Flugblatt-Affäre Weitere Kritik an Aiwanger-Verbleib
Die Kritik an der Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten Söder, an seinem Vize Aiwanger festzuhalten, reißt nicht ab. Der Historiker Benz nennt sie "verheerend". Heute will Aiwanger beim Frühschoppen auf dem Gillamoos-Volksfest auftreten.
Die Kritik an der Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), an seinem Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) trotz dessen Flugblatt-Affäre festzuhalten, hält an. Der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, Wolfgang Benz, kritisierte Söders Vorgehen als "verheerend".
"Es bestürzt mich als Bürger, wie wenig sich Aufklärung durchsetzt", sagte der Historiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Söders Entscheidung ist schwierig bis verheerend. Ob das eine Zäsur ist, werden wir nach der Landtagswahl wissen."
Historiker Benz: Aiwanger "hat nichts gelernt"
Benz vermutet allerdings, dass Aiwanger, der bayerischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident ist, eher Stimmen gewinnen als verlieren werde. Er fügte hinzu: "Dieses antisemitische Flugblatt und die offensichtlich rechtsextremistischen Aktivitäten Aiwangers würde ich als Jugendsünden abtun, wenn er sich gleich klar dazu geäußert und seiner Scham Ausdruck verliehen hätte. Doch er hat nichts gelernt und schiebt unter Druck seinen Bruder vor."
Aus Sicht des Wissenschaftlers hat sich der Chef der Freien Wähler auch durch seine öffentlichen Auftritte wie zuletzt in Erding in die Nähe von Querdenkern gebracht. "Das ist zusammen genommen ein so starkes Stück, dass ich Aiwanger nicht mehr an der richtigen Stelle sehe."
Klingbeil: Söder hat "den Buckel gemacht vor dem Aiwanger"
Scharfe Kritik an Söders Entscheidung kommt auch von der SPD-Spitze. Parteivorsitzender Lars Klingbeil warf dem CSU-Chef vor, sich vor "ernsthaften Problemen" in Bayern wegzuducken: "Der guckt nur auf sich selbst, aber nicht auf dieses Bundesland, sagte er auf dem Gillamoos-Volksfest.
Und auch zu Aiwanger findet der SPD-Chef klare Worte: Die Äußerungen zu der Affäre habe er nicht als ernsthafte Entschuldigung wahrgenommen. Stattdessen habe sich Aiwanger in Bierzelten als Opfer einer Medienkampagne dargestellt. Das sei "unanständig", da werde der politische Diskurs verschoben. "Hubert Aiwanger und Markus Söder sind spätestens seit diesem Wochenende keine Vorbilder mehr für junge Menschen, die in der Politik was erreichen wollen", holte Klingbeil weiter aus.
Esken: "Ein fatales Signal"
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ist offenbar gleicher Ansicht: "Die Entscheidung von Markus Söder ist in meinen Augen ein großer Fehler und sie ist ein fatales Signal", sagte Esken der Düsseldorfer "Rheinischen Post".
Söders Entscheidung sei Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die NS-Zeit, Antisemitismus und Rassismus verharmlosten, ergänzte Esken. "Eine solche Haltung darf keinen Platz in unserer Gesellschaft und erst recht nicht auf einer Regierungsbank finden", forderte die SPD-Chefin. Vor allem Aiwangers heutiger Umgang mit der Affäre "zeigt für mich ganz klar, dass er ungeeignet ist, Verantwortung in einer Regierung zu übernehmen".
Haßelmann: Söder hat sich "für Taktik statt Haltung entschieden"
Die Bundestagsfraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann, schrieb auf der Internet-Plattform X, ehemals Twitter: "Markus Soeder hat sich mit seiner Entscheidung zu Aiwanger für Taktik statt Haltung entschieden."
Für Bayerns Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze ist "etwas verrutscht im Umgang mit der Erinnerungskultur", dafür trage auch Söder die Verantwortung. "Jeder, der jetzt in Zukunft was Antisemitisches sagt, kann sich dann eigentlich im Endeffekt auf den stellvertretenden Ministerpräsidenten in Bayern beziehen", sagte sie im "Heute Journal" des ZDF.
Schuster: Festhalten an Aiwanger nachvollziehbar
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, bezeichnete Söders Festhalten an Aiwanger dagegen als insgesamt nachvollziehbar. "In der Gesamtbetrachtung ist die Entscheidung des Ministerpräsidenten für mich nachvollziehbar", sagte Schuster laut Mitteilung. Der Umgang Aiwangers mit den Vorwürfen bleibe allerdings irritierend. "Immer wieder betonte er eine politische Kampagne gegen ihn als Person und konnte sich erst spät zu einer Entschuldigung durchringen." Er vermisse bei Aiwanger bisher "eine wirkliche innere Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und seinem Verhalten zur Schulzeit".
Hofreiter: Söder ist "hemmungsloser Opportunist"
Der bayerische Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter sagte im Inforadio rbb24, Söder habe sich bei zentralen Fragen wie Antisemitismus und Umgang mit der demokratischen Kultur "als hemmungsloser Opportunist und reiner Machtzyniker erwiesen". Das sei das ein fatales Signal in schwierigen Zeiten.
Aiwangers Entschuldigung sei halbherzig gewesen, so Hofreiter: "Stattdessen macht er eine rechtspopulistische Kampagne daraus. Sogar zum Teil in der Wortwahl eines der bekanntesten Rechtspopulisten der Welt - nämlich mit 'Hexenjagd' - das ist die Wortwahl von Herrn Trump, wenn es um berechtigte Fragen geht."
Freier-Wähler-Fraktionschef verteidigt Aiwanger
Aiwanger, der am Sonntag bei einem Auftritt in einem Bierzelt von einer "Schmutzkampagne" gesprochen hatte, wird vom Fraktionschef der Freien Wähler im bayerischen Landtag, Florian Streibl, verteidigt. Wenn man mit solchen Vorwürfen überzogen werde, sei das eine "wahnsinnige Belastung für einen Menschen", sagte er im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Die Entscheidung von Söder, Aiwanger im Amt zu belassen, hält Streibl für notwendig. "Alles andere wäre nach meiner Meinung nicht verhältnismäßig. Er hoffe, dass man jetzt wieder zur Tagesordnung übergehen könne, das Land habe andere Probleme als das, was vor 35 Jahren auf einer Schultoilette passiert ist, so Streibl.
Aiwanger tritt beim Gillamoos-Frühschoppen auf
Aiwanger wird heute neben anderen bayerischen Spitzenpolitikern beim traditionellen Schlagabtausch auf dem Volksfest Gillamoos in Abensberg auftreten. Erwartet werden unter anderem Ministerpräsident Söder, der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sowie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
Der Frühschoppen beim Gillamoos-Volksfest ist nach dem politischen Aschermittwoch die zweite große politische Veranstaltung im Jahr in Bayern, bei der Politiker verschiedener Parteien am selben Tag für ihre Politik werben. In diesem Jahr steht die Veranstaltung im Zeichen der Landtagswahl in Bayern am 8. Oktober.