Neuer Wirkstoff Hoffnung in der Alzheimer-Forschung
Ein neuer Wirkstoff gibt Hoffnung im Kampf gegen Alzheimer: Lecanemab könnte das Fortschreiten der Krankheit im Frühstadium verlangsamen. Doch es gibt auch Risiken.
"Lecanemab" - so heißt der Antikörper, der die Alzheimer-Forschung in den kommenden Jahren prägen könnte. Bislang wurde weltweit weitestgehend erfolglos an einer durchschlagenden Alzheimer-Therapie geforscht. Die Krankheit gilt als unheilbar, lediglich die Symptome können behandelt werden.
Eine neue Studie, die kürzlich im "New England Journal of Medicine" erschienen ist, sorgt nun für Schlagzeilen: Der Wirkstoff Lecanemab der Unternehmen Biogen und Eisai hat bei den Probandinnen und Probanden mit Alzheimer im Frühstadium das Fortschreiten der Krankheit zumindest ausgebremst. Stehen die Forschenden nun vor einem Durchbruch in der Alzheimer-Behandlung?
Feine Unterschiede
Einige Fachleute sprechen von einem Meilenstein, andere sind angesichts riskanter Nebenwirkungen eher skeptisch. Fest steht: Noch kann die Krankheit nicht komplett aufgehalten werden. Bei einigen der Probandinnen und Probanden haben sich aber kleine Verbesserungen der Gedächtnisleistung gezeigt.
Eineinhalb Jahre lang wurden rund 900 Probandinnen und Probanden mit frühen Symptomen von Alzheimer mit dem experimentellen Antikörper behandelt, weitere 900 erhielten ein Placebo. Das internationale Forschungsteam überprüfte regelmäßig den Verlauf der Erkrankung in beiden Gruppen.
Nach einem halben Jahr zeigten sich schließlich feine Unterschiede: Die Lecanemab-Gruppe schnitt unter anderem bei Gedächtnistests und dem Orientierungsvermögen besser ab - allerdings nur um einen halben Punkt auf einer Skala von Null bis 18.
Expertinnen und Experten uneins
Die positiven Veränderungen sind statistisch klar nachweisbar. Doch was bedeutet das für den Alltag der Betroffenen? Darüber sind sich Expertinnen und Experten uneins. Während die einen davon ausgehen, dass der Wirkstoff einen deutlichen Effekt haben wird, zweifeln die anderen, ob die Patientinnen und Patienten überhaupt etwas merken.
Die große Hoffnung liegt darin, dass sich die positive Wirkung mit der Zeit verstärken wird. Noch ist offen, wie lange eine Therapie bis zum gewünschten Erfolg durchgeführt werden muss und ob dieser überhaupt eintritt.
Ablösung von Eiweiß-Ablagerungen
Ein weiterer Durchbruch ist die Wirkweise des Medikaments. Denn dieser könnte Aufschluss über die Gründe einer Alzheimer-Erkrankung liefern. Lecanemab wird in die Vene gespritzt und löst dann im Hirn Vorstufen der Ablagerungen auf, die als Hauptursache von Alzheimer gelten. Mit der Studie wurde jetzt das erste Mal bewiesen, dass bei den Erkrankten messbare Verbesserungen auftreten, wenn diese Plaques durch Medikamente verschwinden.
Damit können sich Vertreterinnen und Vertreter der "Beta-Amyloid-These" bestätigt fühlen. Diese Gruppe an Alzheimer-Forschenden geht davon aus, dass Ablagerungen des Eiweißmoleküls Beta-Amyloid für den geistigen Abbau verantwortlich sind.
Nebenwirkungen könnten zu riskant sein
Noch gibt es große Diskussionen um die Nebenwirkungen des neuen Medikaments. Lecanemab führte bei 13 Prozent der Probandinnen und Probanden zu Schwellungen im Gehirn, bei einigen traten sogar Hirnblutungen auf. Der Großteil klagte jedoch lediglich über Schwindel.
Dennoch kam es häufiger zu Schlaganfällen als in der Placebogruppe und es können sogar zwei Todesfälle in Zusammenhang mit dem Mittel gebracht werden. Es muss noch erforscht werden, wie diese zu bewerten sind. Da beide Personen vor ihrem Tod einen Blutverdünner erhielten, scheint bereits jetzt klar zu sein, dass der Wirkstoff für diese Gruppe zu gefährlich sein dürfte.
Wird Lecanemab schon 2023 zugelassen?
Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. leben in Deutschland derzeit rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Jenen unter ihnen, die von einer Alzheimer-Krankheit betroffen sind, könnte die Lecanemab-Zulassung Hoffnung geben - und das schon im nächsten Jahr.
Trotz der Unklarheiten über Risiken und Nutzen des Medikaments wollen Biogen und Eisai in Kürze eine Zulassung in den USA beantragen. Die US-Arzneimittelbehörde FDA könnte dann schon Anfang Januar darüber entscheiden, ob das Mittel im Rahmen eines beschleunigten Prüfverfahrens zugelassen wird. In Europa ist ein Antrag auf Marktzulassung im Frühjahr geplant.
Ein Heilmittel ist nicht in Sicht
Vor einer möglichen Zulassung müssen der Nutzen und die Nebenwirkungen ebenso wie bei jeder individuellen Behandlung sorgfältig abgewogen werden. Im nächsten Jahr, nach weiteren Untersuchungen und Tests, wird schon mehr Klarheit bestehen.
Doch selbst wenn Lecanemab auf den Markt kommt: Der Antikörper ist nur für in einem sehr frühen Stadium erkrankte Menschen geeignet. Ist die Krankheit bereits fortgeschritten, sind die Schäden im Gehirn schon zu groß. Außerdem gilt weiterhin: Ein Heilmittel ist nicht in Sicht. Auch der neue Ansatz kann bestenfalls den Verlauf bremsen.