Weltbevölkerung "Zehn Milliarden sind nicht zu viele"
Nicht die Zahl der Menschen auf der Erde ist entscheidend, sagt Expertin Rose, sondern wie diese leben. Mit den richtigen Maßnahmen können auch zehn Milliarden Menschen auf der Welt leben. Dafür müssen aber vor allem reiche Länder umdenken.
tagesschau.de: Jetzt sind wir acht Milliarden Menschen, bald werden es neun und irgendwann zehn Milliarden sein. Wie viele Menschen kann unser Planet denn überhaupt versorgen?
Colette Rose: Grundsätzlich sind acht oder auch zehn Milliarden nicht zu viele Menschen für den Planeten. Aber bei der Frage kommt es vor allem darauf an, wie diese Menschen leben. Also nicht die schiere Zahl ist entscheidend, sondern wie viel diese Menschen konsumieren, wie viel Energie und Ressourcen sie verbrauchen. Wenn zum Beispiel alle Menschen so leben würden wie die US-Amerikaner, bräuchten wir fünf Erden. Es ist also eine Frage der Nachhaltigkeit, des Verhaltens und auch der Ernährung, die sich vor allem in den Industriestaaten ändern muss.
Die Soziologin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und forscht zu Themen rund um internationale Demografie. Wie Geschlechtergerechtigkeit und sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung in Afrika nehmen können, interessiert sie besonders.
tagesschau.de: Was bedeutet eine so große Weltbevölkerung für das Klima und die Umwelt?
Rose: Dieser Tag ist eigentlich ein wichtiger Tag, um daran zu appellieren, dass wir in Nachhaltigkeit investieren müssen. Denn es können nicht alle Menschen auf der Welt leben, wie wir in Europa und Amerika. Das macht der Planet nicht mit, vor allem mit Blick auf den Klimawandel. Es geht also vor allem um die Ungleichheit. Denn wenn wir global hohe Ungleichheit haben, wird es sehr schwierig, so viele Menschen zu versorgen.
Die Industriestaaten verbrauchen viel mehr Ressourcen, als wir haben - das kann so nicht weitergehen, hier muss zwangsläufig der Verbrauch verringert werden. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die Lebensbedingungen der Menschen verbessern können, ohne den ökologischen Fußabdruck zu vergrößern. Und auch da sehen wir schon, dass das möglich ist.
tagesschau.de: Können Sie da Beispiele nennen?
Rose: Es gibt das Phänomen des "Leapfrogging". Da geht es um große Sprünge in der Entwicklung, um nicht nachhaltige Entwicklungsstadien zu überspringen und direkt Methoden zu implementieren, die nachhaltiger und klimaschonender sind. Da spielt die Digitalisierung eine große Rolle, zum Beispiel in afrikanischen Ländern wie Kenia. Dort gibt es per App eine Art Carsharing für Traktoren, was günstiger und klimaschonender ist, als wenn sich jeder Bauer einen eigenen kauft. Es kann aber auch bedeuten, dass Regionen, die bislang nicht über flächendeckende Stromversorgung verfügen, keine Kohlekraftwerke bauen, sondern direkt auf Erneuerbare Energien umsteigen.
tagesschau.de: Mal andersrum gedacht: Welche Folgen hat denn der Klimawandel auf die wachsende Bevölkerung zum Beispiel in Afrika? Dort gibt es jetzt schon oft Hungersnöte und Wasserknappheiten. Könnten Konflikte dadurch zunehmen?
Rose: Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass es zu Konflikten über die Verteilung von Land oder Wasser kommen wird. Aber es gibt auch Konzepte, um zum Beispiel die Ernährung der Menschen zu sichern. Dabei gibt es drei große Dinge, die passieren müssen: Wir müssen erstens die bestehende Landwirtschaft intensivieren auf verschiedene Weisen, also zum Beispiel durch besseres Saatgut, bessere Düngemittel oder Dürre-resistente Züchtungen.
Zweitens ist es ganz wichtig, die Lebensmittelverschwendung zu minimieren. Im Moment wird extrem viel verschwendet. Und drittens müssen wir auch wieder speziell in den Industriestaaten in der Ernährung weg von den vielen tierischen Produkten. Das ist auch ein ganz großer Faktor für Lebensmittelsicherheit, dass die Ernährung sich ändern muss. Wir können nicht langfristig so viel tierische Produkte essen, wie wir es jetzt tun.
tagesschau.de: Könnte die wachsende Weltbevölkerung auch zu größeren Migrationsbewegungen führen?
Rose: Das ist schwer zu sagen, weil viel von den Lebensbedingungen der Menschen vor Ort abhängt. Aber es ist anzunehmen, dass es mehr Migration geben wird, wenn auch genaue Zahlen schwierig zu nennen sind. Was wir dabei aber oft vergessen: Deutschland braucht Zuwanderung aus dem Ausland. Wir haben ja eine gegenteilige Entwicklung, bei uns schrumpft die Bevölkerung ja. Deshalb sind wir auf Zuwanderung angewiesen, um unseren Fachkräftebedarf und um die Finanzierung unserer Sozialsysteme zu sichern.
tagesschau.de: Was gibt denn bei einer Bevölkerung den Ausschlag, ob sie wächst - wie das in vielen ärmeren Ländern der Fall ist - oder abnimmt - wie es in vielen Industriestaaten zu beobachten ist?
Rose: Kurz gesagt: Wo weniger Menschen sterben, werden weniger geboren. Das heißt erfahrungsgemäß sinkt das Bevölkerungswachstum, wenn sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessern, und vor allem wenn weniger Kinder sterben. Und das kann man vorantreiben, indem man in Schlüsselbereiche investiert, die nachweislich sowohl die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und auch zu sinkenden Kinderzahlen führen.
Dazu zählen in erster Linie die Gesundheitsversorgung, dann die Bildung vor allem von Mädchen, das Fördern von Frauen, von Geschlechtergerechtigkeit und auch die Schaffung von Arbeitsplätzen. Außerdem spielen natürlich auch Familienplanung und die Bereitstellung von Verhütungsmitteln eine zentrale Rolle, damit Frauen selbstbestimmt entscheiden können, wie viele Kinder sie haben.
Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de