Geplantes WHO-Abkommen Woran es beim Pandemievertrag noch hakt
Eigentlich sollte der Pandemievertrag der WHO Ende Mai verabschiedet werden - doch die Zeit drängt. Vor allem bei den Themen Verteilungsgerechtigkeit und Patentrechte liegen die Ansichten weit auseinander.
"Es darf nicht zu der moralischen und medizinischen Katastrophe kommen, dass die reichen Länder die Pandemievorräte horten und kontrollieren. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Menschen Zugang zu Diagnostik, Behandlung und Impfstoffen haben", sagte UN-Generalsekretär António Guterres bereits im Dezember vergangenen Jahres mit Blick auf den geplanten Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation WHO. Knapp sechs Monate später zeichnet sich bei den größten Streitpunkten weiterhin keine Einigung zwischen den WHO-Mitgliedsstaaten ab.
Bis zum 10. Mai wollen die Unterhändler der 194 Länder daher erneut über die Inhalte und den konkreten Text des Abkommens verhandeln, damit vielleicht doch noch eine Einigung wie ursprünglich geplant für Ende Mai zustande kommt. Denn dann soll die Weltgesundheitsversammlung (WHA) dem Vertrag zustimmen. Experten sind jedoch skeptisch, ob das innerhalb der kurzen Zeit noch möglich sein wird.
Bessere Vorbereitung als zu Corona-Zeiten
Grundsätzlich einig sind sich die WHO-Mitgliedsstaaten darin, dass es solch ein Abkommen braucht, um auf künftige Pandemien besser vorbereitet zu sein als es bei Corona der Fall war. So wird unter anderem bemängelt, dass es bislang keine klaren Kriterien für die Ausrufung einer Pandemie gibt und die WHO weder finanziell noch politisch ausreichend Befugnisse hat, um angemessen zu reagieren.
China hatte beispielsweise eine erste WHO-Expertengruppe erst im Februar 2020 nach der Ausrufung der gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite ins Land gelassen, nachdem WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus persönlich nach Peking gereist war. Auch die Zusage einer weiteren WHO-Expertenkommission zur Klärung der Ursprünge der Pandemie verzögerte die chinesische Regierung bis ins Jahr 2021. Zudem wurden nicht alle Daten mit der WHO geteilt.
Daher soll es mit dem Pandemievertrag einen genauen Handlungsleitfaden für die WHO-Mitgliedsstaaten vor und während einer Pandemie geben. Das beinhaltet unter anderem einen besseren Informationsaustausch über Krankheitserreger und einen schnelleren Zugang für WHO-Experten zu Ausbruchsgebieten. Außerdem soll die WHO bei der Überwachung von Gesundheitsgefahren Informationen von nicht-staatlichen Akteuren berücksichtigen dürfen, was beispielsweise beim Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014 die Weltgemeinschaft sehr viel rascher alarmiert hätte.
Zudem soll verhindert werden, dass sich reichere Staaten den Großteil der Impfstoffe und Medikamente sichern und erst nach der Sättigung des eigenen Bedarfs an ärmere Länder weitergeben.
Verteilungsgerechtigkeit nicht verbindlich
Doch gerade bei dem Thema Verteilungsgerechtigkeit liegen die Ansichten der WHO-Mitgliedsstaaten nach wie vor weit auseinander. Die Industrieländer setzen dabei vor allem auf Freiwilligkeit, Länder des globalen Südens fordern hingegen verbindliche Zusagen.
"Die ärmeren Länder wollen verhindern, dass es erneut so wird wie bei der Corona-Pandemie, als sich die reicheren Länder in Vorverträgen mit den Impfstoffherstellern ihre Impfdosen sicherten", sagt Andreas Wulf von der Nichtregierungsorganisation medico international. Es gebe zum Beispiel einen Kompromissvorschlag, dass zehn Prozent von der Produktion eines Impfstoffes kostenlos an die WHO gehen sollen und weitere zehn Prozent zum Kostendeckungspreis, damit die WHO diese dann an die Länder verteilen könne, die es am dringendsten benötigten. Dies sehen viele Länder ohne eigene Impfstoffproduktion allerdings als unzureichend an.
"Zuverlässige Zusicherungen, dass zum Beispiel auf allen Kontinenten die Impfstoffproduktion gefördert wird, damit dann eben nicht auf einmal Länder, in denen es keine eigenständige Produktion gibt, erst dann etwas abkriegen, wenn letztlich die anderen schon versorgt sind, gibt es bislang nicht", sagt Wulf. Das sei ein ganz wesentlicher Streitpunkt.
Ursprünglich war angedacht, dass die verpflichtende Weitergabe von Informationen über einen Krankheitserreger mit der Verteilungsgerechtigkeit verbunden wird. So sollten Länder, die den Herstellern medizinischer Produkte Zugang zu den Virusproben verschaffen, davon profitieren, indem sie dafür dann einen prozentualen Anteil der Produktion des beispielsweise daraus entwickelten Impfstoffes erhalten. Ein ähnliches Modell existiert bislang nur für Influenza-Viren, die auch potentielle Auslöser für globale Pandemien sind. Allerdings konnten sich die Länder auf solche Modelle bislang nicht einigen.
Keine Einigung beim Patentschutz in Sicht
Ein weiteres umstrittenes Thema ist der Patentschutz. Auch hier gibt es vor allem einen Bruch zwischen den reicheren und den ärmeren Ländern. So wollen ärmere Staaten, dass der Patentschutz in Notfällen gelockert wird, um schnell günstige Impfstoffe und Medikamente produzieren zu können, auch wenn die Patente bei großen Pharmaunternehmen liegen. Reiche Länder hingegen wollen das nicht und wollen das Thema Patentschutz generell nicht in den Pandemievertrag mit aufnehmen, da es aus ihrer Sicht in die Belange der Welthandelsorganisation WTO fällt.
Pedro Villarreal von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht hält das jedoch für einen vorgeschobenen Grund. "Es gibt kein Hindernis, um das Thema Patentrechte oder geistige Eigentumsrechte in der WHO zu verhandeln. Das ist völkerrechtlich nicht verboten."
Hinzu komme, dass Kolumbien vorgeschlagen habe, die internationalen Eigentumsrechte zu evaluieren - diese werden bislang im Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums der WTO geregelt. "Wenn also die reicheren Länder an einer ernsthaften Diskussion um die Rolle der geistigen Eigentumsrechte in Pandemien interessiert sind, müssten sie diesen Vorstoß eigentlich unterstützen."
Bereits während der Corona-Pandemie hatten unter anderem Südafrika und Indien den Vorschlag gegenüber der WTO eingereicht, das Patentrecht der Corona-Impfstoffe und anderer medizinisch notwendiger Produkte vorübergehend auszusetzen. Mehr als 100 Länder hatten diesen Vorschlag unterstützt, westliche Staaten wie die Schweiz und die EU-Mitgliedsländer lehnten ihn ab.
Dilemma des Zeitdrucks
Grundsätzlich in der Kritik steht zudem der Zeitplan, den Pandemievertrag bereits zur Weltgesundheitsversammlung am 27. Mai verabschieden zu wollen. Denn vor allem die ärmeren Länder hätten weniger Ressourcen, um diese komplexen Themen auch auf nationaler Ebene ausführlich zu diskutieren, sagt Villarreal. Deren Delegationen bei der WHO in Genf seien meist kleiner, weshalb es für sie dadurch oft länger dauere, die einzelnen Punkte zu bearbeiten.
"Auf der anderen Seite haben manche Länder Angst davor, dass es möglicherweise gar nicht mehr zu einer Einigung kommen könnte, falls es im Mai nicht klappt", so Villarreal. Denn wichtige Wahlen wie zum Beispiel die Präsidentschaftswahl in den USA stehen an und könnten die politische Lage verändern.
Besser kein Vertrag als ein schlechter?
Es ist daher gut möglich, dass die strittigen Themen zunächst aus dem Pandemievertrag ausgeklammert und erst in Zukunft verhandelt werden. Im neuesten Entwurf von Mitte April wurde der Patentschutz bereits ausgelagert, der Bereich soll bis Mitte Mai 2026 geklärt werden. Auch die Ausgestaltung rund um den Informationsaustausch über Krankheitserreger und einen möglichen Vorteilsausgleich dafür bei der Vergabe von Impfstoffen und Medikamenten wurde aufgeschoben.
"Die große Frage ist jetzt, ob es besser ist, keinen Vertrag zu haben als einen schlechten Vertrag", sagt Wulf. "Die Befürchtung einiger Länder ist, dass wenn einmal etwas verabredet wurde, der Vertrag doch nicht mehr wirklich nachgebessert wird." Letztlich sei das daher vor allem eine politische Abwägungsfrage, die die einzelnen Staaten für sich beantworten müssten.