Interview

Interview zum Zustand der FDP Viel Schatten, wenig Licht bei den Liberalen

Stand: 21.04.2012 02:19 Uhr

Die FDP kämpft ums Überleben. Der Parteitag in Karlsruhe soll kurz vor wichtigen Landtagswahlen den Wendepunkt markieren. Aber wie konnte es überhaupt zu einem derartigen Absturz kommen? Warum haben sich so viele von der FDP abgewendet? Was können die Liberalen dagegen tun? Das erklärt Meinungsforscher Richard Hilmer von Infratest dimap im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau. de: Sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Nordrhein-Westfalen steht der Wiedereinzug der FDP in den Landtag auf der Kippe. Wo hat sie die größeren Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde doch noch zu überwinden?

Richard Hilmer: In beiden Bundesländern besitzt die FDP ein eigenes starkes Landesprofil. Das ist in Schleswig-Holstein mit Wolfgang Kubicki seit geraumer Zeit der Fall. Für die NRW-FDP trifft das spätestens nach der Übernahme des Landesverbandes durch Christian Lindner zu. Auch dort ist die FDP jetzt so gut aufgestellt wie sonst nirgends. In Schleswig-Holstein steht die FDP zudem in Regierungsverantwortung, hat auch durchaus Chancen, sich aus der Regierung heraus zu profilieren. Das sollte zumindest die Bedingungen verbessern, was die jüngsten Daten aus Schleswig-Holstein auch belegen. Die FDP robbt sich dort langsam an die Fünf-Prozent-Marke heran beziehungsweise hat sie gerade ganz aktuell erreicht. Davon ist man auf Bundesebene noch weit entfernt.

Zur Person
Richard Hilmer ist Geschäftsführer des Berliner Meinungsforschungsinstitutes Infratest dimap. Seit 1997 liefert sein Institut Zahlen und Analysen für die ARD-Wahlberichterstattung. Hilmer wird auch "öffentlich-rechtlicher Volksvermesser" genannt.

tagesschau. de: Warum hat die Partei nach der Bundestagswahl 2009 so drastisch an Zustimmung verloren?

Hilmer: Die FDP hat Versprechen gegeben, für die sie gewählt wurde, die sie aber nicht halten konnte - Stichwort "Steuersenkungen". Sie hat dann Beschlüsse, eben auch Steuersenkungsbeschlüsse, für bestimmte Gruppen gefasst, wie die berühmte Hotelsteuer. Das hat ihr das alte Klischee der Klientelpartei wieder anhängen lassen.

Zudem verstand es Guido Westerwelle nie, die Doppelrolle als Parteivorsitzender und Außenminister wirklich auszufüllen und die beiden Tätigkeiten zu verbinden, die unterschiedliche Eigenschaften fordern. Der Parteivorsitzende muss angreifen. Der Außenminister muss Fingerspitzengefühl beweisen. Personell war also die Partei zu sehr auf Westerwelle ausgerichtet, programmatisch zu sehr fokussiert auf das Thema "Steuersenkung". Das hat beides offensichtlich nicht getragen. Der Versuch, den Einbruch durch das oft bewährte Mittel des Führungswechsels zu kompensieren, hat offensichtlich wenig gefruchtet. Die FDP blieb im Keller.

"Die FDP hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt"

tagesschau. de: Hat die FDP vor allem ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Hilmer: Die FDP hat ein riesengroßes Glaubwürdigkeitsproblem, vor allem auch in Vergleich zu anderen Parteien. Sie hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Sie hat Entscheidungen getroffen, die ihren Anspruch, das Allgemeinwohl und nicht nur eine bestimmte Klientel im Auge zu haben, unterminierte. Nach wie vor hat sie kein Thema gefunden. Die Steuersenkung hat sie aufgegeben, will jetzt mehr auf Schuldenabbau und Wachstum setzen. Das ist sicherlich eine eher realisierbare Strategie. Aber noch wird diese Botschaft nicht der FDP zugeschrieben. Wachstum ist ja vorhanden, und die Schuldenbremse ist gut unterwegs. Aber noch werden diese Leistungen nicht der FDP zugeschrieben.

tagesschau. de: Im letzten ARD-DeutschlandTrend musste FDP-Chef Philipp Rösler einen neuen Minusrekord verkraften. 74 Prozent der Befragten sind mit seiner Arbeit weniger oder gar nicht zufrieden. Was macht Rösler aus Sicht der Menschen falsch?

Hilmer: Rösler hat einige Erfolge erzielen können, zum Beispiel die Durchsetzung von Joachim Gauck als schwarz-gelbem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Er hat dann sicherlich diesen Erfolg etwas zu öffentlich, fast schon provokativ, gefeiert und sich um denselben gebracht. Rösler agiert bisweilen unglücklich. Er hat bisher noch nicht die Führungsqualität bewiesen, die die FDP braucht, um wieder in die Spur zu kommen. Der Verlust von Lindner als Generalsekretär war für Rösler sicher schmerzhaft und bringt ihn jetzt in ein Dilemma. Verliert die FDP in Nordrhein-Westfalen, dann verliert Rösler. Gewinnt die FDP in Nordrhein-Westfalen, dann gewinnt Lindner - und nicht Rösler.

tagesschau. de: Welche Bevölkerungsgruppen hat die FDP besonders stark enttäuscht?

Hilmer: Das geht querbeet. 2009 erhielt die FDP Zuspruch aus allen möglichen Bevölkerungsschichten. Das waren nicht nur die Selbstständigen, nicht nur die Besserverdienenden. Das waren auch Niedrigeinkommensbezieher. Selbst Arbeitslose sprachen sich für die FDP aus, weil sie sich Einkommensverbesserungen durch Steuersenkungen versprachen. Massiv verloren hat die FDP bei ihrer Kernklientel. Selbst bei den Selbstständigen erreicht sie derzeit keine fünf Prozent. Dort war die Entäuschung besonders groß. Ein solches Erlebnis zu überwinden, ist schwierig. Der Weg nach oben ist immer deutlich mühsamer als der nach unten.

"Woanders kaum Chancen"

tagesschau. de: Wer wählt die FDP eigentlich noch?

Hilmer: Das ist nicht mehr so ganz ohne Weiteres festzustellen, wenn eine Partei bei drei Prozent liegt. Die FDP ist nicht mal mehr bei den Selbstständigen zweistellig, weil ihr die wirtschaftspolitische und steuerpolitische Kompetenz abgesprochen wird. Wenn die FDP diese Gruppen nicht mehr erreicht, hat sie woanders kaum Chancen.

tagesschau. de: In Karlsruhe beschließen die Liberalen ein neues Grundsatzprogramm, das schon jetzt auch parteiintern nicht als der ganz große Wurf gilt. Sind Begriffe wie Freiheit, Fortschritt und Wachstum die Wegweiser in eine bessere Zukunft? Erreichen solche Botschaften ihr Ziel?

Hilmer: Das muss man abwarten. Immerhin hat es die Piratenpartei geschafft, mit dem Freiheitsbegriff durchaus Furore zu machen. Auch die Piraten stehen für Datenschutz. Da ist der FDP zusätzlich zu den Grünen eine neue Konkurrenz erwachsen. Wachstum ist ein Plus der Bundesrepublik insgesamt. Aber unsere Umfragen zeigen auch, dass dieses Wachstum in erster Linie den Unternehmen und den Beschäftigten zugeschrieben wird und erst in zweiter Linie der Politik. Und dann zahlt das Wachstum noch nicht mal auf das Konto der jetzigen schwarz-gelben Bundesregierung ein, sondern auf das der vorangegangenen großen Koalition.

Die Fragen stellte Ute Welty, tagesschau.de