Ein Rechteck ist in weißer Farbe auf auf einem Schulhof aufgezeichnet.

Aktionen gegen Antisemitismus Schulen erinnern an Anne Frank

Stand: 12.06.2024 18:17 Uhr

Anne Frank wäre heute 95 Jahre alt geworden. Welche Bedeutung hat die Geschichte des jüdischen Mädchens für Schüler im Jahr 2024? Bei einem Aktionstag wurde heute an ihr Schicksal erinnert. Mit kreativen Mitteln.

Was erst einmal aussieht wie eine illegale Aktion, sind Vorbereitungen für den Geschichtsunterricht am Anne-Frank-Tag. Schülerinnen und Schüler des Berliner Käthe-Kollwitz-Gymnasiums sprühen mit weißer Farbe ein Rechteck auf den Fußboden direkt vor dem Schuleingang.

Das Rechteck ist so groß wie der Raum, in dem sich Anne Frank mehr als zwei Jahre vor den Nazis versteckt hat. "Zwei Betten, ein Schreibtisch. Viel Platz gibt es jetzt nicht mehr", sagt einer der Schüler leise.

Das Rechteck auf dem Schulhof ist eine Idee der Toleranz AG. Die will Anne Frank als Mensch zeigen und weg kommen vom reinen Lehrstoff aus Büchern, erzählt Lehrer Daniel Schmöcker. "Bei Kindern ist es ganz wichtig, dass man etwas fürs Herz macht und zum Anfassen. Wir schaffen hier eine Situation, in der die Schüler tatsächlich auch Erfahrungen machen können und dann darüber auch sprechen."

Ein weißes Rechteck - Rahmen für die Vorstellungskraft

Wie mag es Anne Frank ergangen sein? Die Schüler sollten aufschreiben, wie sich das Leben im Verborgenen angefühlt haben könnte. Was ging in ihr vor während der mehr als zwei Jahre im Hinterhaus, immer in Gefahr, entdeckt zu werden? Stets eingesperrt auf engstem Raum. Eine einfache Aufgabenstellung, die Geschichte nachfühlbar machen soll.

Eine Karte mit der Aufschrift "da ist ein Gefühl von Freiheitsberaubung und Angst".

Gedanken von Schülern - wie könnte sich das Leben im Versteck angefühlt haben?

Die Ergebnisse haben sie zu Papier gebracht, laminiert und für alle anderen Schüler gut sichtbar an einem Baum gepinnt, auch die 13 Jahre alte Clara Karabsz-Ruiz. "Ich fand das so krass. Als sie Tagebuch geschrieben hat, war sie genau so alt wie ich. Manche Gedanken kamen mir sehr bekannt vor. Sie war ein ganz normales Mädchen. Das heißt, man hätte auch meine Familie einfach auslöschen können. Einfach nur aus einem Grund, der kein Grund ist, weil sie gesagt haben, die sind schlechter als wir."

Anne Frank wäre heute 95 Jahre alt geworden. In fast 600 Schulen in ganz Deutschland ist deshalb heute an das jüdische Mädchen erinnert worden - auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Einige Klassen besuchen jüdische Friedhöfe, putzen Stolpersteine. Andere haben Theaterstücke geschrieben oder einen Instagram-Kanal ins Leben gerufen, der sich mit Anne Franks Geschichte und der NS-Zeit auseinandersetzt.

Anne Frank

Anne Frank hätte heute ihren 95. Geburtstag.

"Schaut hin und widersprecht"

Schirmherr des Anne-Frank-Tages ist Justizminister Marco Buschmann. Der FDP-Politiker ist an diesem Vormittag in der Aula des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums zu Gast. Er eröffnet ganz offiziell den bundesweiten Schulaktionstag. Der Saal ist voll gepackt, auch die Toleranz-AG ist da. Und alle hören, wie Buschmann von einem Vorfall berichtet, der sich vor einigen Tagen in Sachsen-Anhalt abgespielt haben soll.

Drei Schüler sollen an einer Bushaltestelle eine Ausgabe des Tagebuchs der Anne Frank angezündet haben. Die Polizei ermittelt deshalb wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Dieser Vorfall, erzählt Buschmann den anwesenden Schülern, gehe ihm nahe. Der Minister stellt die Frage in den Raum, ob die mutmaßlichen Täter wohl das Tagebuch gelesen haben. Hätten sie es gelesen, so Buschmann, hätten sie von einem gescheiten Mädchen erfahren, das keine Verantwortung hatte für das, was ihr angetan wurde.

Er fordert die Anwesenden auf, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. "Es braucht das Hinschauen und das Widersprechen. Wer unsere Geschichte nicht kennt, der ist potentiell dazu verdammt, sie zu wiederholen. Das darf nicht geschehen."

Als der Minister spricht, nickt der ein oder andere Schüler. Seine Grußworte fallen hier auf fruchtbaren Boden. Die Toleranz-AG braucht Buschmann jedenfalls nicht mehr zu überzeugen. Sie war es auch, die Ruth Winkelmann zu dieser Veranstaltung eingeladen hat.

Beeindruckt von der Zeitzeugin

Die Jüdin, die 1928 in der Nähe von Berlin geboren wurde, hat den Holocaust überlebt, versteckt in einer Gartenlaube. Sie lässt sich auf der Bühne von Schülern interviewen, berichtet über ihren Alltag und fordert die Anwesenden zu mehr Toleranz auf. "Wer tolerant ist, hasst nicht und vernichtet auch nicht. Das wäre eigentlich das Allerwichtigste, was wir lernen müssen." 

Ruth Winkelmann sieht nicht mehr gut und geht an Krücken. Sie ist eine der letzten noch lebenden Zeitzeuginnen. "Solange ich noch sprechen kann und mein Gedächtnis funktioniert", verspricht sie den Schülern, "werde ich über diese schreckliche Zeit berichten. Ich spreche für andere, die es heute nicht mehr können. Für große Teile meiner Familie, die im KZ getötet wurden und auch für Anne Frank."

Der Bericht der Zeitzeugin hinterlässt Eindruck bei den Schülerinnen und Schülern der Toleranz-AG. "Der Tag kann mehr bewirken als man denkt", fasst die 13-Jährige Clara am Ende die Veranstaltung an ihrer Schule zusammen. Eine von vielen am 95. Geburtstag von Anne Frank.

"Manche Leute werden vielleicht sagen, es ist doch nur ein Tag, was ist da jetzt besonders dran?", so die Schülerin. "Ich denke, er kann zum Nachdenken anregen. Das ist in diesen Zeiten schon eine ganze Menge".  

 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. Juni 2024 um 12:00 Uhr.