Studie der Böckler-Stiftung Armut gefährdet die Demokratie
Die Armut in Deutschland nimmt immer weiter zu. Mit Folgen für die Demokratie, warnt eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Denn viele ärmere Menschen haben demnach wenig Vertrauen in demokratische Strukturen wie Politik, Polizei und Rechtsstaat.
Viele Menschen mit wenig Einkommen haben ein geringeres Vertrauen in die demokratischen Institutionen als Menschen mit hohem Einkommen. Zu diesem Ergebnis kommt der am Donnerstag in Berlin vorgestellte "Verteilungsbericht 2023" des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die beiden Studienautoren ermittelten "eine deutliche Korrelation zwischen Einkommenshöhe und geringem Vertrauen in staatliche und demokratische Institutionen".
Wenig Vertrauen in die Politik
Über 47 Prozent der dauerhaft, also über fünf oder mehr Jahre, und knapp 40 Prozent der temporär Armen hierzulande haben der Studie zufolge nur ein geringes Vertrauen in den Bundestag. Bei denjenigen mit mittleren Einkommen äußerten 2021 hingegen nur rund 30 Prozent ein geringes Vertrauen in den Bundestag, bei den Einkommensreichen waren es nur knapp 19 Prozent.
Gegenüber Politikerinnen und Politikern hat demnach sogar eine Mehrheit der Armen eine erhebliche Distanz: Gut 58 Prozent der dauerhaft und fast 54 Prozent der temporär Armen sprechen von geringem Vertrauen. Auch gegenüber Parteien tun das 56 beziehungsweise knapp 54 Prozent. Allerdings äußert in beiden Fällen knapp die Hälfte der Menschen mit mittleren Einkommen ebenfalls erhebliche Skepsis. Nur unter den Einkommensreichen erwecken Parteien sowie Politikerinnen und Politiker bei einer soliden Mehrheit von rund 63 Prozent größeres oder großes Vertrauen.
Geringes Vertrauen macht anfällig für Rechtspopulismus
Beim Vertrauen in die Polizei oder das Rechtssystem zeigt sich der Studie zufolge ein ähnliches Bild: Unter den Einkommensreichen gibt es nur wenige - deutlich unter zehn Prozent - die beiden Institutionen nicht oder wenig vertrauen.
Unter den dauerhaft Armen äußern hingegen knapp 22 Prozent wenig Vertrauen in die Polizei, und fast 37 Prozent misstrauen dem Rechtssystem. "Ein geringes Institutionenvertrauen macht Menschen anfälliger für rechtspopulistische Einstellungen", warnte die Direktorin des Instituts, Bettina Kohlrausch.
Immer mehr Menschen leben in Armut
Den Forschenden zufolge hat die Einkommensarmut in Deutschland deutlich zugenommen. Im Jahr 2022 lebten demnach fast 17 Prozent der Menschen in Deutschland in Armut, rund zehn Prozent sogar in strenger Armut. 2010 lagen die beiden Quoten noch bei 14,5 beziehungsweise knapp acht Prozent.
Als arm definieren die Fachleute dabei Menschen, deren Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland beträgt. Sehr arm sind jene, die nicht einmal 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Für einen Singlehaushalt entspricht das demnach maximal 1.200, beziehungsweise 1.000 Euro im Monat.
Als reich gelten Menschen, die mehr als das Doppelte dieses Betrags zur Verfügung haben. Der Anteil der reichen Haushalte schwanke in den vergangenen Jahren der Studie zufolge um acht Prozent.
"Eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt"
Die Daten machten anschaulich, dass Armut selbst in einem reichen Land wie der Bundesrepublik nicht selten mit deutlichen alltäglichen Entbehrungen verbunden sei, analysierte das WSI: Viele von Armut betroffenen Menschen können sich demnach kaum neue Kleidung oder Schuhe kaufen. Vier Prozent der dauerhaft Armen gaben an, ihre Wohnung nicht angemessen heizen zu können.
Überdurchschnittlich oft von Armut betroffen sind der Untersuchung zufolge Arbeitslose, Minijobber, Ostdeutsche, Alleinerziehende, Frauen, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Singles sowie Menschen, deren Schulabschluss maximal einem Hauptschulabschluss entspricht.
Mit Armut geht laut dem Bericht bei vielen Betroffenen ein Gefühl geringer gesellschaftlicher Anerkennung einher. Dies führe wiederum zu einer Distanz zu staatlichen und politischen Institutionen. "Der hohe Anteil von armen Menschen in diesem Land ist besorgniserregend und eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt", sagte Kohlrausch.
Autoren fordern Maßnahmenpaket
Um der Armut entgegenzusteuern, fordern die beiden Studienautoren unter anderem die Anhebung der sozialen Grundsicherung auf ein "armutsfestes Niveau" und die Erhöhung des Mindestlohns. Gefordert wird auch, Reiche und Superreiche stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen - etwa durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes sowie durch höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern für diese Gruppen.
Die Studie beruht den Angaben zufolge auf Daten aus dem Jahr 2022 des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und des Mikrozensus. Für das SOEP werden jedes Jahr rund 15.000 Haushalte interviewt. Für den Mikrozensus werden jährlich rund 800.000 Menschen befragt.