Asylaffäre in Bremen Interner Bericht belastet BAMF-Zentrale
Die neue Leiterin der Bremer Außenstelle des BAMF belastet in einem Bericht die Zentrale in Nürnberg schwer: Es habe mehrfach Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gegeben. Die Behörde wehrt sich nun.
Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist ein Streit über die Deutungshoheit hinsichtlich der Vorgänge in der Bremer Außenstelle der Behörde entbrannt. Hintergrund ist ein interner Untersuchungsbericht, den eine Mitarbeiterin des BAMF offenbar in Eigeninitiative verfasst und an das Bundesinnenministerium verschickt hat.
Darin belastet sie die ehemalige Leiterin der Außenstelle, Ulrike B., schwer, wirft aber auch der BAMF-Zentrale in Nürnberg Versagen vor. Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt gegen die Ex-Leiterin und weitere Beschuldigte wegen des Verdachts auf Korruption und Verstößen gegen das Asylrecht. Sie soll in Tausenden Fällen unrechtmäßig Asylanträge positiv beschieden haben.
Mehrfach Hinweise auf Unregelmäßigkeiten?
Den internen Bericht hat die neue Leiterin der Bremer Außenstelle, Josefa Schmid, verfasst. Sie wirft den Verantwortlichen in der Nürnberger Zentrale vor, die Missstände in Bremen jahrelang gebilligt zu haben, um dem Ansehen des Amtes nicht zu schaden. Es habe mehrfach Hinweise auf die Unregelmäßigkeiten gegeben. Denen sei aber erst sehr spät nachgegangen worden.
Es "besteht der Verdacht, dass auch die Zentrale selbst in die Angelegenheit verstrickt ist" und es werde daher "dringend die Einsetzung einer neutralen Untersuchungskommission seitens des BMI angeraten, damit - weisungsunabhängig von der BAMF-Hausleitung in Nürnberg - durch die Rechts- und Fachaufsichtsbehörde eine objektive Aufklärung möglich wird", heißt es in ihrem Bericht.
"Keine Tatsachengrundlage"
Der Bericht ist auf den 4. April 2018 datiert und adressiert an Stephan Mayer, CSU-Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Offenbar waren im BAMF mehrere Stellen über die Inhalte vorab nicht informiert worden. Eine Sprecherin des Innenministeriums erklärte auf Anfrage, Schmid habe den Bericht in Eigeninitiative verfasst. "Für die in der schriftlichen Darstellung geäußerten bloße Behauptung einer möglichen Verwicklung der BAMF-Zentrale besteht nach dem derzeitigen Erkenntnisstand keine Tatsachengrundlage", so die Sprecherin. Über den rund 100 Seiten langen Bericht, der NDR und "SZ" vorliegt, hatten zuerst die "Nürnberger Nachrichten" und das ZDF berichtet.
In der Bremer Außenstelle des BAMF sollen mehr als 1000 Asylbescheide bewilligt worden sein - offenbar ohne Prüfung.
Im Rahmen der Untersuchungen hat Schmid ausweislich des Berichts bislang nur eine erste kursorische Übersicht für die Jahre 2015 bis 2017 angefertigt, die 664 Vorgänge betreffe. Wahrscheinlich sei es schon davor zu Unregelmäßigkeiten gekommen, heißt es in dem Schreiben. Schmid erklärt, es handle sich ihrer Ansicht nach um die "Spitze des Eisberges".
Schmid wirft ihrer Vorgängerin unter anderem vor, in großem Umfang unrechtmäßig Asylanträge von Antragsstellern aus anderen Bundesländern in Bremen bearbeitet zu haben. Demnach habe man "mindestens 3332" Asylanträge unzulässig in Bremen bearbeitet. Es sei der wohl "bisher größte Flüchtlingsskandal in der Bundesrepublik Deutschland". Bremen sei demnach Dreh- und Angelpunkt für auffällig rechtswidrige Fälle gewesen.
Routinevorgang oder Skandal?
Das widerspricht der offiziellen Darstellung der Behörden. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte kürzlich: "In den Jahren 2015 und 2016 war es wegen des hohen Flüchtlingsaufkommens üblich, dass Organisationseinheiten, die nicht ausgelastet waren, Akten aus anderen Einheiten - teils auch ohne Einschaltung der Zentrale - übernommen haben." Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Bremen sagte der Deutschen Presseagentur, man könne die Zahl von 3332 "im Moment noch nicht nachvollziehen".
Experten hegen indes grundsätzliche Zweifel an der Darstellung des Skandals. In der Berichterstattung über die angeblich unrechtmäßig in Bremen bearbeiteten Asylanträge erkenne er weniger das Fehlverhalten von Mitarbeitern des BAMF", sagte Heiko Habbe, Asylrechtsexperte von der Beratungsstelle "fluchtpunkt" in Hamburg dem NDR. "Für mich sind das vielmehr Symptome einer überlasteten Behörde. Ob Asylanträge tatsächlich unrechtmäßig positiv beschieden wurden, ist längst noch nicht geklärt."
Keine Belege für Bestechlichkeit
Mitte April, rund zwei Wochen nachdem der Bericht von Schmid verschickt worden war, hatten Ermittler Büros und Privatwohnungen in Bremen und Umgebung durchsucht. Die Staatsanwaltschaft wirft der ehemaligen Leiterin der Außenstelle Bestechlichkeit und Verstöße gegen das Asylgesetz vor. Sie soll mehr als 1000 Asylanträge bewilligt haben, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren. In den meisten Fällen ging es laut Staatsanwaltschaft um Antragsteller, die angaben, zur Religionsgemeinschaft der Jesiden zu gehören. Auch gegen mehrere Anwälte und einen Dolmetscher wird ermittelt. Ulrike B. und die weiteren Beschuldigten äußerten sich zu den Vorwürfen nicht.
Nach NDR-Informationen stützen sich die Vorwürfe der Bestechlichkeit bislang allein auf eine Hotelübernachtung, die Ulrike B. sich von einem der Anwälte nach Erkenntnisstand der Ermittler hat bezahlen lassen. Außerdem soll sie im Rahmen einer Neujahrsfeier eine Einladung zu einer halböffentlichen Veranstaltung angenommen haben. Hinweise auf Geldzahlungen an Ulrike B. liegen den Ermittlern offenbar bislang nicht vor. Auch in dem Bericht der neuen Leiterin der BAMF-Außenstelle in Bremen finden sich dazu keine Erkenntnisse.
Zwischen Bayern und Bremen
Josefa Schmid arbeitet seit Beginn des Jahres in der Bremer Außenstelle des BAMF. Ein Sprecher der Behörde bezeichnete sie als "interimsweise amtierende Außenstellenleiterin". Schmid ist gleichzeitig ehrenamtliche Bürgermeisterin für die FDP in der Gemeinde Kollnburg in Niederbayern. Zuletzt hatte der BR berichtet, dass ihr Engagement in Norddeutschland ihr große Kritik in der Heimat eingebracht hatte: Dass sie in Bremen arbeitet, war der Gemeindeverwaltung offenbar nicht bekannt, mehrere Gemeinderäte bemängelten außerdem, dass sie selten im Rathaus anzutreffen sei.