Abschied von Caren Miosga "Hatten Mühe, uns vor Lachen nicht in die Hose zu machen"
Eine Ära geht zu Ende: Heute moderiert Caren Miosga die tagesthemen zum letzten Mal. Im Interview erinnert sie sich an beeindruckende und langweilige Gespräche, an einen Anpfiff von Reich-Ranicki - und an Momente zum Kaputtlachen.
tagesschau.de: Caren, heute Abend moderierst du zum letzten Mal die tagesthemen. Wie mulmig ist dir zumute bei dem Gedanken daran?
Caren Miosga: Es kommt mir sehr unwirklich vor, weil ich 16 Jahre lang hier war. Das ist ja wie mein Wohnzimmer. Ich hatte das Privileg, mit einem tollen Team tagein, tagaus eine Sendung zu stemmen. Immer mit dem Ziel, die bestmögliche Sendung zu produzieren und die Welt zu erklären, abzubilden und einzuordnen. Und weil die Welt voller Überraschungen steckt und es immer etwas Neues gibt, kommt mir dieser Zeitraum auch gar nicht so lang vor. Es ist eine ganz wunderbare Aufgabe, deswegen bin ich schon traurig, dass ich diesen Platz jetzt verlasse.
Caren Miosga wurde 1969 in Peine in Niedersachsen geboren. In Hamburg studierte sie Geschichte und Slawistik. Neben dem Studium arbeitete sie als Reiseleiterin in Moskau und St. Petersburg und berichtete für den Hörfunk aus Russland. Bei mehreren öffentlich-rechtlichen und privaten Radio- und Fernsehsendern arbeitete sie als Reporterin, Redakteurin und Moderatorin. Ab 1999 moderierte sie im NDR Fernsehen das Kulturjournal. Von März 2003 an führte sie dort auch durch das Medienmagazin Zapp. Im April 2006 übernahm sie die Moderation des wöchentlichen Kulturmagazins Titel, Thesen, Temperamente im Ersten. Ab 2007 arbeitete sie als Moderatorin der tagesthemen. Nun übernimmt sie den Sonntags-Talk von Anne Will.
tagesschau.de: Durch die Sendung warst du auch in den Wohnzimmern vieler Zuschauer, die du durch den Wust von Informationen begleitet hast. Was war dir bei deiner Arbeit wichtig?
Miosga: Die Nachrichten haben sich im Lauf der Zeit verändert. Sie sind schneller geworden dadurch, dass wir jetzt im Grunde in Echtzeit berichten können. Die Menschen können im Netz quasi zuschauen, was gerade geschieht. Dadurch könnte man das Gefühl bekommen, dass wir auch in Echtzeit berichten müssten. Ich habe aber im Gegenteil den Eindruck, dass unsere Aufgabe noch wichtiger geworden ist. Zu sagen: Stopp, wir halten jetzt inne und schauen uns das genau an. Und erst wenn wir das Ganze reflektiert, diskutiert, verschiedene Stimmen eingeholt und überprüft haben, werden wir daraus einen Schwerpunkt machen. Wir sind also sogar gezwungen, noch langsamer zu sein, um ein tieferes Verständnis zu bekommen.
"Gespräche mit Staatschefs sind die langweiligsten"
tagesschau.de: Haben Zuschauer dir auch schon mal gesagt, dass sie dir nicht glauben?
Miosga: Das ist mir immer wieder passiert. Nicht im Studio, aber auf der Straße. Es gibt auch Bekannte, die dann plötzlich sagen: Es ist egal, ob ich zu dieser Landtagswahl gehe, die ist sowieso gefälscht. Oder ein anderes Beispiel: Eine Nachbarin sagte mal, in Schweden würden jeden Tag Mädchen vergewaltigt, und wir würden nicht darüber berichten. Ich habe mich mit ihr hingesetzt und ihre Quelle nachverfolgt. Dann stellte sich heraus, dass die Info aus einer unseriösen Quelle stammte, die überhaupt nicht zu überprüfen war. Umso wichtiger, dass wir Desinformation offenlegen, denn immer mehr Menschen verwechseln Fakten mit Meinungen.
tagesschau.de: Gibt es denn Momente und Erlebnisse aus all diesen Jahren, die dich nachdenklich gestimmt haben?
Miosga: Da denke ich als erstes an bestimmte Interviews. Man könnte meinen, dass Gespräche mit Staatschefs besonders aufregend seien, dabei sind das die langweiligsten. Ich hatte ein Interview mit dem damaligen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili. Ich habe nur eine Frage stellen können, da hat er einfach einen langen Monolog gehalten. Unfassbar dreist. Klar ist es faszinierend, Emmanuel Macron zu treffen, aber auch der glaubt, dass er sich nicht auf ein Gespräch einlassen und sehr lange staatsmännische Antworten geben muss.
tagesschau.de: Und welche Gespräche haben dich beeindruckt?
Miosga: Die echten Gespräche. Die kommen nicht so häufig vor, weil Politiker geschult sind und gerne viel reden, ohne etwas zu sagen. Aber ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem damaligen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus nach dessen Skiunfall. Das war ein sehr nachdenkliches Gespräch über die großen Fragen von Schuld, über Gefühle in der Politik. Und ich erinnere mich an Marcel Reich-Ranicki, dem ich eine aktuelle politische Frage stellte. Er motzte mich richtig an und sagte: Wenn man keine Ahnung hat, sollte man besser die Klappe halten. Diese kleinen wahrhaftigen Momente sind so besonders im Nachrichtenstudio.
Auf den Tisch gestiegen
tagesschau.de: Anlässlich des Todes des Schauspielers Robin Williams bist du für die Moderation auf den Studiotisch gestiegen. Damit hast du eine Szene aus einem seiner bekanntesten Filme aufgegriffen, "Der Club der toten Dichter". Wie erinnerst du dich daran?
Miosga: Es ist schon interessant, was für einen seriösen Ruf wir haben. Dass ich auf einen Tisch gestiegen bin, hat einen enormen Sturm an Reaktionen ausgelöst. Die Idee kam von einem Redakteur, weil natürlich alle diese berühmte Szene im Kopf hatten. Wir hatten ein bisschen Glück, dass kein Bedenkenträger im Studio war, sondern ein Team, das große Lust hatte, das umzusetzen. Ich hatte den Film in der Schulzeit gesehen, er hat mir etwas bedeutet. Die Botschaft, die der Lehrer, den Robin Williams da spielt, seinen Schülern vermitteln will, ist letztlich auch eine Botschaft für uns Medienmenschen: Nämlich mal die Perspektive zu wechseln.
tagesschau.de: Kürzlich ging der Lachflash von tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner viral. Ist dir schon mal etwas Ähnliches passiert?
Miosga: So, wie es die arme Susanne gebeutelt hat, nicht. Aber es gab immer wieder lustige Momente, in denen wir uns zusammenreißen mussten. Jens Riewa kann wunderbare Witze erzählen. Und kürzlich gab es eine lustige Situation mit dem armen Wolfgang Ischinger, dem ehemaligen Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Als er von der Konferenz zugeschaltet wurde, war es dort wahnsinnig laut und er muss durcheinandergekommen sein. Denn bis zum Ende des Gesprächs wähnte er sich im ZDF. Unentwegt sagte er "Frau Slomka" zu mir. Es begann damit, dass er sagte: "Guten Abend, Frau Slomka". Am Ende jedes zweiten Satzes: "Sehen Sie, Frau Slomka". Judith Rakers stand neben mir, und wir hatten wirklich Mühe, uns vor Lachen nicht in die Hose zu machen. Herr Ischinger hat sich tausendmal entschuldigt und Blumen geschickt, aber wir hatten natürlich einen großen Spaß.
"Wir haben uns gegenseitig getragen"
tagesschau.de: Was wirst du vermissen?
Miosga: Am meisten werde ich natürlich die Redakteurinnen und Redakteure vermissen, mit denen ich tagein, tagaus gearbeitet habe. Wir hatten tolle Erlebnisse zusammen, Sendungen, die mir in Erinnerung bleiben.
tagesschau.de: Zum Beispiel?
Miosga: Dazu zählen vor allem die Reisen, die wir gemacht haben. Beispielsweise in den Ort Zicherie-Böckwitz zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, der direkt auf der deutsch-deutschen Grenze lag. Anlässlich des Mauerfalls vor 30 Jahren sind wir dorthin gereist und haben Reportagen gedreht. Wir waren in Kairo bei den Parlamentswahlen nach dem Arabischen Frühling 2011. Und am allermeisten wird mir wahrscheinlich die Reise in die Ukraine ein halbes Jahr nach Beginn dieses scheußlichen Angriffskrieges gegen die ganze Ukraine in Erinnerung bleiben, weil es ein Riesenunterschied ist, persönlich zu erleben, wie es den Menschen damit geht, jeden Tag in Todesangst leben zu müssen. Zu verstehen, wie Krieg funktioniert, wie dieser Psychoterror funktioniert, war eine ganz besondere Erfahrung. Das werde ich nicht vergessen. Und natürlich werde ich auch alle Nachrichtensprecherinnen und -sprecher vermissen, mit denen ich im Studio stehe. Wir haben uns gegenseitig getragen, Stimmübungen gemacht oder Unsinn gequasselt, um die Anspannung vor der einen oder anderen Sendung loszuwerden. Das werde ich alles vermissen.
tagesschau.de: Für die Sendung aus der Ukraine hast du kürzlich den Fernsehpreis bekommen - ein würdiger Schlusspunkt. Wie sehr freust du dich jetzt auf die neue Aufgabe?
Miosga: Also erst mal schaue ich dem mit großem Respekt und großer Demut entgegen. Denn ich finde, dass Anne Will das 16 Jahre lang brillant gemacht hat. Und am meisten freue ich mich darauf, vor leibhaftigen Menschen zu sitzen. Dem Gegenüber in die Augen zu schauen und nicht über diese Verbindung vom Studio über die Kamera. Ich hoffe, dass dann echte Gespräche möglich sind!
Das Gespräch führte Kathrin Schlass.