Islamkonferenz Eine Frage des Timings
Seit 17 Jahren lädt das Innenministerium in unterschiedlichen Formaten zum Dialog über den Islam. Dieses Jahr beginnt der Streit schon beim Programm.
Im Oktober bekommt der Migrationsforscher Ruud Koopmans eine Einladung zur Deutschen Islamkonferenz. Das geplante Thema: Muslimfeindlichkeit. Ob er in diesem Rahmen an einer Diskussionsrunde teilnehmen wolle, fragt ihn das Bundesinnenministerium. Das Schreiben trägt das Datum 20. Oktober 2023. Ruud Koopmans lehnt ab.
Die Islamkonferenz wurde 2006 vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen. Thematischer Schwerpunkt waren zu Beginn Sicherheitsthemen. Das hat sich über die Jahre gewandelt. Zuletzt ging es um Religionsunterricht an Schulen, islamische Wohlfahrt, Seelsorge in Gefängnissen und beim Militär, das Problem staatlich entsandter Imame - und Muslimfeindlichkeit.
Im Sommer hatte ein vom Ministerium einberufener unabhängiger Expertenkreis einen Bericht zu dem Thema vorgestellt - mit 15 Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung. Darum sollte es bei der diesjährigen Islamkonferenz eigentlich gehen. Doch dann griff am 7. Oktober die Terrororganisation Hamas Israel an, und bei pro-palästinensischen Demonstrationen in Deutschland kam es in der Folge zu antisemitischen Straftaten.
Migrationsforscher: Thema "unpassend"
Er halte das Timing des Konferenzthemas für "ungünstig", "wenn nicht sogar unpassend", antwortet Migrationsforscher Koopmans dem Ministerium. "Wir leben momentan nicht in Zeiten, in denen Muslimfeindlichkeit als das zentrale Problem erscheint." Vielmehr sei zu erleben, wie auf Demonstrationen mit überwiegend muslimischer Beteiligung auf Juden und Israel gehetzt werde. "Ein einfach 'Weiter so' und das auch noch ausgerechnet mit dem Thema Muslimfeindlichkeit erscheint mir als das zurzeit völlig falsche Signal."
Auch Seyran Ates, Gründerin einer liberalen Moschee in Berlin, kritisiert die Themenwahl. "Wir haben aktuell Wichtigeres zu diskutieren als Muslimfeindlichkeit." Man müsse über den politischen Islam, Antisemitismus und innermuslimische Konflikte sprechen. "Und die Frage, welcher Islam in Deutschland überhaupt für die nächsten Jahrzehnte Bestand haben kann. Wie schaffen wir es, einen pluralistischen Islam in Deutschland zu etablieren. Das ist die Hauptfrage."
Liberale Muslimin: Luft wird dünn
Ateş vertritt einen liberalen Islam. Sie trägt kein Kopftuch. Ihre Moschee richtet sich ausdrücklich auch an queere Menschen. Schon lange kritisiert sie die Islamkonferenz. Trotzdem hat sie immer wieder teilgenommen. Auch dieses Jahr will sie hingehen. Auch wenn ihre Erwartungen "absolut null" seien. "Vom ersten Tag an waren Leute wie ich nur als Feigenblatt eingeladen", wirft Ates dem Innenministerium vor.
In der Kritik stand über die Jahre vor allem, mit wem sich die Regierung da an einen Tisch setzte. Das waren vor allem die großen konservativen Islamverbände - wie der Zentralrat der Muslime, der deutsch-türkische Moscheeverband Ditib und der Islamrat.
"Die deutsche Politik hat weiterhin nur die Verbände im Blick", sagt Ates. Die Luft für liberale Muslime werde in Deutschland dünn. "Die deutsche Politik will nicht, dass wir hier in Deutschland mit einem liberalen Islam Fuß fassen."
Extremismusexperte: "Lahmer" Auftakt
Der Extremismusexperte Ahmad Mansour verfolgt die Islamkonferenz bereits seit einigen Jahren. "2018 kamen bei der Islamkonferenz viele unterschiedliche Leute zusammen. Es hat eine wirkliche Debatte gegeben, die das Land braucht", sagt er. Die Auftaktveranstaltung von Innenministerin Nancy Faeser im vergangenen Jahr sei dagegen "lahm" gewesen. "Es gab nicht viel Austausch. Eingeladen wurden nur die Bequemen."
Hinzu komme, dass Faeser den Expertenkreis Politischer Islam aufgelöst habe. "Der wäre jetzt extrem notwendig." Der Expertenkreis war im Juni 2021 vom Bundesinnenministerium eingerichtet worden, um Handlungsempfehlungen für den Umgang mit islamistischen Gruppierungen zu erarbeiten. Nach dem Regierungswechsel wurde er nicht fortgeführt.
Islamrat: Veranstaltung läuft an uns vorbei
Eingeladen hat das Innenministerium dieses Mal Musliminnen und Muslime und ihre Vertretungen, Akteure aus dem jüdischen Leben, aus der Politik, der Kirche, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft.
Beim letzten Mal war auch der Zentralrat der Muslime mit dabei. Dem Verband war zuletzt vorgeworfen worden, den Angriff auf Israel nicht klar verurteilt zu haben. Dieses Mal ist er nicht eingeladen.
Die drei geplanten Diskussionsrunden sind vor allem mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Verwaltung besetzt. Nur ein Vertreter eines Islamverbands - des Bündnisses Malikitische Gemeinde - sitzt am zweiten Veranstaltungstag mit auf dem Podium.
"Wir sehen, dass gerade eine Veranstaltung stattfindet, die sich mit Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit beschäftigt und keiner der großen Verbände ist auf dem Podium oder wurde in die Vorbereitung mit aufgenommen", sagt Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrats. Die Veranstaltung laufe an den Muslimen vorbei. "Es wird immer die Anforderung gestellt, dass muslimische Verbände aktiv da mitwirken sollen, aber wie soll man das machen, wenn man sozusagen nur Zuschauer ist."
Ministerium ändert Programm
Das Programm hat das Innenministerium zwischenzeitlich geändert - Antisemitismus neben Muslimfeindlichkeit zum Thema gemacht. Mathias Rohe, der den Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit koordiniert hatte und die Islamkonferenz seit ihren Anfängen beobachtet, sagt, er habe alles Verständnis dafür, dass nun das Thema Antisemitismus auf den Tisch gelegt werden müsse. Es sei aber wichtig, die Dinge nicht gegeneinander auszuspielen. "Die Probleme addieren sich", sagt er. "Man muss Muslimfeindlichkeit angehen und Antisemitismus."