Pilotprojekt in Osnabrück Wie Familienbegleiterinnen Kindern und Eltern helfen
Kinder und ihre Familien können durchs soziale Raster fallen, wenn beispielsweise Sprachkenntnisse fehlen. Damit das nicht passiert, kommen in Osnabrück Familienbegleiterinnen zur Hilfe. Mit Erfolg.
Familienbegleiterin Aishe Yilmaz sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer von Familie Sharifi. Sie blättert sich durch Zettel und Formulare, versucht den Überblick zu behalten: Impftermine für das Kleinkind, Arzt- und Gutachter-Termine für die im Rollstuhl sitzende Tochter, Hilfe bei der Trauerbewältigung für den zehn Jahre alten Sohn.
Die aus Afghanistan geflüchtete Familie hat vielfältige Probleme, die es zu meistern gilt und bei denen sie auf Unterstützung der Familienbegleiterinnen angewiesen ist.
Familienbegleiterin Aishe Yilmaz unterstützt, wo es nötig ist.
Plötzlicher Tod des Vaters
Vor zwei Jahren, kurz nach der Flucht von Afghanistan nach Deutschland, ist der Familienvater nach einer vermeintlich harmlosen OP plötzlich verstorben. Mutter Janbibi Sharifi ist von heute auf morgen alleinerziehend - mit drei Kindern in einem fremden Land, ohne die Sprache zu beherrschen. Für den so wichtigen Deutschkurs hat sie momentan keinen Kopf, sagt sie. Obwohl sie unbedingt Deutsch lernen möchte, so schnell wie möglich.
Doch vor allem durch die medizinischen Sorgen um die Kinder, die unzähligen Arzttermine und den ohnehin komplexen Alltag gebe es für die alleinerziehende Mutter aktuell andere Prioritäten, erklärt Familienbegleiterin Aishe Yilmaz.
Hausbesuche und tägliche Telefonate
Yilmaz und ihre Kollegin Melanie Anker sind bei der Stadt Osnabrück als Familienbegleiterinnen angestellt. Als Tandem, also im Zweiterteam, unterstützen sie die afghanische Familie so gut es geht und so oft es nötig ist. Und es sei aktuell sehr oft nötig, berichtet Yilmaz. "Janbibi Sharifi ist eine so starke Frau, aber ohne uns war sie schon häufig aufgeschmissen", so die Familienbegleiterin, die fließend türkisch spricht und sich so mit Sharifi verständigen kann.
Während sich Aishe Yilmaz mit der Mutter durch die Post kämpft, kümmert sich ihre Kollegin um die beiden jüngsten Kinder der Familie. Melanie Anker ist gelernte Kinderkrankenschwester - und so auch eine große Hilfe bei medizinischen Fragen, Arztbesuchen und Therapiemöglichkeiten, vor allem für die siebenjährige Tochter, die im Rollstuhl sitzt und regelmäßig mit Epilepsieanfällen zu kämpfen hat.
Melanie Anker kümmert sich um die Kinder und hilft bei medizinischen Fragen.
Hausbesuche, Telefonate und Sprachnachrichten
Der Fall von Familie Sharifi sei extrem, schildern die beiden Familienbetreuerinnen. Neben den regelmäßigen Hausbesuchen gebe es tägliche Telefonate und Kontakte per Sprachnachricht. "Das sei nicht der Normalfall", sagt Yilmaz. Doch letztendlich gehe es darum, jede Familie so zu unterstützen, wie es nötig ist. Und das niedrigschwellig und auf Augenhöhe. "Nur so erreichen wir diese Familien, die sonst durchs Raster fallen würden."
Insgesamt besteht das Team der Osnabrücker Familienbegleiterinnen zurzeit aus 18 Mitarbeiterinnen. Sie alle sind selbst Mütter, die meisten haben einen Migrationshintergrund - und teilweise ähnliche Erfahrungen gemacht wie die Familien, denen sie jetzt helfen.
"Der Bedarf ist groß"
Schon vor mehr als zehn Jahren ist das Familienbegleiterinnen-Projekt in Osnabrück an den Start gegangen, damals noch mit einem kleinen Kreis von Honorarkräften. Mittlerweile hat die Stadt Osnabrück das Potenzial des Projekts erkannt.
Im kommenden Jahr soll es weiter ausgebaut werden. Neun neue Vollzeitstellen werden dafür geschaffen. Und es sollen von 2025 an nicht mehr nur Familien mit kleinen Kindern bis sechs Jahre, sondern auch Familien mit Grundschulkindern betreut werden. Für die Familienbetreuerinnen sei dies eine enorme Wertschätzung, sagt Teamleiterin Karin Hooper.
Neben den Hausbesuchen gibt es diverse weitere Angebote wie Eltern-Cafés, Spielgruppen oder Besuche in Kindergärten. Die Angebote stehen allen Familien offen.
"Der Bedarf ist groß, das merken wir jeden Tag", so die Leiterin. Bei den neu eingestellten Kräften seien vor allem Sprachkenntnisse in Albanisch, Bulgarisch oder Dari wünschenswert. Das Einstiegsgehalt liege bei ungefähr 2.800 Euro brutto im Monat.
Weiter Weg in ein selbstständiges Leben
Für Janbibi Sharifi ist es noch ein weiter Weg in ein komplett selbstständiges Leben in Osnabrück, ihrer neuen Heimat. Sie sei oft traurig und verzweifelt, erzählt sie. Und trotzdem unendlich dankbar über den Einsatz der Familienbegleiterinnen. Gemeinsam wollen sie als nächstes dafür kämpfen, dass die siebenjährige Tochter einen Gehtrainer bewilligt bekommt.
Außerdem werde dringend ein Fahrdienst für den ältesten Sohn benötigt. Denn nur so könne er eine Trauertherapie im benachbarten Belm beginnen, berichtet die Begleiterin. "Er hat endlich einen Platz bekommen. Jetzt darf es nicht an den Fahrten scheitern."
Der Job als Familienbegleiterin sei emotional und bewegend, besonders in akuten Fällen. "Trotzdem bin ich unendlich dankbar, helfen zu können", so Aishe Yilmaz.