Tajani

Wahl des EU-Parlamentschefs Gute Chancen für Tajani

Stand: 17.01.2017 10:59 Uhr

Nachdem der liberale Kandidat Verhofstadt seine Kandidatur für das Amt des EU-Parlamentspräsidenten zurückgezogen hat, steigen die Chancen für den Konservativen Tajani. Auch die Liberalen wollen ihn heute wählen.

Die große Koalition ist tot, es lebe die kleine: Noch vor Beginn des ersten Wahlgangs im EU-Parlament haben Christdemokraten und Liberale überraschend ein Bündnis verkündet, um einen gemeinsamen Kandidaten zum neuen Parlamentspräsidenten zu machen. Dieser gemeinsame Kandidat ist der frühere EU-Industriekommissar und Berlusconi-Vertraute Antonio Tajani, den auch CDU und CSU in Straßburg favorisieren und dessen Chancen durch die neue Absprache um einiges gestiegen sind.

Trotzdem reichen die Stimmen beider Fraktionen - EVP und ALDE - noch nicht aus, um die nötige absolute Mehrheit von 376 Sitzen zu erringen. Dazu müssten mindestens noch die konservative ECR-Fraktion und einige Angehörige kleinerer Gruppierungen für den Italiener stimmen, was in Wahlgang zwei und drei durchaus möglich scheint.

Paukenschlag zu Beginn

Das Finale um die Nachfolge des populären Sozialdemokraten Martin Schulz begann mit einem Paukenschlag: Gleich zu Beginn des Wahltags verkündete dieser, dass der Bewerber der Liberalen, der Belgier Guy Verhofstadt, seine Kandidatur zurückgezogen habe. Es sind also nur noch sechs Kandidaten im Rennen.

Guy Verhofstadt

Guy Verhofstadt verzichtet auf Kandidatur zum EU-Parlamentspräsident.

Der Ausstieg Verhofstadts noch vor dem ersten Wahlgang kam einigermaßen überraschend. Wurden dem ehemaligen Ministerpräsidenten und erfahrenen EU-Parlamentarier doch zumindest Außenseiterchancen eingeräumt, sollte er die ersten drei Wahlgänge überstehen und in der Stichwahl gegen einen der beiden Favoriten aus Italien antreten, also gegen den Konservativen Tajani oder den Sozialdemokraten Gianni Pittella. Letzterem droht nun eine Niederlage. Es sei denn, es gelingt ihm, ein vergleichbares Bündnis mit Grünen und Linken zu schmieden.

Antonio Tajani
Antonio Tajani

Antonio Tajani gehört zur Forza Italia des früheren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Tajani, früher als Journalist tätig, hat die Partei mitgegründet.
Bevor Tajani 2010 Vize-EU-Kommissionspräsident mit Zuständigkeit Industrie wurde, war er ab 2008 EU-Kommissar für Verkehr - in der Zeit, als es bereits Hinweise darauf gab, dass Autohersteller bei den Abgaswerten manipuliert haben könnten. Es steht der Vorwurf im Raum, Tajani habe weggeschaut.

Für die Grünen gilt er als "unwählbar". Auch bei Sozialdemokraten, Linken, Liberalen und einzelnen Konservativen weckt Tajani Abwehrreflexe. Vielen gilt er als "Berlusconi-Freund" und politisch insgesamt zu weit rechts. Tajani gilt als Netzwerker. EVP-Fraktionschef Manfred Weber lobte ihn als "überzeugten Europäer".

Gianni Pittella
Gianni Pittella

Der Italiener Gianni Pittella gehört zur Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) mit 189 Abgeordneten. Er sitzt seit 1999 im EU-Parlament, war zwischen 2009 und 2014 einer dessen Vizepräsidenten und 2014 bereits interimsmäßig EU-Parlamentspräsident, bis Martin Schulz in dem Amt bestätigt wurde. Seit 2014 ist Pittella Fraktionschef. Genau das aber ist ein Problem: Die EVP wirft ihm vor, mit seiner Kandidatur gegen die Vereinbarung zu verstoßen, nach der das Amt des EU-Parlamentspräsidenten nach zweieinhalb Jahren - also jetzt - an die EVP gehen soll. Pittella argumentiert dagegen, dass dann alle drei EU-Institutionen von der EVP geführt würden: EU-Kommissionspräsident ist Jean-Claude Juncker, Donald Tusk steht dem Europäischen Rat vor.
Der studierte Mediziner Pittella gilt als versierter Europapolitiker, dem viel an der europäischen Integration gelegen ist. Im EU-Parlament selbst will er für mehr Transparenz und demokratischere Prozesse sorgen. Auch seine Fraktion braucht Verbündete, um Pittella in den ersten Wahlgängen die nötige absolute Mehrheit zu verschaffen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 17. Januar 2017 um 11:00 Uhr.