AfD und "Identitäre Bewegung" Glaubwürdige Abgrenzung?
Immer wieder betonen die AfD und ihre Jugendorganisation, man distanziere sich eindeutig von Rechtsextremen. Die "Junge Alternative" verabschiedete auch einen entsprechenden Beschluss - allerdings mit zahlreichen Ausnahmen, wie ein internes Dokument zeigt.
Wie halten es die AfD und ihr Nachwuchs mit der "Identitären Bewegung"? Eine Frage, die zuletzt wieder aktuell geworden ist, als der Ex-Schatzmeister der Jungen Alternative Berlin vorübergehend verhaftet wurde - wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung. Jannik Brämer soll bei einer Aktion der rechtsextremen "Identitären Bewegung" am 19. Mai beinahe einen Zivilpolizisten umgefahren haben. Etwa 50 Personen hatten an diesem Tag versucht, das Bundesjustizministerium zu stürmen.
Die Berliner AfD erklärte daraufhin, sie wolle den ehemaligen Schatzmeister ihrer Jugendorganisation ausschließen. Ein entsprechendes Verfahren sei eingeleitet worden. Aus der "Jungen Alternative" sei Brämer bereits ausgeschlossen worden. Eine Anfrage des ARD-faktenfinder zu dem Ausschlussverfahren ließ die AfD-Berlin bislang unbeantwortet.
Verweis auf Unvereinbarkeitsbeschluss
Die Teilnahme an einer Aktion der "Identitären Bewegung Deutschland" widerspreche einen Unvereinbarkeitsbeschluss, "den die Mitglieder der Jungen Alternative im vergangenen Jahr demokratisch beschlossen haben", erklärte der JA-Bundesvorsitzende Markus Frohnmaier in der Sache.
Tatsächlich hatte die JA im Juli 2016 einen entsprechenden Beschluss gefasst. Was Frohnmaier allerdings nicht erwähnt: Der AfD-Nachwuchs hatte zusätzlich Leitlinien formuliert, um das Verhältnis zwischen JA und "Identitären" zu klären. Aus diesen "Leitlinien", die dem ARD-faktenfinder vorliegen, wird deutlich, dass der AfD-Nachwuchs offenkundig selbst davon ausgeht, dass es eine Schnittmenge in Anhängerschaft und auf Funktionärsebene mit den "Identitären" gibt.
Nur den Schein nach außen wahren?
So heißt es beispielsweise, es werde keine gemeinsamen Demonstrationen von JA und "Identitären" geben. Auch sollten JA-Mitglieder nicht als Redner, Referenten, Ordner oder in einer sonstigen exponierten Funktion bei Veranstaltungen der "Identitären" auftreten. Eine Teilnahme an solchen Veranstaltungen scheint hingegen kein Problem zu sein.
Dass sich die vermeintliche Unvereinbarkeit vor allem auf die Funktionärsebene bezieht, wird in den "Leitlinien", die bislang noch nicht bekannt waren, sehr deutlich. In dem Dokument heißt es, der AfD-Nachwuchs dulde "keine Aktivitäten von Funktionsträgern, welche die Junge Alternative in einen Zusammenhang mit vom Verfassungsschutz beobachtete Organisationen" bringe. Mitglieder hingegen würden lediglich sanktioniert, wenn "es sich um besonders schwerwiegende Fälle handelt" - beispielsweise Werbung für neonazistische Gruppierungen.
Schnell löschen
In sozialen Netzwerken sollen die JA-Funktionäre keine Beiträge von "VS-beobachteten Organisationen" teilen oder zustimmend kommentieren. Sollte dies doch passieren, sollten Funktionsträger dies möglichst zurücknehmen - "beispielsweise durch Löschung eines entsprechenden Facebook-Eintrags", heißt es in den Leitlinien weiter. Nur wenn dies nach Aufforderung nicht geschehe, würden Ordnungsmaßnahmen gegen die JA-Funktionäre eingeleitet. Ausgeschlossen hiervon sind hohe Funktionäre aus Bundes- und Landesvorständen, gegen die ohne Vorwarnung vorgegangen werde.
In dem Fall des Ex-Schatzmeisters, der bei einer "Identitären"-Aktion in Berlin einen Zivilpolizisten fast umgefahren haben soll, haben AfD und ihr Nachwuchs offenbar Konsequenzen gezogen. In anderen Fällen bleiben offene Sympathiebekundungen für die "Identitären" aber folgenlos.
So betonte die "Patriotische Plattform" in der AfD im November 2016, man fühle sich "dem verfassungstreuen Patriotismus, wie ihn Pegida oder die Identitäre Bewegung repräsentieren, verbunden". Im Juni 2016 hatten die Rechtsaußen in der AfD stolz vermeldet, an einer Demonstration der "Identitären Bewegung Österreich" hätten auch "zwei Mitglieder des Vorstandes der Patriotischen Plattform" teilgenommen. Zudem betonte die "Patriotische Plattform" ausdrücklich ihre Unterstützung für die "Identitären":
Wir raten der Identitären Bewegung, sich auf dem Gerichtsweg gegen die Beobachtung zu wehren, und unterstützen die Identitäre Bewegung wie bisher so auch weiterhin bei ihrem kreativen und gewaltfreien Kampf gegen das Kartell der Altparteien. Wir wünschen uns eine engere Zusammenarbeiten zwischen Identitärer Bewegung und AfD, denn auch die AfD ist eine identitäre Bewegung und auch die Identitäre Bewegung ist eine Alternative für Deutschland.
Im Januar 2017 erklärte Thorsten Weiß für die Berliner AfD im rbb, dass "es immer wieder Personen gibt aus beiden Gruppierungen, die Veranstaltungen gegenseitig besuchen, oder gemeinsam an Demonstrationen teilnehmen". Das halte er "für eine ganz natürliche Sache". Dabei nannte er auch "diese sehr prominente Aktion von ihnen am Brandenburger Tor". Im vergangenen Sommer hatten rechtsextreme Aktivisten aus Berlin und Brandenburg das Brandenburger Tor besetzt.
Einige Mitglieder der "Identitären Bewegung" stehen im August 2016 neben der Quadriga auf dem Brandenburger Tor.
Auch der vom Verfassungsschutz beobachtete bayerische AfD-Landeschef Petr Bystron behielt jüngst seinen vierten Platz auf der Landesliste für die Bundestagswahl. Ein Antrag mehrerer Parteimitglieder, die Abstimmung wegen der Geheimdienst-Beobachtung zu wiederholen, wurde auf dem Listenparteitag zurückgewiesen. Eine große Mehrheit stimmte dafür, sich mit dem Antrag erst gar nicht zu befassen. Der Verfassungsschutz hatte die Beobachtung Bystrons mit Sympathie-Bekundungen des AfD-Chefs für die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" begründet.
Landtagsabgeordnete ziehen sich zurück
Andere AfDler wollen diesen Kurs allerdings nicht mehr hinnehmen. Erst kürzlich waren drei Landtagsabgeordnete aus der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt ausgetreten. Der Abgeordnete Jens Diederichs begründete seinen Schritt Anfang Juni explizit mit der Nähe zur rechtsextremen "Identitären Bewegung" - trotz eines vom AfD-Bundesvorstand gefassten Unvereinbarkeitsbeschlusses. "Daran scheinen sich einige überhaupt nicht mehr zu halten", sagte Diederichs dem MDR.
Diederichs Fraktionskollege Gottfried Backhaus hatte einige Tage zuvor resigniert aufgegeben: Er erlebe in der AfD in Sachsen-Anhalt "eine Entwicklung hin zu extremen und radikalen Auffassungen und Handlungen", schrieb Backhaus auf Facebook. Gemäßigte und konservative Mitglieder, die sich kritisch zu Vorgängen innerhalb der Partei äußerten, würden durch den Landesvorstand und den Fraktionsvorstand benachteiligt.
"Kernproblem der AfD"
Die aufgeführten Fälle und die Ausnahmen in den "Leitlinien" zeigten, erklärt der Politikwissenschaftler Hajo Funke, dass die ernsthafte Abgrenzung von Rechtsextremen unterschiedlichster Schattierungen das Kernproblem der AfD und ihrer Jugendorganisation sei. Seit der Gründungsphase der AfD sei "keine ernsthafte Abgrenzungspolitik gegenüber rechtsextremen Akteuren betrieben worden, auch wenn diese Abgrenzung auf dem Papier beschlossen war", so Funke.
Im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder sprach der Politikwissenschaftler von einer "Politik des gezielten Wegschauens". Die AfD-Führungskräfte klammerten eine Debatte über die konsequente Ausgrenzung rechtsextremer Aktivisten aus, so Funke weiter. "Denn allein die Diskussion über untragbare rechtsextreme und noch tragbare rechte Positionen wäre innerparteilich nicht mehr kontrollierbar." Dieser "innerparteiliche Sprengsatz" werde deshalb "nicht entschärft".