Ex-Außenminister zu Afghanistan-Einsatz "Es war ein Sprung ins kalte Wasser"
"Lehren aus Afghanistan" will eine Bundestagskommission ziehen - und lud dazu heute unter anderem Ex-Außenminister Fischer ein. Er nannte den Einsatz keinen Fehler, räumte aber Defizite ein.
Der Stargast des Tages scheint - zumindest äußerlich - vor Begeisterung auf das Bevorstehende nicht eben überzulaufen: Die Arme vor der Brust verschränkt, in seinem Stuhl weit nach hinten gelehnt, die Augen halb geschlossen, hat Joschka Fischer schon lange vor Beginn der Befragung im Halbrund des Sitzungssaals des Bundestags Platz genommen. Doch als es losgeht, ist der ehemalige Außenminister hellwach und in seiner Analyse glasklar.
Eine deutsche Weigerung, sich am Afghanistan-Engagement der USA zu beteiligen, sei nach den Anschlägen der Al-Kaida-Terroristen 2001 in New York undenkbar gewesen: "Wären wir nicht mitgegangen, hätten wir dafür einen enorm hohen Preis gezahlt im Bündnis", so Fischer. Doch der 75-Jährige belässt es nicht dabei, die im Saal Versammelten auf eine Zeitreise zurück ins Jahr 2001, zu den Anfängen des Afghanistan-Einsatzes, mitzunehmen. Er zieht eine klare Verbindungslinie zu heute.
"Machen sie sich mal keine Illusionen"
Aus Fischer Sicht ist die Abhängigkeit von den USA, damals wie heute, riesig - die deutschen Handlungsspielräume genau deshalb gering. "Machen sie sich mal keine Illusionen, was unsere Abhängigkeit heute betrifft!", mahnt der Grünen-Politiker. Was ihn zu der - aus seiner Sicht - vielleicht wichtigsten Lektion aus Afghanistan führt: Ohne militärisches Gewicht, ohne "hard power", wie Fischer es nennt, werde es die deutsche Politik auch in Zukunft schwer haben.
"Wenn wir mehr leisten wollen und mehr politisch leisten wollen, werden wir die entsprechenden Fähigkeiten zur Verfügung stellen müssen. Sonst werden das positive Absichten bleiben - aber es wird nix werden." Genau das ist das Ziel der Enquete-Kommission mit ihrer ehrgeizigen Aufgabe, 20 Jahre am Hindukusch aufzuarbeiten: Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Dass die Bundeswehr damals völlig unvorbereitet - und unzulänglich ausgerüstet - in diesen Einsatz geschickt wurde, leugnet heute niemand mehr. Doch jenseits dessen gingen auch an diesem Tag, an dem eine ehemalige Bundesministerin und zwei ehemalige Minister befragt wurden, die Meinungen durchaus auseinander.
Joschka Fischer (rechts) war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister - und schien vor der Sitzung der Enquete-Kommission, so die Einschätzung unseres Korrespondenten - nicht eben überzulaufen vor Begeisterung.
"Keimzellen der Hoffnung"
"Jetzt kommt vielleicht ein problematischer Gedanke", so leitete der ehemalige Kanzleramtschef und spätere Verteidigungs- und Innenminister Thomas de Maiziere eine seiner Schlussfolgerungen ein. "Deutschland hat sich über die Zeit das Afghanistan-Einsatzes als Sicherheitsmacht Respekt verschafft - was es vorher nicht hatte", meint der CDU-Politiker.
Auch bei der Frage der Sinnhaftigkeit des deutschen Einsatzes kamen die Befragten zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. "War alles umsonst? Nein", lieferte die ehemalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul Frage und Antwort gleich in einem Atemzug. "In den 20 Jahren freiere Lebenschancen für junge Menschen und für Frauen - da sind Keimzellen der Hoffnung, die meines Erachtens niemand beiseiteschieben kann und darf.“
Der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, war für ein genaues Bild der Sicherheitslage in Afghanistan zuständig. Er berichtete von ständig kleiner werdenden grünen Zonen - Gebiete unter Regierungskontrolle - und ständig größer werdenden roten Zonen - Gebiete unter Kontrolle der Taliban.
Zweifel, die bis heute dauern
"Ich hatte während meiner Amtszeit 2012 bis 2016 große Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Afghanistan-Engagements. Und habe diese Zweifel noch heute", bekundete der ehemalige BND-Chef. Der auf die Frage, ob er denn diese Zweifel damals auch so klar geäußert hätte, antwortete, die Berichte seien eigentlich selbsterklärend gewesen.
Von einem Fehler, sich beteiligt zu haben, mochte Ex-Außenminister Fischer, nicht sprechen. Merkte aber durchaus kritisch an, dass man damals, 2001, nicht übermäßig mit Wissen über Afghanistan gesegnet gewesen war. Oder um seine Worte zu benutzen: Mit einer "großen Kompetenzkiste" sei man damals nicht angetreten - weder militärisch noch entwicklungspolitisch noch diplomatisch. "Es war ein Sprung ins kalte Wasser."
Und heute - über 20 Jahre danach - gab der ehemalige Außenminister unumwunden zu, sei die Situation nach der Wiedererlangung der Macht durch die Taliban "schrecklich".