Mittel für Migrationsberatung Rotstift trotz Rekordzuwanderung
Die Zahl der Zuwanderer nach Deutschland ist auf einem Rekordhoch - und doch plant die Bundesregierung die Mittel für Migrationsberatung drastisch zu kürzen. Der Frust bei den Betroffenen ist groß.
Ein Vormittag in einer Sprachschule in Ludwigshafen: Acht junge Menschen sitzen konzentriert über ihren Deutschaufgaben. Leseverständnis steht auf dem Stundenplan. Sie alle wollen fit für den deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt werden, hier richtig ankommen. Eleonora stammt aus der Ukraine, hat dort bereits vier Jahre Medizin studiert. Seit 2022 ist sie in Deutschland. Ihr Ziel: das Studium hier abschließen.
Wie das gehen kann? Das hat sie bei der Studienberatung für Geflüchtete erfahren, einem Angebot der Caritas. "Wie ist das mit den Unterlagen, wo sollen wir das übersetzen lassen? Diese ganze Ungewissheit war einfach schrecklich. Die Beratung hat wirklich sehr geholfen, ich habe meine Unterlagen fertig gemacht und die sind jetzt im Anerkennungsprozess."
Die Kursteilnehmer hoffen, die Deutschprüfung zu bestehen und bald weiter studieren zu können.
Bildungsberatung vor dem Aus
Fast 300 Zugewanderte haben sich im Jahr 2022 an die Bildungsberatung gewandt, Tendenz steigend. Im ersten Halbjahr 2023 waren es bereits 260, alleine in Ludwigshafen. Bundesweit waren es etwa 5.000. Grundlage ist der "Garantiefonds Hochschule", ein Bundesprogramm, das es seit fast 60 Jahren gibt.
Doch geht es nach den Plänen der Politik, steht diese Bildungsberatung vor dem Aus. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt das Programm zum Jahresende ein. "Strikte Sparvorgaben" seien der Grund, so eine Sprecherin des Ministeriums.
Beate Czodrowski, Leiterin der Caritas Ludwigshafen, kann es nicht fassen. "Dass man im Kontext von Fachkräftemangel dieses Programm, das ja eine spezielle Zielgruppe hat, junge Menschen aus dem Ausland, die sich auf eine akademische Laufbahn vorbereiten wollen, einstellt. Die werden dann im Regen stehen gelassen."
Beate Czodrowski kritisiert die Sparpläne der Bundesregierung.
Ein "Schlag in den Nacken"
Es ist nicht der einzige Einschnitt bei der Integrationsförderung. Insgesamt soll der Etat für Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte laut eines Haushaltsentwurfs der Ampelkoalition für 2024 um rund ein Drittel gekürzt werden, von derzeit 81 auf 57 Millionen Euro.
Einen "Schlag in den Nacken" nennt das Tim Westerholt, Migrationsberater bei der Kölner Caritas. "Das ist gerade ein sehr flaues Gefühl für uns als Beratungskräfte, weil wir wissen: Viele Menschen werden ab dem nächsten Jahr nicht mehr versorgt werden können", sagte er im ARD-Morgenmagazin. Mit der Migrationsberatung bekämen die Ankommenden eine Art Wegweisersystem, Orientierung für den Weg zu Bildung, Sprachkurs, Wohnung und Arbeit.
Mit den Kürzungen seien auch Stellenstreichungen zu erwarten. Michael Groß, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, kritisiert die Pläne der Regierung ebenfalls scharf. Die Kürzungen träfen paradoxerweise zusammen mit der höchsten Zahl von Neuzugewanderten nach Deutschland.
Kürzungen auch bei Psychosozialen Zentren
Doch nicht nur bei der Finanzierung der Beratung erwachsener Geflüchteter will die Koalition den Rotstift ansetzen. Auch die Asylverfahrensberatung und die Psychosozialen Zentren müssen mit Kürzungen rechnen.
"Statt einer Aufstockung der nicht annähernd ausreichenden Versorgung Traumatisierter, werden die Psychosozialen Zentren von 17 auf 7 Millionen Euro gekürzt. Die skandalöse Unterversorgung und der nun drohende Abbruch zahlreicher Therapien sind verheerend", so Groß. "Die Verbände sehen die Versorgung und Teilhabe von geflüchteten sowie anderen zugewanderten Menschen massiv gestört und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr."
Widerstand auch in der Koalition
Noch ist der Etat ein Entwurf - auch innerhalb der Koalition gibt es offenbar Widerstand. Doch für die Caritas-Mitarbeiterinnen in Ludwigshafen ist bereits klar: Zum Jahresende kommt das Aus für die Studienberatung für Geflüchtete. Das bedeute, dass sie ihnen ab 1. Januar 2024 nicht mehr helfen können, so Czodrowski. "Wir können ihnen keine Zukunftsperspektive eröffnen. Und das bedeutet für uns als Träger auch: Wir müssen unseren Mitarbeitern kündigen."
Für die junge Ukrainerin Eleonora und ihre Mitschüler im Sprachkurs spielt es dagegen keine Rolle mehr, ob das Parlament den Haushalt absegnet. Sie hoffen, dass sie die Deutschprüfung bestehen und bald weiter studieren können.