Christian Drosten
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Drosten und die "RKI-Leaks" Nicht verschwiegen, sondern veröffentlicht

Stand: 25.07.2024 10:18 Uhr

Geleakte Dokumente des Robert Koch-Instituts sollen beweisen, dass der Virologe Drosten eigene Erkenntnisse bewusst zurückhielt, weil sie der Regierungslinie widersprachen. Dabei hat Drosten selbst seine Bedenken öffentlich gemacht.

"Drosten zog wissenschaftliches Papier zurück, da es dem Regierungshandeln widersprach" - so titelt ein Online-Portal. Die Berliner Zeitung schreibt, dass der Charité-Virologe Christian Drosten offenbar sein eigenes Papier zu anlasslosen Testungen zurückzog, "weil dies dem Regierungshandeln widerspricht". Ähnlich äußern sich auch andere Medien und Social-Media-Accounts.

Alle beziehen sich auf in dieser Woche veröffentlichte Protokolle und Dokumente des Covid-19-Krisenstabs des Robert Koch Instituts (RKI), die ein Whistleblower Aktivisten zur Verfügung gestellt haben soll. Das RKI erklärt dazu, die Dateien weder geprüft noch verifiziert zu haben.

In dem veröffentlichen Protokoll vom 29. Juli 2020 heißt es:

Screenshot des Protokolls des Corona-Krisenstabs vom 29. Juli 2020

Das entsprechende Papier Drostens, auf den sich die Passage bezieht, ist ebenfalls in den Leaks zu finden. Ob die Gedankensammlung unter dem Titel "Empfehlung für den Herbst - Ein Plädoyer für Pragmatismus und Fokussierung im Kampf gegen die zweite Welle" überhaupt zur Veröffentlichung gedacht war, ist zumindest fraglich. Laut Überschrift handelt es sich nicht - wie behauptet - um ein "wissenschaftliches Papier", sondern lediglich um einen "Textentwurf zur Kommentierung".

Drosten: Andere Maßnahmen sinnvoller als viele Tests

Darin stellt Drosten tatsächlich die Sinnhaftigkeit exzessiven Testens auf das Coronavirus in Frage: "In Japan und auch in anderen Ländern wurden bereits Listen von typischen sozialen Situationen erstellt, in denen es häufig zu Übertragungsclustern gekommen ist. Diese sind öffentlich verfügbar und können von Gesundheitsbehörden genutzt werden, um in der Kontakthistorie eines erkannten Falls nach Clustergefahren zu fahnden. Das ist wichtiger als stetiges Testen, denn man kann das Virus ja nicht wegtesten, sondern muss auf positive Tests auch reagieren."

Das Plädoyer dieses Beitrags sei, "nur (oder zumindest vor allem) dann auf einen positiven Test zu reagieren, wenn er von einem möglichen Clustermitglied stammt. Die vielen Tests, die die Politik derzeit vorbereitet, werden vielleicht öfter positiv werden als erhofft. Die Gesundheitsämter brauchen eine entlastende Handlungsrichtlinie für diese Situation."

Virologe veröffentlicht Bedenken selbst

Hat der Virologe diese Erkenntnisse aus politischem Kalkül verschwiegen? Nein. Er veröffentlichte sie sogar selbst, zunächst in einem Gastbeitrag für die "Zeit" vom 5. August 2020, unter dem Titel "Zweite Corona-Welle: So können wir einen neuen Lockdown verhindern". Darin schreibt er:

Es hilft ein Blick nach Japan. Das Land warnte seine Bürger frühzeitig vor großen Menschenansammlungen, geschlossenen Räumen und engem Kontakt. Wie anderswo in Asien sind Masken weit akzeptiert. Statt viel und ungezielt zu testen, hat Japan früh darauf gesetzt, Übertragungscluster zu unterbinden. Dazu hat das Land offizielle Listen von typischen sozialen Situationen erstellt, in denen Übertragungscluster entstehen, und sie öffentlich bekannt gemacht. Die Gesundheitsbehörden suchen in der Kontakthistorie eines erkannten Falls gezielt nach bekannten Clusterrisiken.

Weiter heißt es: "Die gezielte Eindämmung von Clustern ist anscheinend wichtiger als das Auffinden von Einzelfällen durch breite Testung. Japan gelang es, die erste Welle trotz einer erheblichen Zahl importierter Infektionen ohne einen Lockdown zu beherrschen."

Drosten legte nach

In der 54. Folge des Coronavirus-Updates im NDR, der ersten Ausgabe mit Drosten nach der Sommerpause 2020, formulierte er ein weiteres Mal seine Bedenken:

Wenn wir uns die Testzahlen anschauen, die sind sehr, sehr hoch. Die treiben die medizinischen Labore an die Belastungsgrenze und wir finden eigentlich sehr, sehr wenig Positive. (…) Und es ist jetzt nicht so, dass wir sagen können, wir finden jetzt einfach nur wegen des vielen Testens wieder mehr Infektionen gegen Ende Juli, August. Denn dann müssten wir auch so Effekte sehen wie, dass wir mit zunehmender Testung in demselben Maße auch eine Abnahme der Nachweisfrequenz haben.

Das Fazit: Drosten hat kein "wissenschaftliches Papier" zurückgezogen, sondern seine in einer Gedankenskizze gesammelten Bedenken gegen die Teststrategie der Bundesregierung ausformuliert und selbst veröffentlicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. Juli 2024 um 16:36 Uhr.