Ferienzeit in Deutschland Ein wenig Langeweile tut gut
Endlich keine Kita, keine Schule, kein Stundenplan - doch dann sind die Ferien komplett durchorganisiert. Dabei tut sowohl Kindern als auch Erwachsenen ein wenig Langeweile gut, sagen Experten.
"Hilfe!", schreibt eine Mutter in der Facebookgruppe Nett-Werk Köln. "Ich brauche Ideen, wie ich meinen Junior in den Ferien beschäftigen kann!" Die Vorschläge unter dem Posting reichen von Ferienfreizeiten über Sportcamps bis hin zu Onlinekursen.
Im Internet finden sich zahlreiche Angebote für Eltern, die ihren Kindern in den Ferien möglichst viel Programm bieten wollen. Darunter sind sogar ambitionierte Weiterbildungskurse: "Finanzen für Kinder von 7 bis 12 Jahre."
Für manche Familien geht es dabei um die Betreuung. Sechs Wochen Ferien sind lang. Die meisten Eltern haben nicht die Möglichkeit, sich für den gesamten Zeitraum Urlaub zu nehmen, um die Kinder zu betreuen. Andere Eltern wollen sichergehen, dass die Kinder durchgängig beschäftigt sind und bloß keine Langeweile aufkommt.
Durchgeplante Ferien statt Spontaneität
"Wir machen jeden Tag etwas Neues, überlegen uns ein Programm für die Kinder", sagt Ivo Moohr. Seine 6-jährige Tochter kraxelt gerade ein Kletterseil auf einem Spielplatz in Düsseldorf hoch. Der 11-jährige Sohn ist nebenan in der Eishockeyhalle für ein Leistungscamp. Eine Woche dauert das - dafür ist die Familie extra aus Wolfsburg angereist.
Davor waren sie im Urlaub und dann stehen für die restlichen Ferien noch andere Aktivitäten an. "Das ist schon ein bisschen anstrengend, aber besser, als wenn die Kinder sich langweilen und dann den ganzen Tag am Handy oder Tablet hängen", sagt Moohr.
Dass einige Kinder durchgetaktete Ferien haben und ständig von außen bespielt werden, hält Generationenforscher Rüdiger Maas für eine negative Entwicklung. "Die Kinder lernen dann gar nicht mehr, ihre Umgebung wahrzunehmen, selbst Lösungen anzustreben, um der Langeweile entgegenzuwirken", sagt Maas. Wenn man sie lässt, würden Kinder aus der Langeweile heraus kreativ werden.
Einfach mal im Bach planschen - auch das kann eine gute Ferienbeschäftigung sein.
Kinder brauchen nicht immer Anreize von außen
Er rät Eltern, sich daran zu erinnern, wie es bei ihnen selbst war. "Früher waren die Ferien nicht durchgeplant und man hatte die Möglichkeit, die Tage selbst zu gestalten - mit Freunden ins Freibad zu gehen, mit dem Fahrrad einfach mal was erkunden." Das sei für die Entwicklung der Kinder ganz wichtig.
Auch Erwachsene tendieren dazu, ihre Ferien- und Urlaubszeit durchzustrukturieren. Schon bevor es in den Urlaub geht, steht ein Programm für alle Tage. Dementsprechend haben 70 Prozent der deutschen Arbeitnehmer die im Urlaub frisch aufgetankten Kräfte nach ein bis zwei Wochen zurück im Job bereits wieder aufgebraucht. Das hat eine Befragung der mhplus Krankenkasse 2019 ergeben.
Langeweile als wichtiger Verarbeitungsmechanismus
"Die Leute haben immer Angst, was zu verpassen", sagt Helene Dabur. Sie, ihr Mann und die zwei Kinder sitzen auf einer Picknickdecke im Park. Sie würden Urlaub ganz anders verstehen. "Planen und organisieren muss ich bei der Arbeit schon. Da tut es doch mal gut, auszubrechen und einfach die Dinge spontan anzugehen und auf sich zukommen zu lassen", sagt die 40-Jährige. Sie würden bewusst ab und zu mal nichts tun - so wie heute im Park.
Genau diese Ruhezeit für den Kopf, diese Langeweile, sei absolut wichtig, sagt Sabrina Krauss, Psychologin und Professorin an der SRH Hochschule Nordrhein-Westfalen. Menschen seien mittlerweile ständig enorm vielen Reizen ausgesetzt, die verarbeitet werden müssen. Man müsse sich vorstellen, der Kopf sei eine Küche, sagt sie. "Alles, was wir ständig sehen und hören, sind Küchentüten voll mit Einkäufen, die man so in die Küche stellt. In den Momenten der Langeweile schließt sich die Küchentür und wir fangen an, die Einkäufe in die Schränke zu sortieren."
Balance aus Beschäftigung und Nichtstun
Manche Menschen, die sich die Ruhezeiten nicht nehmen und die Reize nicht verarbeiten, hätten eine ständige Unruhe und würden das als Last wahrnehmen. Das fange schon bei Kindern an. Krauss rät daher, Urlaub und Ferien zu nutzen, um kurze Phasen der Langeweile zu trainieren, eine gute Balance zu finden aus Beschäftigung und Nichtstun.
Genau das hat sich der 18-jährige Lukas Breitwiesen für die kommenden Wochen vorgenommen. Er hat auf einer Sonnenliege im Park die Beine ausgestreckt und schaut auf den kleinen Teich vor ihm. Er hat gerade Abi gemacht und will im Oktober ein duales Studium beginnen.
"Nachmittags gehe ich im Getränkemarkt arbeiten. Aber morgens chille ich." Und das manchmal ganz bewusst, ohne immer wieder auf das Handy zu gucken, sagt er. "Tut richtig gut."