Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungsgericht, (l-r) Henning Radtke, Stephan Harbarth, Vorsitzender des Senats und Präsident des Gerichts, und Yvonne Ott, setzen nach einer Urteilsverkündung ihre Richterbarrette auf.
analyse

Schutz des Verfassungsgerichts Besser etwas als nichts

Stand: 19.12.2024 16:29 Uhr

Der Bundestag hat eine Reform zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts beschlossen. Mehreren Sachverständigen im Rechtsausschuss ging sie nicht weit genug. Doch die Zeit drängt - und immerhin gibt es nun eine Lösung.

Eine Analyse von Claudia Kornmeier, ARD-Hauptstadtstudio

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kontrolliert Regierung und Gesetzgeber. Es wacht darüber, dass sie die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger einhalten. Es schützt die Rechte der Opposition. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, braucht das Gericht eine starke Position. Es muss möglichst unabhängig von politischer Einflussnahme sein und selbstbestimmt arbeiten können.

Dass es Kräfte im politischen Raum geben kann, die an einer Kontrolle kein Interesse haben und deshalb an die Unabhängigkeit des Gerichts Hand anlegen, haben Erfahrungen in anderen Ländern gezeigt - in Europa etwa in Ungarn und Polen.

Die Lehre: Das Bundesverfassungsgericht muss selbst geschützt werden, wenn es als Kontrollinstanz erhalten bleiben soll. Einen solchen Schutz hat der Bundestag nun beschlossen.

Holpriger Anfang

Das Ampel-Aus kam dem nicht in die Quere. Denn der bessere Schutz des Bundesverfassungsgerichts war nie nur ein Ampel-Projekt. Es war immer ein Vorhaben, dass die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP gemeinsam mit der Union angegangen sind - und auch angehen mussten. Denn es geht dabei um eine Grundgesetzänderung. Dafür braucht es im Bundestag und im Bundesrat jeweils eine Zweidrittelmehrheit. Und die kann derzeit nur mit der Union zustande kommen.

Am Anfang holperte es zwar etwas. Es gab Gezänk darüber, dass der eine oder andere Abgeordnete sich nicht an die verabredete Vertraulichkeit gehalten hat. Innerhalb der Union gab es zunächst keine klare Linie, wie man mit dem Thema umgehen wollte.

Dann aber wurde der FDP-Politiker und damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann als Moderator für die Gespräche hinzugerufen und legte auftragsgemäß einen ersten Entwurf als Arbeitsgrundlage vor. Es wurde für ein paar Wochen still um das Thema - und siehe da, so schwer war es mit der Einigung dann doch nicht. Im Juli saßen Vertreter aller fünf Parteien friedlich bei einer Pressekonferenz zusammen und verkündeten, ihrer "staatspolitischen Verantwortung" nachkommen zu wollen.

Nicht mit am Tisch saßen die AfD, die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die CDU hat für sich nämlich jede Zusammenarbeit mit der Linken und der AfD ausgeschlossen. Die Linke stimmte dem Vorhaben im Bundestag dennoch zu, AfD und BSW stimmten dagegen.

Was kommt

Bestimmte Regelungen, die bislang in einem normalen Gesetz standen, sollen nun ins Grundgesetz aufgenommen werden - damit sie nicht mehr so einfach geändert werden können, sprich nur noch mit Zweidrittelmehrheit. Dazu zählen die Zahl der Senate (zwei) und Richter (je acht), ihre Amtszeit (zwölf Jahre) und Altersgrenze (68 Jahre). Ebenso der Ausschluss einer Wiederwahl.

Damit soll eine politische Einflussnahme auf das Gericht verhindert werden - etwa durch die Wahl zusätzlicher, linientreuer Richter oder ein Herabsetzen von Amtszeit oder Altersgrenze, um unliebsame Richter loszuwerden.

Außerdem wird festgeschrieben, dass das Gericht seine Arbeitsweise selbst festlegt. Dabei geht es etwa darum, dass es Fälle nach Wichtigkeit abarbeiten kann - nicht etwa chronologisch. Mit so einer Regel könnte man das Gericht lahmlegen und als Kontrollinstanz faktisch ausschalten.

Was nicht kommt

Manche hatten sich mehr gewünscht und vermissten insbesondere eine Absicherung der Wahl der Richterinnen und Richter. Die werden im Wechsel von Bundestag und Bundesrat gewählt. Nötig ist dafür jeweils eine Zweidrittelmehrheit, um eine breite gesellschaftliche Mehrheit sicherzustellen. Das ist allerdings nur in einem normalen Gesetz geregelt, könnte also mit einfacher Mehrheit abgeschafft werden.

Doch die Union war von Anfang an skeptisch, dieses Zweidrittel-Erfordernis ins Grundgesetz aufzunehmen - und hat das in der heutigen Debatte auch noch einmal verteidigt: "Wir sind davon ausgegangen, dass es eher der Fall ist, dass wir eine destruktive Eindrittel-Sperrminorität bekommen und dass dann auch die Festschreibung im Grundgesetz kein Garant dafür ist, dass die Situation besser wird", so CSU-Politikerin Andrea Lindholz. "Im Gegenteil - einen Blockadelösungs-Mechanismus für diesen Fall hätte es in jedem Fall gebraucht."

Dieser Mechanismus sieht so aus: Wird eine Richterwahl im Bundestag blockiert, kann der Bundesrat als Wahlorgan einspringen und umgekehrt.

Die AfD kritisiert das. "Das jahrzehntelang bewährte Prinzip der Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat räumen Sie einfach beiseite. Sie führen einen Notfallmechanismus ein und wollen damit starke politische neue Kräfte ausschalten", so AfD-Politiker Stephan Brandner in der Debatte.

"Offene Flanke"

Nach der Vorstellung des Gesetzentwurfs im Sommer hofften manche, dass im parlamentarischen Verfahren als zusätzliche Absicherung noch hinzukommen könnte, dass der Bundesrat Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zustimmen muss. Das hätte Änderungen erschwert und somit eine Absicherung bedeutet, falls sich im Bundestag eine Mehrheit findet, die das Bundesverfassungsgericht schwächen will.

Dazu ist es nun nicht gekommen, obwohl mehrere Sachverständige in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses von einer "offenen Flanke" gesprochen hatten. Nun aber drängt die Zeit und es gilt tendenziell die Devise: besser etwas als nichts.

Für die Grundgesetzänderung muss noch der Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Das wird voraussichtlich morgen passieren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Dezember 2024 um 16:00 Uhr.