Sichtbarkeit jüdischen Lebens "Wir haben uns schon genug versteckt"
Nicht erst seit dem 7. Oktober verbergen viele Jüdinnen und Juden in Deutschland ihre Identität. Studierende in der Pfalz wollen dem etwas entgegensetzen.
Die Synagoge in Karlsruhe, ein modernes Gebäude in Form eines Davidsterns. Sie liegt nur wenige Schritte von den lärmenden Hauptverkehrsstraßen, ein Ort der Ruhe im Grünen. David Rosenberg ist im Badischen geboren, seine Großmutter und seine Tante leben heute noch in der Stadt. Für ihn ist der Besuch der Synagoge ein Blick zurück in seine Kindheit. "Als kleines Kind war ich oftmals hier. Von daher war das hier mein erster Kontakt, den ich hatte mit jüdischem Leben, also mit Festen wie Purim, die ich hier verbracht habe."
Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in der Pfalz wird ihm schon früh klar, dass er anders ist als die meisten seiner Mitmenschen. "Ich erinnere mich noch, in der zweiten Klasse, da sind die Kinder aus ihrem Urlaub alle zurückgekommen, und die haben dann berichtet, wo sie waren." Einige Mitschüler seien in Griechenland gewesen, andere in der Türkei oder in Spanien.
"Und dann habe ich gesagt: Ich war in Israel. Ich habe meinen Opa dort besucht", sagt Rosenberg. "Und meine Mutter hat zu mir gesagt: Nein, warum hast du das jetzt gesagt? Jetzt weiß jeder im Dorf, dass wir Juden sind! Und dann habe ich gesagt: Ja, warum denn? Und sie sagt: Das ist nicht gut, wenn es direkt jeder weiß."
"Ich möchte diese Blicke nicht haben"
Seine jüdische Identität als Erwachsener offen leben ist nicht immer einfach für den Studenten. Seine Kippa hat er beim Verlassen der Synagoge abgenommen und in die Tasche gesteckt. "Weil ich die Blicke nicht ertragen kann, möchte ich diese Blicke einfach nicht haben. Wenn mich irgendjemand anguckt, als wäre ich etwas ganz Besonderes. Wir sind eine ganz normale Religionsgemeinschaft. Und wir möchten auch ganz normal behandelt werden."
Dazu kommt die Angst vor Übergriffen, sagt Rosenberg. "Ich habe in Berlin einen mit einer Kippa gesehen und war echt beeindruckt, was für einen Mut der aufgebracht hat. Ich kenne Freunde, die angefeindet worden sind, die geschlagen worden sind. Dem möchte ich aus dem Weg gehen."
Trotzdem engagiert er sich dafür, jüdisches Leben in Deutschland sichtbar zu machen, zu mehr Normalität beizutragen. Seit Anfang Oktober macht er an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe seinen Master im Fach Interkulturelle Bildung, Migration und Mehrsprachigkeit.
In zahlreichen Städten gibt es jüdische Studierendenverbände.
Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens
Gerade hat er den Verein "Hinenu Jüdischer Studierendenverband Rheinland-Pfalz/Saarland" ins Leben gerufen. Hinenu, das bedeutet auf Hebräisch: Hier sind wir! In anderen Bundesländern gibt es schon lange jüdische Studierendenverbände. Er und seine Mitstreiter begannen vor einem Jahr mit den Vorbereitungen, also unabhängig von den aktuellen Geschehnissen.
Über Social Media vernetzten sich junge Leute im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. 15 Mitglieder hat die junge Organisation und Potential zum Wachsen, hofft Rosenberg. "Der Verband will eine Anlaufstelle sein. Es kann auch sein, dass durch die jetzige Situation viele noch mehr Angst haben und dann weniger auf sich aufmerksam machen und sagen: Okay, ich bin eigentlich jüdischer Identität, ich möchte meine Kultur und meine Religion erfahren."
Als er jung war, habe es so etwas leider nicht gegeben, sagt er. Für die Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens sei es aber gerade bei Studierenden auch wichtig, dass die Gesellschaft beispielsweise für jüdische Feiertage sensibilisiert werde.
Glaubensfreiheit im Studium
Die im Grundgesetz verbriefte Glaubensfreiheit und das Recht auf Ausübung der Religion, die an Schulen in der Regel für alle Glaubensgruppen unkompliziert sei, stoße im Studium auf Grenzen, weil Termine ohne Rücksicht auf hohe religiöse Feste festgelegt würden.
"Wir haben eine junge jüdische Studierende aus Mainz, die orthodox lebt. Und wenn sie jetzt eine Klausur schreiben muss, unbedingt an Jom Kippur oder an Pessach, dann kann sie nicht teilnehmen. Und sie kann auch nicht nachschreiben, erst im nächsten Semester. Da muss ich mich entscheiden, was ist wichtiger für mich, meine Religion oder mein Fortschritt an der Universität. Und ich finde, dass man im Jahr 2023 eigentlich keine solche Wahl mehr treffen müsste."
Selbstbewusst an die Öffentlichkeit
Dafür will sich Rosenberg einsetzen, aber vor allem auch für mehr Dialog - und dann eben doch gerade in diesen Zeiten. "Dass solche Halbwahrheiten, die leider in Social Media jetzt die ganze Zeit rumgehen, irgendwie eliminiert werden." Darum lernt er jetzt auch Arabisch an der Hochschule. "Wenn ich die Sprache der anderen spreche, kann das nur vorteilhaft sein, so können wir Vorurteile und Stereotypen viel besser ausmerzen."
Es sei die richtige Zeit, an die Öffentlichkeit zu treten. "Ich kann mich jetzt nicht mehr verstecken. Ich finde, wir haben uns schon genug versteckt in Deutschland. Und wir sollten da selbstbewusster dran gehen, als wir es bisher getan haben. Und jetzt bin ich offen da. Ich sage: Ich bin jüdisch, ich lebe in der Pfalz und das auch gut so."