Menschen in der Oxford-Street in London
Kontext

Globales Bevölkerungswachstum Die Angst vor der "Überbevölkerung"

Stand: 09.03.2023 11:39 Uhr

Mehr als acht Milliarden Menschen leben mittlerweile auf der Erde - und die Bevölkerung wächst weiter. Das befeuert die Angst davor, dass es irgendwann zu viele Menschen sein werden. Doch die Anzahl ist laut Experten nicht das Problem.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Bill Gates will Bevölkerungszahl durch Impfung steuern", lautet der Titel eines YouTube-Videos, in dem ein verkürztes Zitat des Microsoft-Gründers aus dem Jahr 2010 herangeführt wird, um die These der angeblichen Bevölkerungssteuerung zu stützen. Immer wieder wird in Verschwörungsmilieus die Behauptung aufgestellt, dass mächtige und einflussreiche Menschen wie Gates heimlich planen würden, die Weltbevölkerung reduzieren zu wollen, um eine sogenannte Überbevölkerung zu verhindern.

Doch nicht nur in Verschwörungserzählungen wird die "Überbevölkerung" thematisiert: Die Sorge vor zu vielen Menschen auf dem Planeten Erde ist in vielen Kreisen anzutreffen - und wird von einigen Akteuren gezielt genutzt, um Ängste zu schüren. So warnen Rechtsextreme und Rechtspopulisten in den westlichen Ländern angesichts des Bevölkerungswachstums vor allem im globalen Süden vor einem vermeintlichen Bevölkerungsaustausch. In Klimaschutzkreisen wiederum fordern einige Aktivisten wie der britische Naturforscher David Attenborough eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums, da sie sonst fatale Folgen für die Umwelt befürchten. Aber wie wird sich die Weltbevölkerung überhaupt entwickeln?

Bevölkerung wächst rasant

Mittlerweile leben mehr als acht Milliarden Menschen auf der Welt, die Schwelle wurde nach Angaben der Vereinten Nationen im November 2022 überschritten. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die angesichts der Zahlen unaufhaltsam wirkt: Von der ersten bis zur zweiten Milliarde Menschen dauerte es noch mehr als 100 Jahre, von der zweiten bis zur dritten 35 Jahre. In den Jahren von 1960 bis 1999 verdoppelte sich die Weltbevölkerung dann sogar auf sechs Milliarden Menschen, zwölf Jahre später waren es bereits sieben Milliarden.

Auch mit acht Milliarden Menschen ist das Ende des Bevölkerungswachstums noch nicht erreicht: Experten rechnen bis zur zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts mit einem weiteren Anstieg. Die UN gehen davon aus, dass in den 2080er-Jahren 10,4 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Andere Modelle wie beispielsweise vom Institute for Health Metrics and Evaluation prognostizieren, dass die zehn Milliarden Marke nicht ganz geknackt wird im laufenden Jahrhundert. Grund für die leicht abweichenden Prognosen sind vor allem verschiedene Annahmen für die Entwicklung der Fertilitätsrate - also wie viele Kinder eine Frau im Durchschnitt gebären wird.

Ressourcenverbrauch entscheidender Faktor

Ein Grund zur Sorge ist das jedoch nicht, sagt Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Auch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) kommt zu dem Ergebnis, dass die Ernährung von so vielen Menschen möglich ist. "Es kommt nicht alleine auf die Zahl der Menschen an, sondern vor allem auf das Verhalten", sagt Hinz. Denn der Ressourcenverbrauch und CO2-Emissionen sind nicht bloß von der Bevölkerungszahl abhängig.

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Global Footprint Network verbraucht die Menschheit bereits seit den 1970er-Jahren zu viele natürliche Ressourcen. Besonders die Länder des globalen Nordens leben über ihre Verhältnisse: Wenn alle Menschen so leben würden wie die Europäer, wären fast drei Erden notwendig, um den Ressourcenverbrauch nachhaltig zu ermöglichen. Wenn alle Menschen so lebten wie in den USA, wären es sogar knapp fünf Erden.

Zahlreiche Länder - darunter auch bevölkerungsreiche Staaten wie Pakistan und Indien - bleiben dagegen bisher unter der Nachhaltigkeitsschwelle von einer Erde. "Wichtig ist, dass es überall auf der Welt gelingt, verbesserte Lebensbedingungen von dem ökologischen Fußabdruck zu entkoppeln", sagt Hinz.

Das sieht auch Frank Swiaczny vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) so: "Es ist letztlich nicht die Bevölkerungsentwicklung, die die Nachhaltigkeitsgrenzen überschreitet, sondern es ist der nicht nachhaltige Überkonsum." Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung verursacht nach Angaben der UN gerade einmal zwölf Prozent des globalen CO2-Ausstoßes, die Reichsten ein Prozent etwa 17 Prozent.

Da der prognostizierte Bevölkerungswachstum vor allem im subsaharischen Afrika stattfindet, sei das mit Blick auf die Ressourcen und die CO2-Emissionen daher momentan nicht so problematisch. Es wird erwartet, dass die Bevölkerung südlich der Sahara bis zum Jahr 2100 um 2,6 Milliarden Menschen wachsen wird - das entspricht etwa 90 Prozent des gesamten Wachstums der Weltbevölkerung. "Menschen, die dort geboren werden, tragen relativ wenig zum ökologischen Fußabdruck der Erde bei", sagt Swiaczny. "Die Bevölkerungen, die momentan stagnieren, sind diejenigen, die im Moment erheblich über die globalen Verhältnisse leben und das eben nicht nur heute, sondern auch historisch."

Wachstum kommt zum Erliegen

Auch wenn die Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten vermutlich noch weiter wachsen wird - so erwarten die Experten langfristig eine Trendwende. Während die UN in ihrer Berechnung davon ausgeht, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 relativ konstant bei 10,4 Milliarden bleiben wird, erwarten die Forscher vom Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital (WIC) in Wien bereits noch in diesem Jahrhundert einen beginnenden Bevölkerungsrückgang.

"Wir wissen, dass die Geburtenraten weltweit und in allen Ländern, die früher sehr hohe oder hohe Geburtenraten hatten, zurückgegangen sind. Und dieser Prozess ist immer noch im Gange und wird wahrscheinlich weitergehen", sagt Tomas Sobotka, stellvertretender Direktor des Vienna Institute of Demography (VID). Die Geburtenrate liegt weltweit momentan bei etwa 2,3 Kindern pro Frau - damit hat sie sich in den vergangenen 50 Jahren mehr als halbiert. Bei einer Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau bleibt die Bevölkerung auf einem stabilen Niveau, darunter fängt sie an zu schrumpfen.

Die wesentlichen Faktoren für sinkende Geburtenraten seien Bildung der Frauen, Gesundheit und sinkende Sterblichkeit, wirtschaftliche Entwicklung, Urbanisierung und Zugang zu Verhütungsmitteln. Denn wenn zum Beispiel die Kindersterblichkeit sinke, sinke auch der Kinderwunsch. Bei der Bildung gelte: "Je gebildeter Frauen sind, desto weniger Kinder bringen sie auf die Welt, weil sie dann einfach andere Möglichkeiten haben, andere Perspektiven", sagt Sobotka.

Demografische Entwicklungen sind träge

Andere Faktoren wie beispielsweise Religion spielten ebenfalls eine Rolle, wenn auch eine untergeordnete, sagt Hinz vom Berlin-Institut. So hätten Religionsgemeinschaften und ihre Vertreter durchaus einen Einfluss darauf, wie viele Kinder als wünschenswert angesehen würden und wie über Verhütungsmittel gedacht werde. Allerdings weist Hinz darauf hin, "dass auch in sehr religiös geprägten Gesellschaften die Bildung oder auch der ökonomische Status eine größere Rolle spielt als die Religion an sich".

Dass sich das Bevölkerungswachstum trotz globalem Rückgang der Fertilitätsrate zunächst weiterhin recht schnell fortsetzen wird, liegt laut Swiaczny vom BiB an der Trägheit demografischer Entwicklungen. "Selbst wenn die hohe Fertilität als Voraussetzung für das Wachstum schon seit Längerem nicht mehr vorhanden ist, wächst die Bevölkerung noch für einige Jahrzehnte nach. Weil erst einmal noch große Jugendgenerationen in das Alter nachwachsen, in dem sie dann selbst Familien gründen."

Größte Herausforderung ist die Migration

Als größte Herausforderung des Bevölkerungswachstums sehen die Experten die Migration an. "Der Anstieg der Bevölkerung wird einen ständigen Migrationsdruck bedeuten", sagt Sobotka vom VID. Die mittel- und hochentwickelten Länder müssten daher eine klare Migrationspolitik entwickeln. Denn während im globalen Süden die Bevölkerung stark wächst, liegt die Fertilitätsrate in vielen westlichen Ländern bereits seit Jahren unter 2,1 Kindern pro Frau. In Deutschland liegt sie beispielsweise nur bei 1,53. Das bedeutet, dass Länder wie Deutschland auf Migration angewiesen sind, wenn die Bevölkerung nicht sinken soll.

"Ich finde, wir sollten Migration sehr viel positiver bewerten - nicht nur im Hinblick auf den demografischen Wandel, sondern auch auf die Wirtschaftskraft und damit auf unseren Wohlstand und unsere Zukunftsaussichten", sagt Hinz. "Das heißt, wir müssen uns auf die sogenannten Drittstaaten einstellen und auch bereitwillig Zuwanderung zulassen." Ein Risiko sieht Hinz darin, dass ein sogenannter Braindrain einsetzen könnte, also dass zu viele gut ausgebildete Menschen aus Entwicklungsländern auswandern und dort dann fehlen.

Angst vor "Überbevölkerung" besteht schon lange

Die Angst vor einer "überbevölkerten" Erde ist nicht neu. Bereits im Jahr 1798 verwendete der britische Ökonom Thomas Robert Malthus den Begriff "Überbevölkerung" in einem Essay. Malthus stellte damals die These auf, dass die Bevölkerung schneller wachse als die Nahrungsmittelproduktion - Armut und Hungerkatastrophen wären die Folgen. Im Jahr 1927 fand die erste Weltbevölkerungskonferenz statt, um über das Bevölkerungswachstum zu diskutieren.

"Die Angst vor einer 'Überbevölkerung' hat immer dann Konjunktur bekommen, wenn sich bei der Bevölkerungsentwicklung irgendetwas dramatisch verändert hat", sagt Swiaczny vom BiB - wie zu Zeiten der industriellen Revolution oder auch in den 1960er- und 1970er-Jahren.

Um das Bevölkerungswachstum zu stoppen, gingen einige Länder sogar so weit, die Anzahl der Kinder pro Familie vorzuschreiben - das berühmteste Beispiel ist vermutlich China mit der sogenannten Ein-Kind-Politik. Bei der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo im Jahr 1994 wurde schließlich beschlossen, dass alle bevölkerungspolitischen Maßnahmen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen und die Menschenwürde wahren sollen.

Für Swiaczny ist es wichtig, dass Modelle zum Bevölkerungswachstum nicht dazu genutzt werden, um eine politische Agenda zu verfolgen. "Das Thema beschert vielen Menschen existenzielle Sorgen - entweder stirbt die Menschheit aus oder die Überbevölkerung lässt die Erde in die Katastrophe stürzen." Den Bevölkerungswissenschaftlern bleibe im Prinzip nur, klar zu machen, was Fakt sei und was Mythos. "Das bestimmte Teilaspekte unserer Berechnungen aus dem Zusammenhang gerissen und zweckentfremdet werden, dagegen können wir uns nicht schützen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 17. April 2021 um 11:40 Uhr.