Jugendliche gehen eine Straße entlang.
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Studie über junge Menschen Wie viele wollen wirklich die AfD wählen?

Stand: 16.05.2024 05:32 Uhr

Viele Medien hatten berichtet, dass 22 Prozent der jungen Menschen in Deutschland die AfD wählen würden. Allerdings wurden dabei nicht alle berücksichtigt. Der Anteil der AfD-Anhänger ist insgesamt geringer.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Rechtsruck bei junger Generation", "Viele junge Menschen für AfD" oder "22 Prozent der jungen Menschen würden AfD wählen": Das sind Überschriften zu der Studie "Jugend in Deutschland", die Ende April hohe Wellen schlug. Vor allem die Parteipräferenzen der jungen Menschen standen dabei im Fokus. So heißt es unter anderem in einem Artikel der "Welt", "dass 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen AfD wählen würden - eine Verdopplung binnen eines Jahres". Doch diese Aussage ist zumindest irreführend.

Denn in der Studie, die seit 2020 regelmäßig vom Jugendforscher Simon Schnetzer und seinen Kollegen durchgeführt wird, tauchen die 22 Prozent zwar auf - beziehen sich jedoch nur auf diejenigen Befragten, die zum einen wissen, wen sie wählen würden, und zum anderen, die auch wählen gehen würden. Und das macht einen erheblichen Unterschied.

Gut ein Drittel der Befragten hat keine Präferenz

Denn wie aus der Studie hervorgeht, haben 25 Prozent der Befragten - also jeder Vierte - auf die Frage, wen sie wählen würden, mit "Ich weiß es nicht" geantwortet. Weitere zehn Prozent gaben an, nicht wählen zu gehen. Somit gab mehr als ein Drittel der Befragten gar keine Parteipräferenz an. Von 2042 Befragten haben somit etwa 715 keine Partei genannt.

Die 22 Prozent für die AfD und die Angaben zu den anderen Parteien beziehen sich also nur auf diejenigen Befragten, die überhaupt eine Partei nannten. Mit Blick auf alle Befragten liegt der Anteil derjenigen, die die AfD wählen würden, nur noch bei etwa 14,3 Prozent.

Dasselbe gilt natürlich auch für die Angaben zu den anderen Parteien: Auch diese gelten nur für die Gesamtheit der Befragten, die überhaupt wählen gehen würden und zudem wissen, welche Partei. Bei der CDU/CSU wären es entsprechend nur knapp 13 Prozent aller Befragten statt 20 Prozent, bei den Grünen knapp zwölf Prozent statt 18 Prozent.

Dass in der Studie selbst bei der Frage nach der Wahlentscheidung der Anteil der unentschlossenen beziehungsweise Nichtwähler nicht mit einbezogen wurde, ist nicht unüblich - auch bei den sogenannten Sonntagsfragen beispielsweise im ARD-DeutschlandTrend wird das so gehandhabt. Die Formulierung einiger Medien, dass 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen die AfD wählen würden, ist hingegen zumindest irreführend, da dort der Eindruck erweckt wird, dass es sich dabei um alle jungen Menschen handelt.

Kritik an Erhebungsmethode

Es gibt zudem noch weitere Punkte, die die Aussagekraft der Erhebung aus Sicht von Experten einschränkt. So hat der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, gegenüber der Bild-Zeitung die Rekrutierungsmethode kritisiert. Denn die Ergebnisse der Studie basieren auf einem sogenannten Online-Access-Panel. Dabei handelt es sich um eine Datenbasis von potenziellen Teilnehmern von Online-Befragungen.

Bei solchen Befragungen sehen Statistikexperten jedoch eine grundlegende Verzerrung in den Daten als sehr wahrscheinlich an. Das liegt unter anderem daran, dass sich in solchen Panels oftmals eher Menschen befinden, die mitteilungsbedürftig oder neugierig seien und zudem eine gewisse Technikaffinität besäßen. Das hatte unter anderem Katharina Schüller, Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft, bereits vergangenes Jahr bei einer Umfrage der Nichtregierungsorganisation Plan International bemängelt.

Darauf wies auch Güllner hin. "AfD-Anhänger sind im Netz aktiver als Sympathisanten anderer Parteien. Deshalb sind sie auch in sogenannten Online-Panels, wo man sich selbst als Teilnehmer anmelden kann, generell überrepräsentiert", sagte er der "Bild". "Durch diese Verzerrung sind auch die jungen, mit Hilfe eines solchen Panels Befragten überdurchschnittlich häufig Anhänger der AfD."

"Ergebnisse nicht repräsentativ"

Studienautor Schnetzer teilt auf Anfrage mit, dass eine kritische Betrachtung der Zusammensetzung von Online-Panels grundsätzlich geboten ist, "da die Teilnahme, wie bei allen anderen Erhebungsmethoden auch, auf der freiwilligen Teilnahme beruht". Aus Erfahrung sei es schwieriger, Menschen mit geringerem Bildungsgrad und geringer Online-Affinität zu erreichen. "Die These, dass Online-Access-Panels von der AfD unterwandert werden, ist aus meiner Sicht mit großer Vorsicht zu genießen und ein Beweis - sowohl pro als auch kontra - wäre sehr schwer anzutreten."

Nach Angaben Schnetzers werden die Teilnehmenden jedes Jahr über dasselbe Panel rekrutiert. "Neben den festen Quoten für Alter und Geschlecht bitten wir den Panelanbieter, die Befragung so zu steuern, dass wir zusätzlich die soften Quoten für Bildungsgrad der Teilnehmenden, ihrer Eltern und den Migrationshintergrund / Nationalität entsprechend der demografischen Verteilung in Deutschland abbilden können." 

Aus Sicht von Statistikexpertin Schüller ist das jedoch nicht ausreichend. Statistische Schlüsse auf die Grundgesamtheit seien bei den Voraussetzungen nur unter starken Modellannahmen möglich. "Eine Gewichtung nach wenigen soziodemografischen Merkmalen wie Alter und Geschlecht kann dieses Problem nicht ausgleichen", sagt Schüller. Das gelte umso mehr, da offenbar nicht jedes Jahr weitgehend dieselben Teilnehmenden befragt wurden.

"Wenn man nicht weiß, wie sich die Zusammensetzung des Panels verändert hat, kann man auch nichts darüber sagen, ob sich der Grad der Auswahlverzerrung irgendwie verändert haben könnte", sagt Schüller. "Zusammenfassend weiß man nach meiner Einschätzung weder, wie groß die Verzerrung ist, noch, ob sie sich über die Jahre verändert hat. Von Repräsentativität zu sprechen, halte ich hier für mindestens grob fahrlässig."

AfD bei anderen Umfragen schwächer

Vergangene Woche hatte das Meinungsforschungsinstitut Forsa dann eine eigene Umfrage zum Wahlverhalten junger Menschen veröffentlicht. Demnach liegt die AfD bei den Befragten, die wählen gehen würden und sich für eine Partei entschieden haben, nur bei 14 Prozent - die CDU/CSU sowie die Grünen kamen auf jeweils 21 Prozent.

Anders als bei der Jugendstudie wurden 18- bis 29-Jährige befragt, also vier Jahrgänge weniger. Wie jedoch die "Zeit" schreibt, ist der Unterschied in den Ergebnissen daran nicht festzumachen. Denn auf dieselbe Altersspanne errechnet liegt die AfD in der Jugendstudie weiterhin bei 22 Prozent.

Auch der Zeitraum der Umfragen unterscheidet sich etwas: Für die Jugendstudie wurden die jungen Menschen vom 8. Januar bis zum 12. Februar befragt, die Forsa-Umfrage lief von Januar bis April. Im ARD-DeutschlandTrend lag die AfD in allen Altersgruppen am 4. Januar bei 22 Prozent, am 1. Februar bei 19 Prozent und am 4. April bei 18 Prozent, verlor also innerhalb drei Monate vier Prozentpunkte. Der Unterschied zwischen den beiden Umfragen von Forsa und der Jugendstudie liegt mit acht Prozentpunkten wiederum deutlich höher, zudem gibt es zumindest teilweise eine Überschneidung bei den Befragungszeiträumen.

Die Autoren der Jugendstudie schreiben, dass mit einer Fehlerquote von bis zu zehn Prozent zu rechnen ist. Im Fall der AfD würde das eine Bandbreite von 19,8 bis 24,2 Prozent bedeuten. Im Vorjahr lag der Anteil bei der Jugendstudie noch bei zwölf Prozent. Zum Vergleich: Im ARD-DeutschlandTrend lag die AfD im Januar 2023 in der Gesamtbevölkerung bei 15 Prozent, legte also bis Januar dieses Jahres um sieben Prozentpunkte zu, im Vergleich zu Februar um vier Prozentpunkte.

Wahlergebnis variiert je nach Region stark

Ein Blick auf die tatsächliche Wahlentscheidung von jungen Menschen zeigt ohnehin, dass es in den vergangenen Jahren sehr starke Unterschiede je nach Wahl und Region gab. So haben nach Angaben des ARD-DeutschlandTrends beispielsweise bei der Europawahl 2019 nur fünf Prozent der Wahlberechtigten unter 25 Jahren die AfD gewählt, bei der Bundestagswahl 2021 waren es sieben Prozent.

Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt 2021 kam die AfD in der Altersgruppe hingegen auf 17 Prozent, in Bayern 2023 auf 16 Prozent. Bei den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen (beide 2022) kam die AfD wiederum nicht einmal auf fünf Prozent in der Altersgruppe.