Debatte um Widerspruchslösung Bundesrat will neue Regeln für Organspende
Mehr als 8.000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Zugleich bleibt die Zahl der Organspenden auf einem niedrigen Niveau. Nun will der Bundesrat sie mit der sogenannten Widerspruchslösung erhöhen.
Die Bundesländer dringen angesichts der seit Jahren niedrigen Zahlen von Organspenden auf eine grundlegende Änderung der rechtlichen Regeln hierfür. Anstelle der geltenden erweiterten Zustimmungslösung solle eine Widerspruchslösung treten, heißt es in einer Entschließung.
Damit wäre für die Organentnahme nicht mehr die Zustimmung des Betroffenen oder eines engen Angehörigen beziehungsweise eines Bevollmächtigten erforderlich. Vielmehr gälte grundsätzlich jeder Mensch als Organspender, es sei denn, er hat dem zu Lebzeiten widersprochen - oder einer der nächsten Angehörigen macht dies nach seinem Tod.
Aufnahme in das Transplantationsgesetz
In dem angenommenen Entschließungsantrag wird die Bundesregierung aufgefordert, mit einem Gesetzentwurf dafür zu sorgen, dass diese Widerspruchslösung in das Transplantationsgesetz aufgenommen wird. Die bisherige Regelung habe sich in der Praxis nicht bewährt, heißt es zur Begründung.
Trotz intensiver Informationskampagnen habe nach Umfragen nur rund ein Drittel der Bevölkerung eine selbstbestimmte Entscheidung über Organspenden getroffen und in einem Ausweis festgehalten, hieß es. In der Praxis liege bei weniger als 20 Prozent der Fälle möglicher Organspender ein schriftlich dokumentierter Wille vor.
"In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle müssen die Angehörigen entscheiden, die häufig in der akuten Situation des Todes einer beziehungsweise eines nahen Angehörigen mit der Entscheidungslast überfordert sind und dann ablehnend oder gar nicht entscheiden", heißt es in der Entschließung.
Deutschland zählt zu Nehmerländern
In der Entschließung wird darauf hingewiesen, dass am 1. Januar 2023 insgesamt 8.505 Patientinnen und Patienten auf der aktiven Warteliste gestanden hätten. Im Jahr davor seien nur 2.662 Organe gespendet worden.
"Deutschland gehört in der Organspende zu den Nehmerländern und leistet bei weitem nicht den Beitrag zur Organspende, den es leisten könnte und müsste", sagte Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD). "Dafür schäme ich mich ehrlich gesagt vor unseren Nachbarn."
Warteliste mit mehr als 8.000 Menschen
Ärzteorganisationen hatten sich ebenso wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mehrfach für einen neuen Anlauf für eine Widerspruchslösung stark gemacht. Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) verwies im Magazin "stern" auf das Leid der mehr als 8.000 Menschen, die derzeit auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen.
Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) erklärte, das große Problem sei, dass nach wie vor von zu wenigen Menschen der Spendewille dokumentiert sei, weil sie sich zu Lebzeiten dazu nicht geäußert hätten.
Lob von der Bundesärztekammer
Auch die Bundesärztekammer begrüßte den Beschluss des Bundesrates. "Die Widerspruchslösung kann viele Menschenleben retten. Sie kann helfen, die große Lücke zwischen der hohen grundsätzlichen Spendebereitschaft und den tatsächlichen niedrigen Spendezahlen zu verringern", erklärte Kammerpräsident Klaus Reinhardt.
Kritik von Ethikrat-Mitglied
Der Berliner katholische Theologe Andreas Lob-Hüdepohl wandte sich unterdessen gegen eine Widerspruchslösung. Organspende müsse immer eine freiwillige Entscheidung bleiben, sagte das Mitglied des Deutschen Ethikrats der Zeitschrift "Publik Forum". Das gelte gerade, weil es auch um eine Entscheidung über den eigenen Sterbeprozess gehe.
Patientenschützer fordern Umsetzung von Maßnahmen
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärte, Schweigen dürfe in dieser Frage keine Zustimmung bedeuten. Anstatt in Grundrechte eingreifen zu wollen, müssten die Länder endlich Gas geben und die beschlossenen Maßnahmen zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft umsetzen.