Bundestag So funktioniert die Briefwahl
In diesen Tagen erhalten viele Menschen ihre Wahlunterlagen. Erwartet wird ein Rekord bei der Briefwahl. Warum ist das so und was heißt das für den Wahlkampf? Und: Wie geht das eigentlich? Antworten auf wichtige Fragen.
Wer wählt eigentlich per Brief?
Eingeführt wurde die Briefwahl im Jahr 1957. Bei der Wahl, bei der die Adenauer-CDU mit dem Slogan "Keine Experimente" die absolute Mehrheit holte, galt auch erstmals die Fünf-Prozent-Hürde. Knapp fünf Prozent stimmten damals per Post ab. Im Jahr 2008 wurde die Briefwahl erleichtert. Seitdem muss niemand mehr eine ausdrückliche Begründung angeben, um per Brief wählen zu gehen.
Der Anteil der Briefwählerinnen und Briefwähler ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. So gaben im Jahr 2017 28,6 Prozent der Wählenden ihre Stimme per Briefwahl ab. Im Jahr 1994 waren es nur 13,4 Prozent.
Die Beteiligung in den Bundesländern ist dabei unterschiedlich. Die Bundesländer mit dem höchsten Briefwähleranteil waren bei der vergangenen Bundestagswahl Bayern und Hamburg (37 Prozent), während in Sachsen-Anhalt gerade 18 Prozent sich für die Abstimmung per Brief entschieden haben. In Thüringen (20 Prozent) und Sachsen (21 Prozent) waren die Briefwahlanteile ebenso relativ gering.
Warum steigt der Briefwahl-Anteil stetig?
Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Briefwählerinnen und Briefwähler auch bei dieser Wahl steigen wird. Die Corona-Krise könnte weitere Wählende davon abhalten, ein Wahllokal zu besuchen.
Schon bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im März erhöhte sich der Anteil der Briefwähler von 31 Prozent auf 66 Prozent. In Sachsen-Anhalt hat sich der Anteil der Briefwähler bei den vergangenen Landtagswahlen ebenso mehr als verdoppelt - von 13,7 im Jahr 2016 auf 29,4 Prozent im Juni diesen Jahres. Bundeswahlleiter Georg Thiel rechnet auch bei der Bundestagswahl mit einem deutlichen Anstieg. "Es kann auch eine Verdoppelung sein", sagte er im tagesschau.de-Interview. Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier sagte im tagesschau24-Interview, dass die Corona-Pandemie die Entwicklung verschärft habe.
Das Wahlforschungsinstitut Infratest dimap verweist darauf, dass der Briefwahlanteil seit der Einführung kontinuierlich steige. In Befragungen würde aber nur ein kleiner Teil harte Gründe nennen - wie etwa eine Abwesenheit am Wahltag oder eine Gehbehinderung. "Stattdessen fällt die Entscheidung für eine Briefwahl oft aus Bequemlichkeit oder auch weil man den Stimmzettel in Ruhe ausfüllen möchte", so Infratest-dimap-Geschäftsführer Michael Kunert zu tagesschau.de. Auch ein kompliziertes Wahlrecht lasse die Briefwähleranteile ansteigen.
Welche Partei könnte davon profitieren?
Das ist schwer zu sagen. In der Vergangenheit zeigte sich, dass vor allem bei CDU und Grünen der Anteil an Briefwählern groß ist. Die AfD könnte hingegen einen geringeren Anteil bei Briefwählern verzeichnen - weil die Stimme oft spontan im Wahllokal abgegeben wird, so Jun.
Kunert von Infratest dimap sagt, dass die Wahlentscheidung für eine Partei unabhängig von der Entscheidung falle, ob die Stimme im Wahllokal oder vorab per Brief abgegeben wird. "Insofern besteht hier kein kausaler Zusammenhang, sondern es geht um eine Verschiebung von Stimmen zwischen Wahllokal und Briefwahl und um eine Verschiebung des Zeitpunkts der Stimmabgabe."
Auswirkungen hat der größere Anteil an Briefwählerinnen und Briefwählern laut Experten auf jeden Fall für den Wahlkampf. Die Parteien müssten sich darauf einstellen, dass immer mehr Menschen früher wählen, so Jun. "Die heiße Phase des Wahlkampfs sollte früher beginnen", sagt der Politologe.
Ist der hohe Briefwähleranteil ein Problem?
Nach Ansicht von Jun kommt ein hoher Anteil an Briefwählern am Ende der Demokratie zugute. Denn schließlich stärke eine hohe Wahlbeteiligung auch die Legitimität der Demokratie. "Die Vorteile überwiegen die Nachteile."
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einer Stellungnahme vom vergangenen Jahr zu der Feststellung, dass eine reine Briefwahl "den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Vorgaben für die Umsetzung und Konkretisierung der Wahlgrundsätze nicht gerecht" werde. Dabei geht es allerdings um eine ausschließliche Briefwahl, die nicht zur Diskussion steht.
Der Dienst bezieht sich dabei auf Urteile der Verfassungsgerichte, die darauf hingewiesen hätten, "dass eine deutliche Zunahme der Briefwähler mit dem verfassungsrechtlichen Leitbild der Urnenwahl, die die repräsentative Demokratie in besonderer Weise sichtbar und erfahrbar mache, in Konflikt treten könne."
Grundsätzlich aber heißt es: "Das Bundesverfassungsgericht hatte mehrfach über die Zulässigkeit der Briefwahl zu entscheiden und hat festgestellt, dass die Briefwahl die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit einschränkt. Die geltenden bundesrechtlichen Regelungen beurteilt das Bundesverfassungsgericht gleichwohl als verfassungskonform, da sie dem Ziel dienen, eine umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit Rechnung tragen."
Ein Problem aber bleibt: Es sei nicht nachvollziehbar, ob der Wähler oder die Wählerin die Stimme selbst abgegeben hat und ob er oder sie dabei unbeobachtet und unbeeinflusst gewesen sei.
Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes von Anfang 2021 unterstreicht zudem die engen rechtlichen Voraussetzungen, die bei einer reinen Briefwahl im Falle einer Pandemie gegeben sein müssten, um das Wahlrecht zu ändern. Das Gutachten schränkt aber auch ein, dass der "Gang zur Wahl" in einer Demokratie einen so hohen Stellenwert habe, "dass nicht einzusehen ist, wieso er bei gleichsamer Aufrechterhaltung bestimmter Versorgungs-und Wirtschaftsbereiche, nicht jedenfalls als freiwillige Möglichkeit offen stehen sollte."
Bundeswahlleiter Thiel versicherte im Gespräch mit tagesschau.de: "Die Briefwahl ist sicher." Bislang habe es noch nie Anhaltspunkte für Manipulationen in einem Ausmaß gegeben dass sie das Wahlergebnis beeinflusst hätten.
Welche Folgen hat ein hoher Briefwähleranteil?
Der steigende Anteil an Briefwählern stellt für Infratest dimap eine Herausforderung bei den Prognosen dar. Denn die Nachwahlerhebung in den Wahllokalen ist die Basis für die 18-Uhr-Prognose. "Die Briefwähler sind in dieser Nachwahlbefragung nicht enthalten und müssen anhand unserer Vorwahlerhebungen und der Erfahrungen aus der Vergangenheit mit eingepreist werden", so Infratest-dimap-Geschäftsführer Kunert. "Insofern können die 18-Uhr-Zahlen eine etwas größere Differenz zum Endergebnis aufweisen als vor vier Jahren."
Auf die Hochrechnungen sollte es hingegen keinen Einfluss haben. Nach 18 Uhr fließen die ausgezählten Ergebnisse in die Hochrechnungen ein, so Infratest dimap. Wie immer werden sowohl eine Stichprobe von Urnen- als auch von Briefwahlbezirken im Vorfeld ausgewählt. So soll im Laufe des Abends die Briefwahl angemessen berücksichtigt werden.
Wie wählt man eigentlich per Brief?
Wer per Brief wählen will, muss in der Gemeinde des Wohnortes einen Wahlschein beantragen. Der Antrag ist persönlich und schriftlich möglich - zum Teil können die Unterlagen aber auch online beantragt werden. Ein Telefonat reicht allerdings nicht.
Wer bereits eine Wahlbenachrichtigung erhalten hat, der kann den Vordruck auf der Rückseite nutzen und ausgefüllt zurücksenden. Wahlberechtigte können aber auch persönlich ihre Briefwahlunterlagen abholen - und später abgeben.
Bis wann müssen die Anträge gestellt werden?
Der Antrag sollte auf jeden Fall so früh wie möglich gestellt werden. Darauf weist auch der Bundeswahlleiter eigens hin. Die letzte Möglichkeit ist der Freitag vor der Wahl bis 18 Uhr. Allerdings gibt es auch Ausnahmen. Bei einer plötzlichen Erkrankung zum Beispiel kann der Wahlschein auch am Wahltag bis 15 Uhr beantragt werden.
Die Briefwahlunterlagen können - rein theoretisch - seit Mitte August verschickt werden. Dabei gibt es keinen einheitlichen Termin für den Versand.
Auch eine Briefwahl im Ausland ist möglich. Hier sollten Wählerinnen und Wähler aber bedenken, dass sie dafür sorgen müssen, dass der Brief auch rechtzeitig ankommt. Als letzte Möglichkeit gilt hier der Wahlsonntag bis 18 Uhr. Der Bundeswahlleiter empfiehlt, die Wahlbriefe aus dem außereuropäischen Ausland per Luftpost zu versenden.
Welche Unterlagen bekommt man?
Zu den Briefwahlunterlagen gehört der Stimmzettel. Darauf können Erst- und Zweitstimme angekreuzt werden. Dieser Stimmzettel muss in den blauen Stimmzettelumschlag gesteckt und zugeklebt werden. Der blaue Umschlag muss schließlich in den roten Wahlbriefumschlag.
Auf der Rückseite ist auch die Anschrift angegeben. In das rote Kuvert gehört auch der Wahlschein - der muss unbedingt unterschrieben werden (eidesstattliche Erklärung). Dann muss der Umschlag zugeklebt werden und kann verschickt werden. Wer ihn innerhalb Deutschlands verschickt, benötigt dafür keine Briefmarke.