. Trotzdem freut er sich, dass seine Tante dank der Pflegereform für ihren Heimplatz von kommendem Jahr an voraussichtlich rund 370 Euro weniger bezahlen muss. Das sei geradezu ein "Träumchen" - und lasse mehr finanziellen Spielraum für die eine oder andere gemeinsame Aktivität.
Elfriede Busch mit ihrem Neffen Bernd Lenhart.
"Schlag ins Gesicht"
Diese Begeisterung kann der Sozialwissenschaftler Stefan Sell vom RheinAhrCampus Remagen der Hochschule Koblenz nicht teilen. Natürlich bringe die Pflegereform für Menschen, die in Heimen lebten, je nach Verweildauer merkliche finanzielle Verbesserungen. Für pflegende Angehörige hingegen sei sie ein Schlag ins Gesicht: "Jahrelang wurde immer wieder angekündigt, dass es mehr Pflegegeld geben soll. Jetzt ringt man sich dazu durch, dieses nicht in diesem, sondern erst im kommenden Jahr um lächerliche fünf Prozent zu erhöhen. Jede Gewerkschaft würde das vor dem Hintergrund der aktuellen Inflationsrate als Kriegserklärung abspeichern."
Sell sagt, das Problem sei, dass pflegende Angehörige keine Lobby hätten. "Sie werden je nach Pflegegrad seit Jahren mit einer Summe zwischen 300 und 900 Euro pro Monat abgespeist. Es gibt niemanden, der das Notwendige für diese Menschen herausholt."
Und das, obwohl 80 Prozent der rund fünf Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland zu Hause versorgt werden, betont Sell. Und die häusliche Pflege weitaus günstiger sei als stationäre Angebote. Auch für die Gesellschaft. Der Sozialwissenschaftler rechnet vor: Schon jetzt sei mindestens ein Drittel der Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner auf Sozialhilfe angewiesen. Tendenz steigend.