Studie fordert mehr Beschäftigung Deutschlands Wohlstand in Gefahr
Schlechtere Wachstumsaussichten, geringere Produktivitätsfortschritte, alternde Bevölkerung. Eine Studie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Deloitte zeigt Defizite in Deutschlands Wirtschaft auf.
Inmitten der auslaufenden Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges steht die deutsche Wirtschaft am Scheideweg. So lautet das Ergebnis einer Untersuchung der Experten des Beratungsunternehmens Deloitte. Sie fordern klare wirtschaftspolitische Maßnahmen, um den Wohlstand in Deutschland zu erhalten.
Schnellere Digitalisierung, flexibler Arbeitsmarkt
Mehr erwerbstätige Frauen, mehr Digitalisierung und mehr Firmengründungen: Dies sind laut den Studienautoren die Voraussetzungen, um Deutschland auf dem Wachstumspfad der vergangenen Jahrzehnte zu halten. "Wie die Weichen in den nächsten Jahren gestellt werden, entscheidet über den künftigen Wohlstand des Landes und die Lebensqualität nachfolgender Generationen", so Volker Krug, Deutschland-Chef von Deloitte.
Dass das Wohlstandsniveau in Deutschland auf der Kippe stehe, zeige vor allem die nachlassende Dynamik bei der Produktivität in der größten Volkswirtschaft Europas. Das Produktivitätswachstum hierzulande hat sich laut der Untersuchung im vergangenen Jahrzehnt gegenüber dem vorangegangenen Zehnjahres-Zeitraum halbiert.
Vor allem angesichts einer alternden Gesellschaft mit sinkender Erwerbsbevölkerung sei dies besonders schlecht. Gelinge es nicht, den negativen Produktivitätstrend umzukehren, werde der Standort an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, unterstreichen die Deloitte-Experten.
Nachzügler in Sachen Wachstum
Deutschland wird auf europäischer Ebene in Sachen Wachstum tatsächlich immer mehr zum Nachzügler, das zeigen auch die aktuellen Wirtschaftsprognosen, die die Europäische Kommission gestern veröffentlicht hat. Danach traut die Kommission Deutschland im laufenden Jahr nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,6 Prozent zu. Bislang hatte die Prognose bei 3,6 Prozent gelegen.
Für das kommende Jahr wurde die Prognose von 2,6 auf 2,4 Prozent Wachstum reduziert. Damit fällt das Wachstum in Deutschland 2022 auch schwächer aus als im Euro-Raum insgesamt, hier werden 2,7 Prozent Zuwachs erwartet.
Digitalisierung, Flexibilisierung und weniger Bürokratie
Laut den Deloitte-Experten wären mit der "richtigen" Politik in den kommenden Jahren in Deutschland Wachstumsraten von 3,4 Prozent jährlich möglich. Ein entscheidender Hebel dabei sei der Arbeitsmarkt. Die Automatisierung könne den zunehmenden Fachkräftemangel nicht kompensieren. Aber mit flexiblen Arbeitszeiten und umfassender Kinderbetreuung könnten mehr Frauen in Vollzeit arbeiten. Auch eine höhere Erwerbsquote ausländischer und älterer Bürger würde helfen.
Dazu seien aber auch Software-Investitionen und ein rascher Breitbandausbau nötigt, Deutschland müsse die "Digitalisierung entschlossener angehen und deutlich an Umsetzungsgeschwindigkeit gewinnen", heißt es in der Studie. Nicht zuletzt würden mehr Risikokapital-Investitionen und weniger administrativer Aufwand einen echten "Wachstums-Boost" ermöglichen.
Studierende unter der Armutsgrenze
Gerade für die nachwachsende Generation, die das Wachstum in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten antreiben soll, schafft die wirtschaftliche Situation mit stark steigenden Preisen allerdings eine schwierige Ausgangslage: Laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband lebt fast ein Drittel aller Studierenden in Armut. Einer heute in Berlin veröffentlichten Studie zufolge sind 30 Prozent aller Studierenden in Deutschland davon betroffen.
Von den allein lebenden Studenten und Studentinnen leben danach sogar vier von fünf unter der Armutsgrenze. So liegt das mittlere Einkommen armer Studierender bei 802 Euro. Damit liegen sie 463 Euro unterhalb der Armutsschwelle.
BAföG reicht nicht aus
Überproportional von Armut betroffen seien dabei nicht nur zu 80 Prozent der Einpersonenhaushalte, sondern auch zu 45 Prozent Studierende mit BAföG. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, fordert daher eine weitreichende BAföG-Reform.
Gerade angesichts der aktuellen Preissteigerungen drohten weitere harte Belastungen, Verschuldung und Studienabbrüche für viele arme Studierende. Die bisher geplante Anhebung der BAföG-Sätze um fünf Prozent auf künftig 449 Euro gleiche nicht einmal die realen Kaufkraftverluste durch die aktuelle Inflation aus, so der Verband.