Demente Patienten Wenn die Klinik zum "gefährlichen Ort" wird
Rund jeder sechste Krankenhauspatient leidet unter Demenz oder unter Demenzsymptomen. Viele Kliniken sind auf diese betreuungsintensiven Patienten nur unzureichend eingerichtet.
Katja K. ist immer noch wütend, wenn sie an den Klinikaufenthalt ihrer Mutter im Sommer 2021 denkt. Wegen eines Oberschenkelhalsbruches musste die 78-jährige demente Frau ins Krankenhaus. "In den Tagen, in denen sie im Krankenhaus war, hat sich meine Mutter von einer agilen Person in ein Häufchen Elend verwandelt", erzählt K.
Ihr Vorwurf: Die Klinik habe sich um ihre Mutter nicht angemessen gekümmert, obwohl sie über die Demenzerkrankung informiert gewesen sei. Niemand habe dafür gesorgt, dass die geschwächte und verwirrte Frau, die außerdem Schwierigkeiten beim Sprechen hat, ausreichend isst und trinkt.
Immer wieder habe sie das Pflegepersonal darauf hingewiesen - ohne Erfolg. Stattdessen sei ihre Mutter als "unkommunikativ" bezeichnet worden. K. hat dann eigenmächtig die aufgrund der damals geltenden Corona-Restriktionen maximale Besuchszeit von einer Stunde ausgedehnt, um ihrer Mutter wenigstens beim Essen zu helfen. Die Erinnerung an den Klinik-Aufenthalt ihrer Mutter belastet K. noch heute, zwei Jahre später.
Klinik sieht "kein Fehlverhalten"
Die betroffene Klinik teilt auf Anfrage mit, "kein Fehlverhalten" erkennen zu können. Der Kontakt zu Angehörigen sei gerade für demente Patienten wichtig - aber Corona-bedingt eben nur eingeschränkt möglich gewesen. Aber die Klinik schreibt auch: Für demente Patientinnen und Patienten stelle ein Krankenhausaufenthalt "aufgrund der fremden Umgebung, der vielen unbekannten Menschen und den getakteten Tagesabläufen eine große Belastung dar".
Diese Erfahrung hat auch Sabine Carstens gemacht. Sie ist selbst erfahrene Krankenschwester. Aber als ihre 81-jährige demente Mutter im März 2022 wegen Darmblutungen ins Krankenhaus musste, fühlte sie sich komplett hilflos. Tagelang habe sie ihre Mutter nicht besuchen dürfen - die Begründung auch hier: Corona-Maßnahmen.
Die Folge: Ihre Mutter habe nicht mehr gewusst, wo sie sei, sie habe aufgehört zu essen und zu trinken und an Gewicht verloren. Ungenügende Pflege habe schließlich zu einem schmerzhaften Druckgeschwür geführt. Besonders tragisch für Carstens: Zwei Monate später ist ihre Mutter gestorben.
"Ihr ist der Lebenswille genommen worden", sagt Carstens. Die betroffene Klinik widerspricht. Besuche seien täglich möglich gewesen, den angeführten Gewichtsverlust könne man nicht bestätigen. Man habe sich "umfassend" um die Patientin gekümmert, heißt es in der Antwort auf Fragen des HR.
"Gefährliche Orte" für Menschen mit Demenz
Im Rahmen der Recherche wandten sich noch weitere Betroffene an den HR. Vor allem Angehörige haben immer wieder das Gefühl: Um alte, verwirrte Patienten wird sich in deutschen Kliniken nicht genug gekümmert. Die Betroffenen fühlen sich überfordert, einem ignoranten Klinikbetrieb hilflos ausgesetzt.
Die Wissenschaftlerin Sabine Kirchen-Peters kann dieses Gefühl nachvollziehen. Sie arbeitet am Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbücken zum Thema Demenzversorgung. Für Menschen mit Demenz seien Krankenhäuser "gefährliche Orte", so Kirchen-Peters. Es gehe um Effizienz, um eine möglichst schnelle, wirtschaftlich rentable Behandlung. Bei Menschen mit Demenz oder Demenzsymptomen funktioniere das aber nicht: "Die können sich den Prozeduren nicht anpassen, das Gefüge kommt ins Wanken, es kommt Sand ins Getriebe."
Die Patienten verweigern Behandlungen, verstehen Ärzte nicht, irren über die Gänge, essen und trinken nicht. Das hat Folgen: Ohnehin schon gestresste und überforderte Pflegekräfte sind zusätzlich belastet. Bei den Betroffenen verschlechtern sich die Demenzsymptome oft akut. Das Risiko, nach einer Behandlung kurzfristig wieder in die Klinik zu müssen, steigt um bis zu 35 Prozent, so eine Studie der Robert Bosch Stiftung zum Thema "Demenz im Allgemeinkrankenhaus" aus dem November 2019.
Debatte um die Krankenhausreform
Fakt ist aber auch: Der Anteil alter Patientinnen und Patienten in deutschen Kliniken steigt. Und damit auch der Anteil von Menschen mit Demenzerscheinungen. Deshalb würden immer mehr Kliniken inzwischen Konzepte zur "Demenzsensibilität" erarbeiten, sagt Kirchen-Peters. Was fehlt, seien politische Anreize.
Die vermisst Kirchen-Peters auch in der aktuellen Debatte um die Krankenhausreform: "Ich hätte mir schon gewünscht, dass man die Chance nutzt, auch Standards für die Demenzversorgung mit zu verhandeln." Bislang kann zum Beispiel jede Klinik für sich selbst definieren, was sie unter "demenzsensibel" versteht.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht dagegen keinen Handlungsbedarf. Das Thema Demenz sei keines für die anstehende Krankenhausreform, so der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß: "In Sachen Demenzsensibilität sind die Krankenhäuser bereits auf einem guten Weg - ganz ohne zusätzliche Bürokratie." Die Krankenhausreform müsse sich grundlegenden Fragen der Neuorganisation, Finanzierung und Versorgungssicherheit widmen.