Studie der Kultusministerkonferenz Das Fach Deutsch hat ein Problem
Noch nie waren Neuntklässler so schlecht im Fach Deutsch wie jetzt. Das zeigt eine Studie der Kultusministerkonferenz. Die Experten haben einen Verdacht.
Die 383. Sitzung der Kultusminister ist eine ganz besondere. Natürlich geht es - wie sonst auch - darum, wie der Lehrerberuf attraktiver gemacht werden kann, welche Zusatzangebote für Bildung es geben sollte und was aktuell sonst noch gerade ansteht.
Nach einer knappen halben Stunde ist das Tagesgeschäft in der Pressekonferenz allerdings erledigt. Dann ergreift Petra Stanat, Chefin des IQB (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen) das Wort. Sie trägt die Ergebnisse einer Studie vor, den Bildungstrend 2022. Erfasst wurde das Leistungsvermögen von Neuntklässlern in den Fächern Deutsch, Englisch und Französisch.
Kompetenzrückgang im Fach Deutsch
Es sind die Ergebnisse für die Deutschkenntnisse, die für Aufregung sorgen. 2022 erreichten demnach 33 Prozent der Schülerschaft die Mindeststandards für den Mittleren Schulabschluss nicht, wenn es um die Kompetenz in der Kategorie "Lesen" ging. 2015, bei der letzten Erhebung, waren es nur 24 Prozent.
34 Prozent erreichen den Standard "Lesen" nicht (2015: 18 Prozent). 22 Prozent scheitern in Sachen "Orthografie" (2015: 13 Prozent). Die Studienmacher konstatieren trocken: "Dies sind statistisch signifikante und im Umfang erhebliche Kompetenzrückgänge im Fach Deutsch."
Das Fach Deutsch - die Grundlage allen Unterrichts - hat ein Problem. Und damit auch die Kultusministerkonferenz. Denn die Untersuchung ergibt auch: Ihr Interesse am Fach geben nur 18 Prozent der Schülerschaft mit "hoch" an ("niedrig": 44 Prozent). Studienmacherin Stanat: "Es hat mich überrascht, wie stark die negativen Entwicklungen im Fach Deutsch sind."
Kaum Deutsch
Die Untersuchung zeigt auch, dass sich bereits zuvor bekannte Zusammenhänge bestätigen. Bildungsferne Elternhäuser und Familien, in denen wenig Deutsch gesprochen wird, sind der größte Nachteil für Kinder. Ermittelt wurde etwa, ob mehr oder weniger als 100 Bücher im elterlichen Haushalt vorhanden sind - ein Indikator für Bildungsferne oder -nähe. Auch wurde gefragt, wie häufig zu Hause Deutsch gesprochen werde. Das Ergebnis bestätigt wieder einmal, was bekannt war: mehr Bücher - bessere Schulleistungen. Und je weniger Deutsch - desto schlechtere Bildungschancen.
Zwar ist der Anteil von bildungsfernen Elternhäusern und solchen mit Migrationshintergrund seit 2015 deutlich gestiegen - dieser Zuwachs allein kann aber den Verfall der Deutsch-Leistungen in dem gemessenen Ausmaß nicht erklären. Das haben die Forscher überprüft - mit Hilfe von Kontrollrechnungen, in denen die 2022 gemessenen Werte vergleichbar mit denen von 2015 gemacht wurden. Was also ist sonst noch passiert in diesem Zeitraum?
Ursachenforschung: Corona-Maßnahmen als Ursache?
Sowohl die Studienmacher als auch die Kultusminister haben einen Verdacht: die Schulschließungen während der Corona-Maßnahmen. Die Studiendaten selbst sind zwar nicht geeignet, die Ursache zweifelsfrei zu klären. Dennoch sagt IQB-Chefin Stanat: "Wir glauben, dass die pandemiebedingten Einschränkungen im Schulbetrieb eine Rolle gespielt haben."
Denn auffällig sei, dass sich die Ergebnisse in allen Bundesländern negativ entwickelt hätten. Also auch in jenen Bundesländern, in denen der Migrantenanteil weniger stark angestiegen ist als in anderen. Dies deute auf einen anderen, flächendeckenden, alles überlagernden Effekt hin: mutmaßlich eben die Schulschließungen in der Coronazeit. "Es spricht alles dafür, dass diese Einschränkungen eine Rolle gespielt haben", so Stanat.
Leistungseinbrüche im Bereich Zuhören
Hessens Kultusminister Ralph Alexander Lorz (CDU), hat den Verdacht ebenfalls - und zitiert sich kurzerhand selbst. Er habe schon vor Längerem gewarnt: "Wahrscheinlich brauchen wir fünf Jahre, um die fünf Monate Schulschließungen aufzuholen. Und ich fürchte, das ist Teil des Effekts gewesen."
Die Studienmacher weisen darauf hin, dass die Leistungseinbrüche besonders stark den Bereich "Zuhören" betreffen - also jene Fähigkeiten, die besonders darunter leiden dürften, wenn der Präsenzunterricht ausfällt. "Lesen" und "Orthografie" seien etwas weniger stark betroffen. Diese könnten im Fernunterricht zu Hause ja auch eher geübt werden als Hören und Sprechen.
In den Zahlenkolonnen der Studie findet sich noch ein weiterer, zunächst paradox anmutender Hinweis darauf, dass die Corona-Schulschließungen den Ausschlag für den heftigen Leistungsabfall im Fach Deutsch gegeben haben: Die Leistungen im Fach "Englisch" haben sich im selben Zeitraum nämlich verbessert.
Besser Englisch durch Netflix & Co.?
Was auf den ersten Blick unlogisch erscheinen mag, liefert laut den Forschern einen möglicherweise entscheidenden Hinweis darauf, was in der Corona-Zeit passiert ist. Anstatt sich auf Deutsch zu unterhalten - und damit ihr Sprachvermögen zu schulen - hätten sich viele Schüler offenbar anders die Zeit vertrieben: und zwar auf Englisch.
"Wir glauben, dass die Pandemie hier möglicherweise sogar positiv gewirkt hat", sagt Stanat. Schülerinnen und Schüler seien in dieser Zeit sehr viel im Internet unterwegs gewesen. "Oder sie haben Netflix geschaut - und das häufig eben auf Englisch."
Sollten tatsächlich die Unterrichtsausfälle die Hauptursache für den Leistungsabfall gewesen sein, dürfte sich in den Schreckensmeldungen eine gute Botschaft verstecken - allerdings vor allem für zukünftige Schüler. Denn die Zeit der Schulschließungen ist ja vorbei. Ein weiterer, noch tiefer führender Absturz der Deutsch-Leistungen scheint daher für die Zukunft nicht zu erwarten. Zumindest nicht aus diesem Grund.