Rechtsextremismus Zahl der Angriffe gegen Jugendsozialarbeit steigt
Hakenkreuze, Vandalismus und Hetze im Internet: Immer wieder werden Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit ins Visier genommen. Dabei sind gerade diese Jugendzentren wichtig für viele Kinder und Jugendliche.
In der Wand des Holzhauses, vor dem Martin Karolczak steht, fehlt eine Holzplanke. Noch ragen einige große Holzsplitter aus dem Loch hervor. Karolczak entfernt sie. Das Haus gehört zum Hamburger Hexenberg-Bauspielplatz, der zum Trägerverein "Gemeinwesenarbeit St. Pauli" (GWA St. Pauli) gehört. "Hier haben sie versucht, einzubrechen und wahrscheinlich mit einem Kuhfuß die Planke rausgehebelt", sagt Martin Karolczak, Geschäftsführer der GWA St. Pauli, und zeigt auf die Hausfassade: "Und dann war hier überall gesprüht."
Ein wenig sieht man noch davon, denn die unteren zwei Meter des Holzes sind sehr viel heller als der Rest. "Das war alles vollgeschmiert", sagt Karolczak und zeigt Fotos. Parolen und Beleidigungen, die auf einen rechtsextremen Hintergrund schließen lassen, prangen auf dem Haus. Das Angebot hier sei "nix für Kinder", steht dort geschrieben.
Gemeint ist offenbar ein monatliches Treffen für queere und non-binäre Jugendliche, die sich nicht in traditionellen Geschlechtszuordnungen wiederfinden. Denn in der Nacht vor diesem Termin im Mai haben Unbekannte die Schäden hinterlassen.
Das Holzhaus auf dem Hamburger Hexenberg-Bauspielplatz wurde zerstört und vollgeschmiert, wie Martin Karolczak von der GWA St. Pauli zeigt.
Angriffe nehmen zu
Gemeinsam mit der Gruppe hätten sie die Graffiti anschließend entfernt, erinnert sich Karolczak. "Das war eine schöne Aktion für alle, dass wir gemeinsam zeigen: Es geht weiter hier, und das ist richtig." Trotzdem können sie die Bedrohung, die der Angriff für sie bedeutet, nicht so leicht abstreifen.
"Die Botschaft ist: Wir sehen euch und wir kommen auch zu euch, wenn ihr nicht aufpasst", sagt der Hamburger Kriminologe Nils Schuhmacher. Gemeinsam mit Kollegen hat er 2021 die erste deutschlandweite Studie zu Übergriffen auf die Offene Kinder- und Jugendsozialarbeit veröffentlicht.
Weil der Druck auf die Sozialarbeitenden und die Zahl der Angriffe steigt, arbeiten sie gerade an der nächsten. "Um in den Fokus solcher Angriffe zu geraten, gehört eigentlich nicht viel dazu", sagt Schuhmacher. "Sobald man sich für Vielfalt einsetzt, gerät man potenziell schon in den Blick rechter Akteurinnen und Akteure."
Jugendarbeit als Demokratiearbeit
Das erleben auch Rico Vtelensky und Tino Nicolai. Sie engagieren sich beim Demokratiebahnhof in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern. Online-Hetze, Vandalismus, sogar ein Brandanschlag wurde auf ihr Jugendzentrum verübt. "Es wühlt schon auf", sagt Sozialarbeiter Vtelensky und lacht dann: "Aber ich weiß ja, worauf ich mich einlasse." Zu seinem Arbeitsalltag gehöre es auch, das Gebäude auf Vandalismusschäden zu kontrollieren.
Sich unterkriegen oder verdrehen lassen, das wollen sie nicht, dafür sei ihr Job zu wichtig, sagt Tino Nicolai: "Weil jede Arbeit mit jungen Menschen und zwar dort, wo sie sich freiwillig aufhalten, wo sie selbstbestimmt sind, halt auch ein kleines Stück Demokratiearbeit ist." Zum Beispiel, wenn sie bei gemeinsamen Treffen auch darüber sprechen, wie Politik sie alle betrifft.
Wegen dieser wichtigen Rolle seien die Angriffe und Interventionen rechter Akteure so bedenklich, sagt Kriminologe Schuhmacher. "Denn diese Menschen wollen keine Demokratiebildung, die wollen auch keine Emanzipation der Jugendlichen."
Tino Nicolai und Rico Vtelensky setzen sich in Anklam für das Mitspracherecht von Jugendlichen ein.
AfD könnte versuchen, Fördergelder zu streichen
Auch politische Angriffe gehörten zum Gewaltspektrum dazu, betont Schuhmacher, beispielsweise indem kommunale Vertreter einzelne Projekte oder Jugendzentren aufgrund ihrer Arbeit als politisch bezeichnen oder ihre Legitimität bestreiten wollen: "Das findet nicht einfach nur zufällig gleichzeitig statt, das verstärkt sich auch gegenseitig."
Besonders die AfD, befürchtet Schumacher, könnte versuchen, die Fördergelder für diese Sozialarbeit zu streichen. Denn die jüngsten Wahlerfolge haben der Partei viele zusätzliche Sitze in Stadt- und Gemeindevertretungen eingebracht. Dort fallen oft Entscheidungen über die finanzielle Zukunft vieler Projekte der Kinder- und Jugendsozialarbeit.
Der Bauspielplatz Hexenberg in Hamburg-Altona will ein Ort für alle sein - auch für queere Kinder und Jugendliche.
"Wir sind nicht allein"
"Wenn es gelingt, diese Einrichtungen zu schließen, ihnen den Zahn zu ziehen, dann wird es auf lange Sicht in diesen Kommunen massive Probleme geben bei der Frage: Wie soll sich da eigentlich noch eine demokratische Gesellschaft artikulieren?", stellt Schuhmacher fest. "Das ist sicherlich für die politische Kultur nicht einfach nur ein großer Verlust. Das klingt, finde ich, viel zu harmlos. Das wäre schon fatal, wenn es das nicht mehr gäbe."
Was den Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendsozialarbeit bleibt, ist, sich zu vernetzen, zusammenzustehen - und weiterzumachen. So wie der Demokratiebahnhof in Anklam, oder auch der Hexenberg-Bauspielplatz in Hamburg. "Wir sind nicht allein", sagt Martin Karolczak von der GWA St. Pauli, "und wir lassen uns nicht unterkriegen."