Joschka Fischer beim Literaturfestival Lit.Cologne 2018
Porträt

Joschka Fischer wird 75 Vom Revoluzzer zum Berater des Establishments

Stand: 12.04.2023 14:46 Uhr

Er trat in Turnschuhen zur Vereidigung an. Seine schlechten Launen sind legendär. Und auch als Außenminister musste er mit Krisen und Katastrophen umgehen. Nun wird der Revoluzzer von einst 75.

Von Sabine Henkel, ARD Berlin

"Ein gewisser persönlicher Radikalismus ist mir nicht fremd, das kann ich nicht leugnen. (...) Ich hatte immer ein Autoritätsproblem", sagt Josef Martin Fischer, aka Joschka, der Revoluzzer mit Autoritätsproblem.

Er war der erste Politiker, der sich in Turnschuhen vereidigen lässt. Ein Minister in Sneakern - respektlos sagen sie in Hessen und ahnen noch nicht, wie Fischer später in Bonn die Autorität des Bundestagsvizepräsidenten torpedieren wird. Richard Stücklen hatte ihn wegen mehrerer Zwischenrufe von der Sitzung ausgeschlossen. In Pepe Danquarts Kino-Dokumentation "Joschka und Herr Fischer" erinnert sich Fischer: "Dann bin ich aufgestanden und es fielen die Worte, die nicht mehr im Protokoll sind: Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch."

Joschka Fischer wird 75

Benjamin Holler, HR, tagesschau24 23:00 Uhr

Es sind die Zeiten, als die Grünen noch als seltsame Spezies gelten: Ostermarschierer, Feministinnen, Rauschebärte, Ökoschlappen. Und eben Fischer: Er steht mit Sonnenbrille und ausgebeulten Hosen am Rednerpult. Sein Auftritt ist in den Anfangszeiten pure Provokation. Er - der Schulabbrecher, Taxifahrer, Steinewerfer - fällt aus allen Rahmen. Wie heute Robert Habeck, aber doch ganz anders. "Wir sind unterschiedlich, sehr unterschiedlich. Ich schätze Robert sehr, aber ich bin ein völlig anderer Typ", meint Fischer.

Joschka Fischer wird 1985 von Holger Börner als Minister für Umwelt und Energie im Landtag in Wiesbaden vereidigt.

Fischers Vereidigung als Umweltminister in Hessen sorgte 1985 für Aufsehen ...

Wandlung im Laufe der Jahre

Der Typ Fischer wandelt sich im Laufe der Jahre. Tauscht Turnschuhe gegen Budapester. Mal ist er dick, mal ist er dünn. Und selten ist er gut gelaunt. Seine schlechte Laune ist legendär. Vor allem Journalisten und Journalistinnen bekommen sie zu spüren. "Wenn ich Sie alle hier so sehe, frage ich mich, was Sie eigentlich von mir wollen", sagte er einmal zu ein paar von ihnen.

Bei den Grünen kämpft Fischer gegen die Fundis - sie stellen seine Autorität in Frage. Beim Parteitag in Bielefeld 1999 fliegen Farbbeutel - weil Fischer, im Außenminister-Establishment angekommen, deutsche Soldaten in den Krieg auf den Balkan schicken will. Kritik daran bolzt er unwirsch weg: "Ja, jetzt kommt, ich hab nur darauf gewartet. 'Hier spricht ein Kriegshetzer' und Herrn Milosevic schlagt ihr demnächst für den Friedensnobelpreis vor, nicht wahr?"

Joschka Fischer kurz nachdem er auf dem Sonderparteitag der Grünen zum Kosovo-Krieg von einem Farbbeutel getroffen wurde.

Joschka Fischer kurz nachdem er 1999 auf dem Sonderparteitag der Grünen zum Kosovo-Krieg von einem Farbbeutel getroffen wurde.

Autorität der USA offen infrage gestellt

Krisen, Konflikte, Katastrophen sind der Job des Joschka Fischer. Im Irak-Krieg lernen die Vereinigten Staaten einen deutschen Außenminister kennen, der ihrer Linie nicht folgt und die Autorität der USA offen infrage stellt. Es ist das erste Mal, dass sich eine Bundesregierung gegen die USA positioniert. Das war 2003. Zwei Jahre später ist Rot-Grün abgewählt.

Der Außenminister Fischer verlässt die politische Bühne und versilbert seine Karriere. Der Revoluzzer von einst berät heute das Establishment. Unternehmer und Politikerinnen suchen seinen Rat. "Insgesamt kann ich mich nicht beschweren", ist er zufrieden.

Fischer mit Sonnenbrille am Pult des Bundestages 1983

Fischer mit Sonnenbrille am Pult des Bundestages im Jahr 1983...

Sabine Henkel, Sabine Henkel, ARD Berlin, 12.04.2023 13:22 Uhr