Russischer Staatssender Telegram geht gegen RT-Inhalte vor
RT steht, wie andere russische Staatsmedien, auf der Sanktionsliste der EU. So dürfen RT-Inhalte nicht verbreitet werden. Dennoch können diese in Deutschland recht einfach abgerufen werden. Telegram schränkt dies nun ein.
RT DE, der deutsche Ableger des russischen Staasmediums RT, schreibt in einem aktuellen Artikel, dass "eigentlich niemand in Russland gegen die Ukraine kämpfen will, sondern Russland tatsächlich dazu gezwungen wurde". In einem weiteren Artikel heißt es, die USA hätten die Ukraine in ein riesiges Biolabor für ihre militärischen Experimente verwandelt. Und RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan sprach kürzlich im russischen Staatssender Rossija 1 davon, dass "das Deutsche Volk wieder einmal in die Fänge von Faschisten geraten ist" und sieht Russland in der Pflicht, es zu befreien.
Diese Inhalte sollten in Deutschland eigentlich nicht abrufbar sein, denn aufgrund der EU-Sanktionen dürfen die Angebote von RT und weiteren russischen Staatsmedien in der EU nicht mehr über Kabel, Satellit oder das Internet verbreitet werden. Dennoch ist es auf verschiedenen Wegen weiterhin möglich, die Inhalte von RT DE abzurufen.
Telegram sperrt Kanäle mit RT-Inhalten
So verbreiten diverse Telegram-Kanäle seit der Sperrung des offiziellen RT DE Kanals Nachrichten, Videos oder Livestreams von RT, die selbst ohne VPN-Programme in Deutschland abrufbar sind. Lange ist nicht viel passiert, doch scheint Telegram mittlerweile stärker gegen den Verstoß der EU-Sanktionen vorzugehen. Kanäle, die versuchten, die RT-Sanktion zu umgehen, würden gesperrt, teilt Telegram auf ARD-faktenfinder-Anfrage mit und blockiert tatsächlich zahlreiche Kanäle, welche RT-Inhalte im deutschsprachigen Raum verbreiten.
Telegram sieht sich jedoch vor der Herausforderung, dass nach der Löschung eines Kanals bereits kurze Zeit später ein anderer auftaucht, da jeder Nutzer einen Stream oder Kanal einrichten könne. "Wenn ein Kanal oder Stream eine beachtliche Anzahl von Ansichten oder Abonnenten erreicht, erhält unser Team eine Benachrichtigung, damit er überprüft werden kann", schreibt Telegram.
Josef Holnburger, Geschäftsführer vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) gibt allerdings zu Bedenken, dass hinter den Sperrungen durch Telegram kein System erkennbar sei. "Die Sperrungen durch Telegram von Kanälen, die russische Propaganda verbreiten, sind aus meiner Erfahrung willkürlich und nicht systematisch."
Internetanbieter in der Pflicht
Bereitgestellt werden die Inhalte auf Telegram selten von RT direkt. Dahinter stehen beispielsweise Firmen wie VPN Tester, die nach ARD-faktenfinder-Recherchen prorussische Akteurinnen und Akteure wie Alina Lipp technisch unterstützen, russische Propaganda trotz Sperren weiter in Europa verbreiten zu können.
VPN Tester stellt Livestreams von RT DE nicht nur über Telegram zur Verfügung, sondern erstellt auch Websites. Die Zugänglichkeit dieser sei auch ein klarer Verstoß gegen die Verordnung, sagt Owen Mc Grath, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht.
Die Internetanbieter sind für die Einhaltung des Verbreitungsverbots im Internet zuständig und müssen dafür sorgen, dass Inhalte sanktionierter russischer Staatsmedien in Deutschland online nicht zugänglich sind. Die Bundesnetzagentur teilt dazu auf ARD-faktenfinder-Anfrage mit: "Internetzugangsanbieter sind aufgrund des Verbreitungsverbots verpflichtet, eine DNS-Sperre einzurichten, soweit Webseiten sanktionierte Inhalte bereitstellen."
DNS-Sperren als Zugriffsbarriere
Holnburger erklärt DNS wie folgt: "DNS ist ein Prinzip, das man vereinfacht mit einem Telefonbuch vergleichen kann. Wenn man eine Webadresse in den Browser eingibt, muss das in eine sogenannte IP-Adresse aufgelöst werden - welche IP das ist, weiß ein DNS-Server."
Im Regelfall laufen die DNS-Server über die Internetanbieter der Nutzerinnen und Nutzer. Durch DNS-Sperren wird eine Internetseite nicht mehr in einer IP aufgelöst und ist somit gesperrt. Auch wenn solche DNS-Sperren relativ einfach zu umgehen sind, sind sich Holnburger und Mc Grath einig, dass sie für den Großteil der Nutzerinnen und Nutzer eine funktionierende Barriere darstellt. Die wenigsten wüssten, wie sie DNS-Sperren umgehen könnten.
Einbruch der Reichweite
Das wirkt sich ganz erheblich auf die Zugriffszahlen von RT-Inhalten aus. Es zeigt sich: Die Sanktionen haben RT empfindlich getroffen. Alleine durch die lokale Sperrung des Telegram-Kanals verlor RT zahlreiche Abonnenten, wie eine Auswertung des CeMAS zeigt. Dabei seien die Abonnentenzahlen für sich genommen noch gar nicht so aussagekräftig. "Wir sehen aber auch, dass einzelne Videos oder Nachrichten von RT DE nicht mehr dieselbe Rolle spielen, wie vor den Sanktionen. Sie werden erheblich weniger geteilt, da die Rückmeldung häufig sei, dass man die Inhalte nicht sehen könne", sagt Holnburger.
Auch eine Studie zur Effektivität der EU-Sanktionen mit Blick auf das Verbreitungsverbot russischer Staatsmedien des Institute for Strategic Dialogue (ISD) kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Laut ISD-Analyse ging die Zugriffsrate nach den EU-Sanktionen um 74 Prozent zurück. Jedoch sei der Einfluss nicht zu unterschätzen, sagt Smirnova: "RT hat auf jeden Fall noch ein Publikum in der EU und auch in Deutschland." Denn allein im Juni 2022 gab es der Analyse zufolge 14 Millionen Seitenaufrufe aus EU-Mitgliedsstaaten - Seitenaufrufe über VPN-Server zur Umgehung der EU-Sperre nicht mit einberechnet.
Zahlreiche RT Spiegelseiten
RT versucht durch unterschiedliche Strategien, die Sanktionen zu umgehen und ihr Publikum auch außerhalb Russlands weiterhin zu erreichen. Um weiterhin auch in Deutschland erreichbar zu sein, setze RT unter anderem auf alternative Domains und Subdomains sowie auf gespiegelte Webseiten, erläutert Julia Smirnova, Senior Researcherin vom ISD. "Diese Seiten sind identisch wie RT DE, aber sie haben andere URLs."
Im Gegensatz zu der Originalseite sind diese jedoch oft noch nicht gesperrt und können somit auch von Deutschland aus abgerufen werden. "Und diese alternativen URLs werden regelmäßig geteilt, von RT selbst und auch in deutschen, verschwörungsideologischen und rechtsextremen Kanälen, in denen RT schon immer eine populäre Nachrichtenquelle war", sagt Smirnova.
Laut ISD Studie wurden allein zwischen April und Juni 19 alternative RT-Domains ausgemacht, die von der EU aus zugänglich waren - darunter neun Seiten mit den Inhalten von RT DE. Nach Angaben des ISD zeigen mehrere dieser Webseiten direkte Verbindungen zur digitalen Infrastruktur zu RT. Da es ziemlich einfach für RT sei, neue alternative Domains und gespiegelte Seiten einzurichten, kämen die nationalen Behörden nicht hinterher, sagt Smirnova.
Keine Sanktionen bei Verstoß
Die Bundesnetzagentur erstellt zwar für die Internetanbieter Listen mit Internetadressen, die gesperrt werden können, ohne dass die Netzneutralität dadurch verletzt wird und aktualisiert diese laufend. Doch es ist kaum möglich, die Sanktionen im Internet wirklich konsequent durchzusetzen, schätzt auch Mc Grath die Situation ein.
Dazu käme noch das Problem, dass bei Verstößen gegen die Durchsetzung des Verbreitungsverbots keine Konsequenzen drohen: "Diese Verordnung wird so durchgesetzt, dass die Mitgliedstaaten selber Sanktionen gegen Verstöße treffen sollen, welche wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein sollen." In Deutschland wurden keine Sanktionen beschlossen, "damit haben wir eine Straflosigkeit, wenn man dagegen verstößt und das ist dann natürlich zahnlos".
Einige Experten sehen das als großes Problem an. Sie sagen, dass es besser wäre, Verstöße gegen die Durchsetzung des Verbreitungsverbots gesetzlich zu regeln, anstatt sich auf die Netzanbieter oder Unternehmen wie Telegram verlassen zu müssen.
Verschleierung der Urheber
Und so sind viele RT-Inhalte weiterhin auch von Deutschland aus abrufbar. Holnburger stellt fest, dass sich die Strategie von RT verändert habe. Vor den Sanktionsmaßnahmen sei RT Deutsch häufig als Verstärker von Desinformation aufgetreten. "Jetzt wird stärker versucht, über virale Kampagnen Desinformationen zu platzieren, zum Beispiel über Influencer oder Fake Accounts und Fake Websites." RT als Urheber trete mittlerweile häufig eher in den Hintergrund, es ginge mehr darum, die russischen Narrative zu verbreiten.
Aussagen von RT-Chefredakteurin Simonjan bestätigen diese Beobachtung. Simonjan spricht laut einem auf Twitter veröffentlichten Video im russischen Staatsfernsehen offen über die Strategien russischer Propaganda trotz der Sperren in Europa zu platzieren. Die US-amerikanische Journalistin Julia Davis schreibt in dem Tweet: "Sie verbreiten weiterhin russische Propaganda im Westen, während sie die Tatsache verbergen, dass es sich um russische Propaganda handelt."
RT DE wollte sich auf eine Anfrage des ARD-faktenfinders nicht dazu äußern, ob ihr Büro in Berlin noch aktiv ist. Auch zu den gespiegelten Seiten gab das Unternehmen kein Statement ab. Am Wochenende gab dann RT DE jedoch bekannt, "die journalistischen Aktivitäten des Unternehmens in Deutschland einzustellen" und begründete den Schritt damit, "einem immensen Druck von Regierungen, Medien, Unternehmen" ausgesetzt zu sein. Konkrete Maßnahmen, die RT DE zu der Einstellung bewegt haben, werden in dem Statement jedoch nicht benannt.