Fragen und Antworten zu Weltraummüll Gefährliche Geschosse im All
Alte Satelliten, verlorene Werkzeuge, kleinste Metallteilchen - um die Erde kreist eine schier unglaubliche Menge Weltraummüll. 300 Experten beraten bis Donnerstag auf einer ESA-Tagung über das Problem. Aber warum ist der Schrott so gefährlich? Und was kann man dagegen tun?
Von Jan Friese, WDR-Wissenschaftsredaktion
Woher kommt der ganze Müll im Weltall?
Astronauten schicken ihre Abfälle heute in der Regel mit den Versorgungskapseln zurück, sie sind also das kleinere Problem. Aber seit den Anfängen der Raumfahrt, seit dem Wettlauf zum Mond, wächst der Müllberg im All. In rund 55 Jahren Raumfahrtgeschichte hat sich da alles Mögliche angesammelt - von ehemaligen Raketentreibstufen, über jede Menge alter Spionage-, Telekommunikations- und anderer Satelliten, bis hin zu ein paar Werkzeugen, die bei Außenreparaturen verloren wurden.
Das Weltall ist unendlich groß. Warum sind da einige alte Satelliten und Werkzeuge überhaupt ein Problem?
Das Weltall ist zwar unendlich groß - aber nicht die Umlaufbahnen um unsere Erde. Da gibt es nur eine Reihe von Umlaufbahnen, in verschiedenen Höhen, die wir nutzen können. Und wenn auf diesen Bahnen überall Trümmer oder tote Satelliten ihre Kreise ziehen, ist das - grob vereinfacht gesagt - wie auf einer mehrspurigen Autobahn, auf der Reifenteile oder liegengebliebene Fahrzeuge die Strecke zu einem Hindernisparcours machen.
Und es ist eine Menge Schrott und Müll im All. In konkreten Zahlen sprechen die europäische Weltraumorganisation ESA und die amerikanische NASA von weit mehr als 20.000 Objekten, die mindestens so groß wie ein Päckchen Streichhölzer sind. Kleinere Schrottfragmente gehen in die Hunderttausende und bei wirklich winzigen Bruchstücken - also solchen, die kleiner als ein Zentimeter sind - sind es hunderte Millionen. Darunter fällt zum Beispiel Metallstaub.
Das große Problem dabei ist, dass die meisten Teile im Schnitt mit 20.000 bis 25.000 Kilometern pro Stunde unterwegs sind, manche sogar noch schneller. Das ist ungefähr 20 mal schneller als eine Gewehrkugel. Jedes Objekt ist also ein Geschoss - Metallstaub kann Solarpanele beschädigen und schon eine kleine Schraube könnte einen Satelliten irreparabel schädigen oder auch Astronauten gefährden.
Kann man Satelliten und Raumstationen vor der Gefahr schützen?
Nur zum Teil. Für uns auf der Erde ist das eher ein geringes Risiko. Wenn etwas zurück zu Erde stürzt, verglüht es in den allermeisten Fällen in den oberen Luftschichten oder verschwindet irgendwo in den Weiten der Meere, Wälder oder Wüsten. Gefährlicher sind die Trümmer für Satelliten und natürlich für Astronauten. Daher versucht man möglichst viele der Objekte permanent zu verfolgen, um zu sehen, welche von ihnen gefährlich werden könnten.
Das macht man vor allem mit Radaranlagen, Weltraumspähern. So eine Anlage steht zum Beispiel in Wachtberg bei Bonn. Das Problem dabei: Viele Müll- und Trümmerteile sind einfach zu klein, um sie rechtzeitig zu entdecken. Die Internationale Raumstation ISS hat daher in einigen ihrer Module eine doppelwandige Schutzhülle, die Geschosse auffangen soll, die kleiner als ein Zentimeter sind. Bei großen, verfolgbaren Objekten weicht die ISS aus, geht auf eine andere Höhe. Und in Notfällen, wenn relativ plötzlich ein Geschoss entdeckt wird, gehen die Astronauten in die angedockte Sojus-Kapsel, die im schlimmsten Fall dann als Fluchtkapsel, also als Rettungsboot dienen soll.
Worum genau geht es bei der ESA-Konferenz in Darmstadt?
Schutz wird ein Thema sein, es geht aber auch um die Zuwachsraten und die Möglichkeit der Erfassung. Der Weltraummüll wird nämlich immer mehr, unter anderem auch dadurch, dass immer wieder Trümmerstücke zusammenstoßen und dabei neue Trümmerwolken erzeugen. Mit jeder dieser Trümmerwolken steigt das natürlich Risiko für weiterer Kollisionen.
Da befürchten manche Experten einen regelrechten Dominoeffekt und einige auch, dass vielleicht in einigen Jahrzehnten bestimmte Umlaufbahnen gar nicht mehr genutzt werden könnten, einfach weil sie so "zugemüllt" sind. Deshalb wird auf der Konferenz auch darüber debattiert werden, welche internationalen Vereinbarungen nötig sind und welche Techniken und Möglichkeiten es geben könnte, den Weltraumschrott aktiv zu entfernen.
Gibt es konkrete Pläne, wie man Weltraumschrott ungefährlich machen könnte?
Konkrete Pläne gibt es, fertige Systeme nicht. Besonders vielversprechend scheinen derzeit die Konzepte für eine Art Abschleppsatellit. Der würde beispielsweise an ausgedienten Satelliten andocken und sie mit Schubdüsen in eine so genannte Friedhofsbahn schieben oder bugsieren. Das ist eine Flugbahn, in der der Satellit kontrolliert abstürzt und in der Erdatmosphäre verglüht oder über unbewohntem Gebiet niedergeht. Es ist geplant im Jahr 2018 bei der Mission DEOS solche Systeme zu testen.
Löst sich das Problem nicht irgendwann von selbst? Der Weltraumschrott stürzt doch irgendwann zurück zur Erde.
Die gern zitierte Fliegerregel "runter kommen sie alle" gilt im Weltraum nur sehr bedingt. Unterhalb einer Höhe von 500 Kilometern stürzen die Objekte langsam zurück und verglühen meist nach mehreren Monaten oder wenigen Jahren. Die bevorzugten Umlaufbahnen für viele Satelliten sind aber wesentlich höher. Objekte, die dort kreisen, bleiben Jahrhunderte in der Umlaufbahn oder sogar Jahrtausende, wie zum Beispiel Telekommunikationssatelliten in der geostationären Umlaufbahn. Und der Weltraummüll bleibt genauso lange oben.
Ist der Müll nur in der Erdumlaufbahn ein Problem?
Nicht nur, aber dort drängt er. Der Mensch hat längst aber auch auf fremden Planeten seine Spuren hinterlassen. Vor allem auf dem Mond und dem Mars haben wir eine Menge altes Gerät zurückgelassen. Auch der Marsrover "Curiosity" wird irgendwann dazu gehören, wenn er den Geist aufgibt. Dazu kommen die Überreste der Kapseln und der Landetechnik, bei den verschiedenen Missionen. Diese Reste liegen dort zum Teil verstreut, wie Wegwerfverpackungen.
Das hat aber natürlich zwei Seiten: Für die einen sind es menschliche Abfälle auf fremden Planeten, für andere historische Hinterlassenschaften. Die NASA will zum Beispiel, dass die Mondlandefähre von "Apollo 11", die ersten Fußabdrücke im Mondsand von Neil Armstrong, die späteren Mondautos und eine ganze Menge mehr unter internationalen Denkmalschutz gestellt werden, damit sie durch künftige Weltraummissionen nicht zerstört werden.