Fragen und Antworten zur Arbeitnehmerfreizügigkeit Populismus oder berechtigte Sorge?
Die CSU drängt nach Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren auf Beschränkungen bei der Zuwanderung aus beiden Ländern. Aber sind die Sorgen vor einer Zuwanderungswelle arbeitsloser Migranten aus diesen Ländern überhaupt berechtigt? Und widerspricht die CSU-Forderung geltendem EU-Recht?
Was bedeutet die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU?
Einer der Grundpfeiler der EU ist das Recht auf Freizügigkeit aller EU-Bürger. Dazu gehört auch die Möglichkeit, in einem anderen Mitgliedstaat Arbeit zu suchen. Dieser Rechtsanspruch wurde bereits 1957 in den EU-Verträgen verankert.
Demnach darf sich jeder EU-Bürger drei Monate lang ohne Vorbedingungen in einem anderen EU-Land aufhalten. Wer nach den ersten drei Monaten in dem Land arbeitet, hat ein unbeschränktes Aufenthaltsrecht. Wer Arbeit sucht, darf sechs Monate oder länger bleiben, wenn er "begründete Aussicht" auf Arbeit hat. Alle anderen dürfen länger als drei Monate bleiben, wenn sie für sich selbst und ihre Familie finanziell eigenständig sorgen können und krankenversichert sind.
Warum gab es Ausnahmen?
Deutschland und Österreich hatten nach der EU-Osterweiterung das Recht auf Freizügigkeit für Bürger der osteuropäischen Beitrittsländer zunächst eingeschränkt. Dies war vom EU-Recht gedeckt, um Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt durch zuwandernde Niedriglöhner zu verhindern. Rumänien und Bulgarien sind die ärmsten EU-Staaten. Sie hatten bei ihrem Beitritt 2007 deshalb akzeptiert, dass die Freizügigkeit für ihre Staatsbürger erst mit sieben Jahren Verspätung gilt.
Am 1. Mai 2011 endeten die Übergangsregelungen für die EU-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Lettland, Litauen und Estland. Seit dem 1. Januar gilt nun auch für Bürger aus Bulgarien und Rumänien die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in allen EU-Staaten. Eine Erlaubnis, um in Deutschland arbeiten zu dürfen, ist nun auch für Rumänen und Bulgaren nicht mehr nötig.
Für Bürger aus dem neuen Mitgliedsland Kroatien gelten allerdings weiterhin Beschränkungen in Deutschland - möglicherweise bis zum Jahr 2020.
Gibt es Anzeichen für "Armutsmigration"?
Nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesagentur für Arbeit (IAB) könnten durch den Wegfall der Beschränkungen in diesem Jahr in Deutschland 100.000 bis 180.000 Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien hinzukommen. Zum Vergleich: Nach Angaben der Bundesregierung lebten im Oktober etwa 262.000 Rumänen und 145.000 Bulgaren in Deutschland.
Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger kann laut IAB zum Jahresende 2014 optimistisch gerechnet auf 50.000 bis 58.000 steigen - unter extrem pessimistischen Annahmen allerdings auf 80.000 bis 93.000. Für Deutschland ergeben sich dem IAB zufolge Risiken aus der geringen Qualifikation der Zuwanderer. Nach dem Mikrozensus 2011 verfügen 46 Prozent der Bulgaren und Rumänen, die nach 2007 zugewandert sind, über keine abgeschlossene Berufsausbildung. "Die ökonomischen und sozialen Probleme konzentrieren sich auf einige strukturschwache Kommunen", heißt es in der Studie des Instituts.
Der Migrationsforscher und Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus Zimmermann, erwartet keine massenhafte Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Zudem sei die Mehrheit der Zuwanderer aus diesen beiden Staaten "gut qualifizierte Fachkräfte wie Ärzte, Ingenieure, Spezialisten, die bei uns dringend gebraucht werden". Er verweist auch auf die konkreten Zahlen: So ist die Arbeitslosigkeit der Bulgaren und Rumänen, die hier in Deutschland leben, mit 7,4 Prozent deutlich geringer als im Durchschnitt aller hier lebenden Ausländer: 14,7 Prozent von ihnen waren Mitte 2013 arbeitslos. Im Bevölkerungsdurchschnitt betrug die Arbeitslosigkeit im gleichen Zeitraum 7,7 Prozent.
Können EU-Bürger Sozialleistungen in Deutschland beziehen?
Das Recht auf Freizügigkeit beinhaltet kein Recht auf "Einwanderung" in nationale Sozialsysteme, wie die EU-Kommission klarstellte. So gelten für Arbeitslosengeld und Sozialhilfe bestimmte Bedingungen: Für zuziehende EU-Ausländer gilt generell eine dreimonatige Sperre, bevor sie Hartz IV beziehen können. Auch danach gibt es nach Angaben des Arbeitsministeriums keine Zahlungen, solange ein Ausländer aus einem anderen EU-Staat in Deutschland Arbeit sucht. Erst wenn er eine Arbeit gefunden hat, erhält er Anspruch auf Hilfe - etwa auf die Aufstockung eines niedrigen Lohns, der nicht zum Leben reicht.
Anders verhält es sich dagegen mit dem Kindergeld: Darauf haben in Deutschland lebende Familien aus anderen EU-Ländern unabhängig von einer Erwerbstätigkeit Anspruch - und zwar auch dann, wenn die Kinder nicht in Deutschland leben. Forderungen, die Kindergeldzahlungen an den Schulbesuch in Deutschland zu koppeln, hat das Bundesfamilienministerium als verfassungsrechtlich nicht machbar verworfen.
Der Anteil der Kindergeldempfänger unter den hier lebenden Bulgaren und Rumänen betrug zur Jahresmitte 2013 8,8 Prozent. Das war etwas geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt (10,8 Prozent) und deutlich geringer als im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung (15,0 Prozent).
Auch deshalb sind die Konsequenzen der Zuwanderung aus EU-Staaten für die nationalen Sozialhaushalte nach EU-Angaben gering. In Deutschland seien 2012 nur 4,2 Prozent der Arbeitssuchenden, die Sozialleistungen erhielten, zugewanderte EU-Bürger gewesen.
Was fordert die CSU?
Die CSU warnt vor einer Armutszuwanderung. Sie will Ausländern den Zugang zum deutschen Sozialsystem erschweren - etwa durch die konsequente Anwendung der dreimonatigen Sperrfrist für Hartz-IV-Hilfen an Zuwanderer. In dem umstrittenen CSU-Papier heißt es unter der Überschrift "Keine Armutsmigration in die Kommunen begünstigen" : "Eine Zuwanderung in unsere sozialen Sicherungssysteme lehnen wir ab." Weil die Zuwanderung Kommunen an die Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit bringe, sei es das Ziel der Partei, falsche Anreize zur Zuwanderung zu verringern. Zudem solle beispielsweise bei Sozialleistungsbetrug der Grundsatz gelten: "Wer betrügt, der fliegt."
Widerspricht die CSU-Forderung geltendem EU-Recht?
Die CSU referiert in dem Papier im Grunde die geltende Rechtslage in der EU und fordert deren Anwendung. In den ersten drei Monaten gibt es zwar für Arbeitssuchende keine Vorbedingungen mehr - aber eben auch keine Verpflichtung des deutschen Staates, sie dabei materiell zu unterstützen. "Es gibt ein Recht auf Freizügigkeit, aber kein Recht auf Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme", stellte das deutsche Büro der EU-Kommission unter Berufung auf das EU-Recht zur aktuellen Debatte klar. Nur arbeitende EU-Bürger hätten Recht auf Sozialleistungen. Auch eine Wiedereinreisesperre ist möglich. Großbritannien kürzt bereits ab diesem Jahr die Unterstützungsleistungen für Einwanderer aus EU-Staaten.
Der Grund für den Streit über die CSU-Forderungen ist vor allem im Tonfall zu suchen: insbesondere angesichts der Formulierung "Wer betrügt, der fliegt" werfen Kritiker der Partei Populismus vor.