Feroza und Naeem Ahmadzai
exklusiv

Afghanen warten auf Ausreise "Bitte vergessen Sie uns nicht"

Stand: 31.05.2023 09:26 Uhr

Mehr als 14.000 Gefährdete aus Afghanistan warten trotz Aufnahmezusage seit Monaten auf die Ausreise nach Deutschland. Zahlreiche Afghanen stecken wegen des ausgesetzten Bundesaufnahmeprogramms in Pakistan und im Iran fest.

Von Andrea Brack-Peña und Christoph Heinzle, NDR

12.600 Menschen mit Aufnahmezusage warteten derzeit in Afghanistan auf Visa und Ausreise. Das bestätigte das Auswärtige Amt auf Anfrage von NDR Info. 1480 vom Taliban-Regime Bedrohte befänden sich bereits im Iran und in Pakistan. Mehrere Tausend Gefährdete, laut Ministerium eine Zahl "im mittleren vierstelligen Bereich", wurden von deutschen Nichtregierungsorganisationen für das Bundesaufnahmeprogramm vorgeschlagen.

Ende März hatte die Bundesregierung die Visavergabe und Einreise von besonders Gefährdeten aus Afghanistan über das Bundesaufnahmeprogramm vorübergehend gestoppt, also etwa für Frauen- und Menschenrechtlerinnen, Regimegegner, Angehörige verfolgter Minderheiten oder Mitarbeitende der 2021 gestürzten Regierung.

Der Bundesregierung liegen nach Angaben des Auswärtigen Amtes "Hinweise auf mögliche Missbrauchsversuche im Rahmen der laufenden Aufnahmeverfahren aus Afghanistan vor". Lediglich in einem einzelnen Fall sei aber davon auszugehen, dass es sich um einen Gefährder handelte.

Diese Missbrauchsversuche wurden laut einer Ministeriumssprecherin im Visaverfahren entdeckt und unterbunden. Dennoch wurden Ausreisen von Personen mit Aufnahmezusagen komplett ausgesetzt, auch von ehemaligen Ortskräften der Bundesregierung.

Tausende Menschen in Afghanistan warten auf Ausreise nach Deutschland

Andrea Brack Peña/Christoph Heinzle, NDR, tagesschau24, 31.05.2023 16:00 Uhr

Familien in Pakistan und Iran gestrandet

In Pakistan und im Iran warten afghanische Familien mit Aufnahmezusage derzeit vergeblich auf ihre Visa für die Ausreise nach Deutschland. Manche sind in der Zwischenzeit obdachlos geworden, können wegen Drohungen der Taliban nicht zurück nach Afghanistan, dürfen nicht nach Deutschland und haben in Pakistan keine Lebensgrundlage. Unter den Wartenden sind Menschen, die von den Taliban mit dem Tod bedroht werden.

Die afghanische Politikerin Feroza Ahmadzai etwa hatte im vergangenen August eine Aufnahmezusage des Bundesinnenministeriums bekommen. Die Paschtunin hatte sich zehn Jahre lang im Rat der afghanischen Provinz Logar vor allem für Frauenrechte eingesetzt und war von den Taliban schriftlich mit dem Tod bedroht worden.

Entsprechende Dokumente liegen NDR Info vor, können aber nicht zweifelsfrei auf ihre Echtheit überprüft werden. Der Leiter der militärischen Kommission Logars bezeichnete Feroza Ahmadzai in einem Schreiben als "Verbrecherin und Söldnerin", die "ihre gerechte Strafe bekommen" solle. "Wenn Ihr sie erwischt, dann soll sie hingerichtet werden."

Zusammen mit ihrem Mann, einem ehemaligen Berater im Kabuler Präsidentenpalast, und fünf kleinen Kindern war die 43-Jährige im Oktober 2022 zu Gesprächen in der Deutschen Botschaft in Islamabad. Eines davon mit einem Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums.

Die deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ brachte die afghanische Familie im Auftrag und auf Kosten der Bundesregierung fünf Monate lang in einem Hotel in Pakistans Hauptstadt unter. Mehrfach gab es Kontakt über mögliche Flüge zur Ausreise nach Deutschland.

Aufnahmezusage überraschend gestoppt

Ende März dieses Jahres wurde die Aufnahmezusage dann aber überraschend und ohne Angabe von Gründen widerrufen. Die Familie kann sich das nicht erklären und bat wiederholt um ein Gespräch mit den deutschen Behörden. "Es gibt überhaupt keinen Weg zurück nach Afghanistan, wir werden dort hingerichtet", sagte Feroza Ahmadzai, "meine Familie wurde bedroht, mein Bruder und mein Vater wurden verschleppt und entführt".

Das Auswärtige Amt antwortete NDR Info ebenso wie das Bundesinnenministerium auf mehrfache Anfragen, es könne sich "aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und des Datenschutzes grundsätzlich nicht zu Einzelfällen äußern".

Die Bundesregierung arbeitet laut AA an der "schnellstmöglichen Wiederaufnahme der Ausreisen aus Afghanistan und Visumbearbeitung von Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage". Man sei zuversichtlich, "dass wir in den nächsten Wochen die angepassten Sicherheitsmechanismen, die auch Sicherheitsinterviews beinhalten, im Verfahren umsetzen können und dementsprechend die Verfahren wieder aufnehmen können".

Eine Visaerteilung in der iranischen Hauptstadt Teheran ist künftig aber nicht mehr möglich, so dass die Deutsche Botschaft in Islamabad nach Einschätzung Verfahrensbeteiligter zum Nadelöhr für Antragstellende wird.

Christoph Heinzle, NDR: "Die Menschen in Afghanistan sind in akuter Gefahr"

tagesschau24, 31.05.2023 16:00 Uhr

Kritik von Hilfsorganisationen

Hilfsorganisationen und Opposition kritisieren den Stopp der Einreisen Gefährdeter aus Afghanistan scharf. Axel Steier, Gründer von Mission Lifeline sagte NDR Info: "Wir haben da so viele Jahre Geld reingesteckt, wir haben den Menschen Versprechungen gemacht. Wir haben den Leuten die Zukunft versprochen, und jetzt lassen sie sie im Regen stehen. Das ist nicht nachvollziehbar."

Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Clara Bünger, sieht "keine Anhaltspunkte, warum das Überprüfungssystem vor Ort falsch sein sollte", weil es bei der Aufdeckung der Missbrauchsversuche ja funktioniert habe. Nach Ansicht Büngers zählt jetzt jeder Tag, weil die Betroffenen in ganz konkreter Gefahr seien. "Es kann auch Leben gefährden, wie wir auch in der Vergangenheit schon gesehen haben."

Für Feroza Ahmadzai ist Annalena Baerbock mit ihrer feministischen Außenpolitik ein Vorbild. Nun bleibt der afghanischen Politikerin nur der Appell an die Grüne und ihre Kabinettskollegin Nancy Faeser von der SPD: "Als Mutter und Frau bitte ich die Innenministerin sowie die Außenministerin um Hilfe und Aufmerksamkeit. Bitte vergessen Sie uns nicht."

Christoph Heinzle, NDR, tagesschau, 31.05.2023 10:14 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. April 2023 um 21:59 Uhr.