Bundestagswahlkampf SPD will den Osten erobern
Die SPD fühlt sich durch die jüngsten Umfragen beflügelt. Aber insbesondere in weiten Teilen Ostdeutschlands hat es die Partei schwer: Sie ist weit entfernt vom Status einer Volkspartei. Das soll sich nun ändern.
Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider liegt am Biathlon-Schießstand in Oberhof in Thüringen in Schussposition. Angeleitet wird er vom früheren Olympiasieger, Weltmeister und Bundestrainer Frank Ullrich. Gewehr anlegen, entsichern und schießen. Schneiders erster Schuss ist gleich ein Treffer - zu seiner und Ullrichs Freude.
Der frühere Biathlon-Star ist nicht zufällig hier: Er tritt an als SPD-Direktkandidat im Wahlkreis 196 im südlichen Thüringen. Bekannt und populär ist Ullrich in der Gegend - und neu in der SPD. Ein später Quereinstieg für den immer noch sportlichen 63-jährigen in Outdoor-Jacke und Basecap. "Ich bin ein Thüringer, ich bin hier groß geworden", betont Ullrich seine Heimatverbundenheit. Aber er mache sich Sorgen um die Spaltung der Gesellschaft. Das dürfe so nicht weitergehen. "Wir müssen wieder viel mehr zusammenkommen, miteinander reden und entsprechende Akzente setzen."
Ullrich tritt an gegen Hans-Georg Maaßen, den früheren Chef des Bundesverfassungsschutzes, der von der örtlichen Union als Direktkandidat vom Niederrhein hergeholt wurde. Als betont Konservativer markiert Maaßen den Gegenpol zur Merkel-CDU, etwa wenn es um die Bewertung der Flüchtlingspolitik geht. Nicht nur bei der CDU in Südthüringen kommt das gut an.
SPD bei Landtagswahlen in Ostländern zuletzt oft einstellig
Diese Stimmung wirft auch ein Licht auf die Herausforderungen für die SPD in weiten Teilen Ostdeutschlands: In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt war die Partei bei den letzten Landtagswahlen jeweils nur einstellig. Kleinpartei statt Volkspartei, weit hinter der AfD in allen drei Ländern.
Jetzt will SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz der nächste Bundeskanzler werden. Aber dafür muss die Partei auch im Osten punkten, näher an den Menschen sein, wenn es etwa um die Verkehrswende geht, meint Ullrich: "Jeder sollte beachtet und auch mitgenommen werden." Veränderungen bräuchten Augenmaß, gerade auch im ländlichen Raum. "Wenn man hier pendeln muss und es keine gute Bahn-Infrastruktur gibt, ist das eine ganz andere Situation als etwa in Berlin. Dem müssen wir gerecht werden."
Ullrich sagt auch, dass ein Gesundheitsminister aus dem Gesundheitsbereich kommen sollte. Und aus seiner Sicht sollte ein Verteidigungsminister schon mal ein Gewehr in der Hand gehabt haben. Mit solchen Sätzen dürfte er in Berliner SPD-Gremien auf so manchen Widerspruch stoßen. Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider steht auf dem Biathlon-Schießstand neben Ullrich und sagt, dass er manche Frage anders beantworten würde. Aber die SPD sei ja eine vielfältige Partei sei.
"Einiges ist möglich"
Bei der letzten Bundestagswahl 2017 hat die SPD in Ostdeutschland außerhalb von Berlin nur einen einzigen Wahlkreis gewonnen. Und zwar den Wahlkreis 61 in Potsdam und Umgebung. Manja Schüle hatte danach einen Namen in der Ost-SPD, wurde 2019 vom wiedergewählten Brandenburger Ministerpräsidenten Dietmar Woidke ins Kabinett berufen als Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur.
Am Rande eines Besuchs von Kanzlerkandidat Olaf Scholz betont auch Schüle ihre Verwurzelung, erklärt mit eingestreutem Brandenburger Dialekt, dass sie wisse, welche Alltagssorgen die Menschen in den Plattenbau-Siedlungen von Potsdam hätten. Der Berliner Speckgürtel wachse, "und die Menschen haben Angst, dass sie keine bezahlbare Drei- oder Vier-Raumwohnung bekommen, wenn sie eine Familie gründen wollen." Das müsse man ernst nehmen. Zudem brauche es mehr Kitas. "Es ist eine tolle Nachricht, dass endlich wieder viele Kinder geboren werden", sagt die 45-jährige. "Aber das heißt eben auch, Kitas und Schulen zu bauen."
Nah dran sein, kümmern, nicht larmoyant sein, sondern positiv nach vorne schauen - mit diesem Image will die SPD im Osten punkten. Schüle ist zuversichtlich, dass ihre Partei diesmal deutlich mehr als nur einen Wahlkreis zwischen Ostsee und Erzgebirge gewinnen wird. Insbesondere in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und auch Sachsen-Anhalt sei einiges möglich.
SPD im Aufwind
Den Wahlkreis 61 in Potsdam und Umgebung will Scholz für die SPD gewinnen. Er tritt dort an gegen die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock. Beide machen natürlich bundesweit Wahlkampf, aber wenn Scholz in Brandenburg unterwegs ist, versucht er vor allem Wirtschaftskompetenz herauszustellen, besucht an einem Tag ein Zementwerk, einen Technologiepark und ein Familienunternehmen.
Scholz betont dabei immer wieder, dass der Industriestandort Deutschland durch Innovation und Ingenieurskunst klimagerecht umgebaut werden soll, um dadurch auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. Scholz verweist etwa auf das Tesla-Werk, das gerade gebaut wird: "Die erste Fabrik, die bald vollständig Elektroautos baut, steht im Osten." Dazu kämen Batteriefabriken und Projekte für die Wasserstofftechnik, so Scholz. "Hier passiert etwas und das wollen wir jetzt nutzen."
Scholz und die SPD fühlen sich durch die jüngsten Umfragen beflügelt. Laut dem neuen ARD-Deutschlandtrend liegt die SPD nun mit 21 Prozent vor den Grünen auf Platz 2 - hinter der Union, die im Augenblick auf 23 Prozent käme. Und Scholz wollen nach diesem aktuellen Stimmungsbild deutlich mehr Bürger im Kanzleramt sehen als die Konkurrenten Armin Laschet und Annalena Baerbock.
Kann Scholz die Menschen im Osten überzeugen?
Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als ob die SPD von Scholz' hoher Beliebtheit nicht profitieren könne. Aber das ändere sich jetzt, sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Schneider, der aus Thüringen kommt. Er glaubt, dass der Faktor Scholz auch im Osten den Ausschlag geben kann: "Olaf Scholz kommt bei den Leuten hier sehr gut an und deshalb werden sie auch SPD wählen." Die Partei werde mehr als 20 Prozent der Stimmen bekommen, prophezeit Schneider.
Im Wahlkreis 196 in Südthüringen deuten Umfragen ein knappes Rennen zwischen Frank Ullrich und Hans-Georg Maaßen an. Vor vier Jahren hatte der CDU-Kandidat Mark Hauptmann noch klar gewonnen, der SPD-Kandidat kam mit rund 13 Prozent nur auf Platz 4. Ullrich, der frühere Olympiasieger, sieht es sportlich. Auch wenn die SPD gerade einen Lauf habe - was zählt, sei die Zielgerade.