Untertagedeponie in Osthessen Gift im Schacht
720 Meter unter der Erde liegt gefährliches Gift in Fässern: Im alten Bergwerk in Herfa-Neurode in Osthessen wird Sondermüll eingelagert. Aufenthaltsdauer: mindestens 10.000 Jahre. Ein Ortsbesuch.
Zu Besuch im alten Bergwerk in Herfa-Neurode ganz im Osten von Hessen. Früher wurde hier Kalisalz abgebaut. Heute wird in dem Stollensystem Giftmüll der Klasse 4 eingelagert, also solcher mit besonderem Überwachungsbedarf. Um dorthin zu kommen, muss man 650 Meter in die Tiefe.
Der Leiter der Untertagedeponie, Arnd Schneider, betrachtet seine Arbeitsumgebung nüchtern: "Wir sprechen nicht vom giftigsten oder gefährlichsten Ort, sondern wir sprechen von gefährlichen Abfällen. Vor denen muss man natürlich Respekt haben, beim Umgang und auch bei der Einlagerung. Es sind dort unten ganz andere Bedingungen als über Tage."
Geologische Struktur bietet Schutz
Knapp eine Minute dauert die Fahrt nach unten, während der Aufzug 35 km/h schnell wird. Die Deponie gehört dem Bergbaukonzern K+S, einem der größten der Welt. Arnd Schneider ist schon sein ganzes Berufsleben Bergmann, seit sieben Jahren trägt er die Verantwortung für das Lager. Gerade werden Fässern mit asbesthaltiger Dachpappe angeliefert. Rund 300 Euro pro Tonne hat ein Unternehmen dafür bezahlt, dass der Sondermüll hier eingelagert wird.
Die besondere geologische Struktur der Region bietet die Grundvoraussetzung: absolute Trockenheit. "Über uns sind noch 100 Meter Steinsalz, dann kommt eine Tonschicht, die die gesamte Salzlagerstätte abdeckt und die dafür sorgt, dass kein Grundwasser einsickern kann", erklärt Schneider.
Arnd Schneider leitet die Untertagedeponie in Herfa-Neurode.
"Völlig normales Tagesgeschäft"
Die Fässer mit asbesthaltiger Dachpappe werden mit dem Lkw über knapp zehn Meter breite Straßen zu ihrer letzten Lagerstätte transportiert. Dort schmeckt die Luft leicht salzig, es ist warm, bis zu 28 Grad. Das unterirdische Straßennetz der Deponie hat eine Länge von 24 Kilometern, das Gesamtnetz der Salzmine kommt auf mehr als 250 Kilometer. Nach zehn Minuten ist die Fahrt zu Ende, die Fässer werden in Kammer 160 mit einem Gabelstapler abgeladen und eingelagert. 720 Meter unter der Erdoberfläche.
Für mindestens 10.000 Jahre werden die Abfälle nach Stoffgruppen getrennt eingelagert. Es gibt unter anderem cyanid-, quecksilber- und arsenhaltigen Müll. Nicht alles nimmt die Deponie in Herfa-Neurode an: Radioaktive, explosive und gasbildende Stoffe müssen anderswo hin. Es fällt auf: An einem der giftigsten Orte der Welt trägt niemand Hochsicherheitskleidung. Die Deponie sei sich sicher, dass von den Abfällen keine Gefahr ausgehe, sagt Leiter Schneider. "Das wird alles im Vorfeld überprüft, bevor der Abfall in die Grube kommt. Es kann natürlich vorkommen, dass etwas aufreißt und der Inhalt hinausrieselt, dann wissen die Mitarbeiter, wie sie sich zu verhalten haben. Jeder hat eine persönliche Schutzausrüstung. Das ist völlig normales Tagesgeschäft."
Giftmülltransport auf unterirdischen Straßen in der Deponie.
2016 brannte es in der Giftmülldeponie
Ein paar hundert Meter weiter zeigt Schneider eine volle Kammer. Sie wird gerade mit Backsteinen zugemauert und luftdicht verschlossen.
Ein Sensor misst, ob Gase entweichen. Ein solcher Sensor hat auch den bisher letzten größeren Störfall im Jahr 2016 gemeldet. Damals hatte es in einer der Kammern gebrannt, die Löscharbeiten haben mehrere Tage gedauert. Laut Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konnten keine giftigen Dämpfe entweichen. Das Sicherheitssystem scheint also zu funktionieren.
Eine volle Kammer wird luftdicht verschlossen.
Zweifel und Angst
Daran zweifelt Klaus Reinhardt. Der pensionierte Ingenieur lebt nur wenige Kilometer von der Deponie entfernt und hat Angst vor weiteren unterirdischen Bränden oder gar Wassereinbrüchen, durch die Giftmüll an die Oberfläche kommen könnte: "Trotz aller Notfallkonzepte gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Noch ist zwar nichts passiert, aber wenn mal was passiert, dann ist der Schaden riesig und alle Hilfe kommt zu spät."
Um auf die Gefahr aufmerksam zu machen, hat er 2006 die Bürgerinitiative "Für ein lebenswertes Werratal" gegründet. Mittlerweile hat sie rund 200 Mitglieder.
Eine Bürgerinitiative will auf Gefahren aufmerksam machen.
Sicherheit für 10.000 Jahre?
Unter Tage in 700 Metern Tiefe kommen 60 Prozent des gelagerten Giftmülls aus Deutschland, 40 Prozent aus anderen europäischen Ländern. Wie groß die Anlage ist, verdeutlicht das Archiv der Deponie. In Gefäßen, etwa so groß wie Marmeladengläser, sind Proben von allen Giftstoffen eingelagert. Es sind mehr als 120.000 Behälter und jeden Tag kommen 15 bis 20 neu hinzu.
Bei dieser Geschwindigkeit hat die Deponie noch Platz, um weitere 60 Jahre Giftabfälle aufnehmen zu können. Dann soll sie für immer verschlossen werden und aufgrund der besonderen Eigenschaften des Salzes anschließend nicht weiter kontrolliert werden, erklärt Arnd Schneider: "Langfristig, also ich spreche hier von einem Zeitraum von mehreren hundert Jahren, wird durch die Fließeigenschaften des Salzes der Abfall vollständig umschlossen werden, so dass ein anschließendes Monitoring nicht nötig ist." In der Theorie soll der Giftmüll dann so für alle Zeiten isoliert in der Tiefe lagern.