Pentagon Leaks Ein Blick in den Spionage-Maschinenraum
Die im Internet aufgetauchten Papiere der US-Geheimdienste bringen Washington in Erklärungsnot. Sie zeigen aber auch, wie schlagkräftig US-Spione sind - und dass auch verbündete Nationen weiterhin bespitzelt werden.
Wer die Geheimpapiere ins Internet gestellt hat, die aktuell nicht nur für erheblichen Wirbel in Washington sorgen, ist noch unklar. Während das FBI nun nach der undichten Stelle sucht, ist man bei den amerikanischen Geheimdiensten um Schadensbegrenzung bemüht. "Zutiefst unglücklich", nannte CIA-Chef William Burns das Datenleck. Jetzt gelte es, die richtigen Lehren aus dem Vorfall zu ziehen. Er habe jedoch in seinem Beruf auch gelernt, mit schlaflosen Nächten zu leben.
Über die genauen Hintergründe der "Pentagon Leaks", wie die Veröffentlichung der Geheimpapiere aus dem US-Verteidigungsressort mittlerweile genannt wird, ist bislang wenig bekannt. Aber es scheint, als habe jemand Anfang März, vielleicht sogar schon früher, rund einhundert Dokumente des US-Militärs und der Geheimdienste einfach im Internet veröffentlicht. Und zwar in den Untiefen des Netzes, auf der Plattform Discord, einem Forum für Computerspieler.
Geheimpapiere aus dem Gamerforum
Die Geheimpapiere aus dem Gamerforum liefern einen seltenen Einblick in den Maschinenraum des amerikanischen Spionageapparats. Sie zeigen zwar nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was die Agenten, die Satelliten und die Abhörtechnik von CIA, NSA & Co. tagtäglich liefern, aber schon die wenigen Tagesmeldungen aus dem Frühjahr verdeutlichen: Die US-Geheimdienste haben offenbar beachtliche Zugänge in Russland, China, Iran oder Nordkorea - und sie bespitzeln wohl auch zehn Jahre nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden weiterhin verbündete Nationen.
Es geht um abfotografierte Papiere, darunter mehrere Lagebilder und Analysen zum Kriegsverlauf in der Ukraine. Aber auch das "Daily Intelligence Update" stand plötzlich im Netz, eine tagesaktuelle Zusammenfassung von geheimdienstlichen Erkenntnissen. Nahezu alle Dokumente sind als "geheim" oder sogar "streng geheim" eingestuft, sie enthalten Informationen aus technischen Abhörmaßnahmen und von menschlichen Quellen. Sogar ein bislang unbekanntes Satellitensystem namens "LAPIS" wird erwähnt.
Nicht bekannt ist, ob die Person, die die Unterlagen fotografiert hatte, auch die gleiche Person ist, die sie letztendlich ins Netz stellte. Der Nutzer aus dem Discord-Forum jedenfalls hat seinen Account inzwischen gelöscht. Unklarheit besteht außerdem weiterhin darüber, ob die Geheimpapiere wirklich allesamt echt sind, oder ob einzelne Inhalte womöglich doch verfälscht wurden. Die US-Regierung will sich dazu bislang nicht äußern. Allerdings haben Vertreter des Weißen Hauses und des Pentagon bereits durchblicken lassen, dass es sich wohl grundsätzlich um authentische Unterlagen handelt.
Wagner und der Kreml offenbar umfassend ausspioniert
Und aus denen geht hervor, dass die russischen Streitkräfte, die Söldnertruppe Wagner und der Kreml augenscheinlich umfassend von den Amerikanern ausspioniert werden. In den Papieren wurden russische Militäraktionen, etwa Raketenangriffe auf die Ukraine beschrieben, die noch gar nicht stattgefunden hatten, aber wohl bereits angeordnet waren.
Es werden russische Geheimdienstler zitiert, die davon berichten, dass man mit den Spionen der Vereinigten Arabischen Emirate eine Zusammenarbeit gegen die USA und Großbritannien beschlossen habe. Außerdem heißt es, der ägyptische Machthaber Abdel Fatah El-Sisi plane offenbar, Russland heimlich mit Raketen und Munition zu unterstützen.
Die US-Dienste verfügen laut den Papieren außerdem über Erkenntnisse darüber, dass die Wagner-Söldner versuchen, Waffen in der Türkei zu erwerben und dass der Anführer der Militärjunta in Mali angeboten habe, dabei zu helfen. Und dass die russischen Söldner im Karibik-Staat Haiti aktiv werden wollen - direkt vor Amerikas Haustür.
Doch abgesehen von der umfassenden Aufklärung des Kriegsgeschehens in der Ukraine, des iranischen Atomprogramms oder Nordkoreas Raketenprojekten zeigen die Geheimpapiere auch, dass die USA offenbar weiterhin verbündete Nationen bespitzeln.
Sogar der Mossad wird wohl abgehört
Über Südkorea etwa heißt es in den Papieren, man habe Erkenntnisse darüber, dass die Regierung in Seoul intern uneinig über einen geplanten Waffenexport nach Osteuropa sei. Es gehe um mehr als 300.000 Artilleriegeschosse. Es wird ein Gespräch zweier südkoreanischer Sicherheitsbeamten zitiert, in dem vorgeschlagen worden sein soll, die Munition zunächst an Polen zu liefern, tatsächlich aber seien sie für die Ukraine bestimmt.
In Israel wird wohl sogar der legendäre Auslandsgeheimdienst Mossad von den Amerikanern abgehört. Zumindest heißt es in einem der Papiere, laut CIA gebe es durch technische Aufklärung darüber Erkenntnisse, dass die Mossad-Leitung die Mitarbeitenden zu Protesten gegen die umstrittene Justiz-Reform der Regierung von Benjamin Netanyahu angehalten habe.
Auch ein EU-Staat kommt in den Geheimpapieren vor. So soll Ungarns Regierungschef Viktor Orban im Februar bei einer internen Parteiveranstaltung die USA als einen der drei Hauptfeinde seiner Partei Fidesz bezeichnet haben.
Dass die amerikanischen Dienste trotz - oder gerade wegen der westlichen Unterstützung - ein besonderes Augenmerk auch auf die Ukraine legen, dürfte hingegen kaum überraschen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, so ist in den nun geleakten Papieren zu lesen, habe Ende Februar in Gesprächen mit seinen Militärs vorgeschlagen, militärische Stellungen in Russland, beispielsweise nahe Rostow, anzugreifen. Und zwar mit bewaffneten Drohnen, da die Ukraine bislang nicht über Raketensystemen mit solcher Reichweite verfügt.
In einem anderen Dokument heißt es, es gebe Erkenntnisse darüber, dass der ukrainische Geheimdienst SBU davon ausgehe, dass "seine Agenten in Belarus Befehle missachtet haben" und am 28. Februar ein russisches Militärflugzeug auf einem belarussischen Flugplatz mit Drohnen angegriffen hätten.
Für Amerikas Dienste sind die Veröffentlichungen unangenehm und durchaus schädlich. Immerhin wirkt sich das Bekanntwerden von Quellen und Zugängen oft direkt auf die nachrichtendienstliche Arbeit aus. Zudem wird sich die Biden-Regierung nun darum bemühen müssen, die Spitzeleien gegenüber den Partnernationen zu erklären. Ein Argument könnte sein, dass Vertrauen gerade in Kriegszeiten sehr wertvoll sein kann - der Blick hinter die Kulisse mitunter allerdings auch.