Friedenspreisträger Zhadan "Es ist schwer, menschlich zu bleiben"
Die Menschen dürfen ihre Werte nicht verlieren, auch nicht im Krieg, sagt der ukrainische Autor Serhij Zhadan. Die Angst dürfe nicht gewinnen. Heute wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt.
"Die Kultur darf nicht schweigen, auch nicht während des Krieges", sagt der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan in einem Interview am Rande einer Lesung in Kiew. "Wenn die Kultur schweigt, wenn Schriftsteller nicht mehr schreiben, dann bedeutet das, dass die Angst gewonnen hat."
Die Literatur könne leider nicht viel tun. Generäle und Soldaten, nicht Schriftsteller, gewönnen Kriege. "Aber es gibt ein Leben hinter der Front, dort ist das ganze Land", sagt Zhadan.
Und dieses Land kann nicht mit Angst, Hass und Verzweiflung leben. Die Menschen dürfen ihre Werte nicht verlieren. Und dazu kann Kultur beitragen. Wenn Schriftsteller schreiben, Musiker musizieren und im Theater gespielt wird, dann geht es nicht um Unterhaltung, sondern um ein erfülltes Leben. Und die Besatzer schaffen es nicht, dieses Leben zu stoppen.
Jüngstes Buch: "Der Himmel über Charkiw"
Zhadan, der in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, wurde 1974 in Starobilsk geboren, in der Region Luhansk im Osten der Ukraine, die zu den von Russland annektierten Gebieten gehört. Heute lebt er in Charkiw, und von der Großstadt im Nordosten der Ukraine handelt auch sein jüngstes Buch mit dem Titel "Der Himmel über Charkiw". Es geht um das Überleben im Krieg, den Zhadan seit Jahren hautnah miterlebt.
Zhadan erklärt, sein Buch beschreibe, wie der Krieg eine Parallelwelt eröffne: "Denn der Krieg, der dort schon im Jahr 2015 begann, als die Russen die Stadt Debaltseve einnahmen, war und ist sehr speziell. Da war es an einem Ort friedlich und 50 Kilometer weiter tobten die Panzerschlachten." Es sei schwer, unter solchen Bedingungen bei sich selbst zu bleiben, menschlich zu bleiben, so der Autor. "Aber es ist möglich. Und der Hauptfigur in meinem Buch gelingt das."
Protagonisten, die sich gegen Übermächte wehren
In seinen Romanen, Essays, Gedichten und Songtexten führe Zhadan in eine Welt, die große Umbrüche erfahren habe und zugleich von der Tradition lebe, hieß es in der Begründung des Stiftungsrates für die Vergabe des Friedenspreises. Seine Texte erzählten, wie Krieg und Zerstörung in diese Welt einziehen und die Menschen erschüttern. Zhadans Bücher handeln oft von Protagonisten, die sich gegen Übermächte zu Wehr setzen - so wie heute die Ukraine gegen den übermächtigen Nachbarn Russland.
Dass der Krieg das Verhältnis der Ukrainer zu den Russen nachhaltig verändern werde, obwohl die jeweilige Kultur und Sprache der beiden Nachbarvölker die gleichen Wurzeln haben, will Zhadan nicht ausschließen. "Das ist eine schwere Frage, eine sehr schwere Frage", meint er.
Denn die Kultur und die Sprache ist tief in einem Menschen verankert, und das kann man nicht so einfach aufgeben. Aber bestimmt werden viele Ukrainer ihre Beziehungen zu Russland revidieren. Man kann heute schwer die gleiche Haltung zu Russland haben, zur russischen Kultur und Literatur, wie noch vor einem Jahr.
Andererseits könne Pushkin nichts dafür, dass Putin geboren wurde. "Und doch wird das alles revidiert."
"Faschist, weil ich ukrainisch schreibe"
Auch die deutsche Sprache ist dem Romancier, Lyriker und Musiker Zhadan nicht fremd. Wohl aber der immer wiederkehrende Vorwurf aus Russland, alle Ukrainer seien Nazis und Faschisten. Auch er selbst werde oft so bezeichnet - lächerlich, meint Zhadan. "Wenn man gegen Russland ist, ist man ein Nazi und ein Faschist. Alle Ukrainer sind Nazis, alle Polen, Litauer, weil sie gegen Russland sind. Auch über mich lese ich das in russischen Zeitungen. Denn ich spreche ukrainisch, ich schreibe ukrainisch, und das ist für sie Grund genug, mich als Faschisten zu bezeichnen. Ich denke, darüber kann man nur lachen."
Mit seiner Band "Zhadan i Sobaky", was so viel heißt wie "Zhadan und die Hunde", ist der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels in den vergangenen Monaten immer wieder im Kriegsgebiet aufgetreten, in U-Bahnschächten in Charkiw, die als Luftschutzkeller dienten - und auch vor ukrainischen Soldaten, an der Front.