Krieg gegen die Ukraine Russische Armee nimmt Stadt nahe Tschernobyl ein
In der Ukraine wird weiter heftig gekämpft: Russische Soldaten sollen nach Angaben aus Kiew Slawutytsch nahe des AKW Tschernobyl besetzt haben. Zur Rettung von Zivilisten sind für heute zehn Fluchtkorridore vorgesehen.
Russische Truppen sollen nach ukrainischen Angaben die Stadt Slawutytsch nahe des früheren Atomkraftwerk Tschernobyl besetzt haben. Die Soldaten seien in die Stadt eingedrungen und hätten das Krankenhaus besetzt, schrieb der Chef der Militärverwaltung, Oleksandr Pawljuk, auf Telegram. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. In Slawutytsch wohnt das Personal, das früher das AKW Tschernobyl betrieb und jetzt die stillgelegten Anlagen überwacht.
Die Einwohner protestierten den Berichten zufolge gegen die russische Besatzung und entrollten eine große ukrainische Fahne. Russische Soldaten schossen nach diesen Angaben in die Luft, um die Menschen auseinanderzutreiben. Die Sperrzone rund um Tschernobyl ist bereits seit Kriegsbeginn von russischen Truppen besetzt.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Frankreich will bei Evakuierung von Mariupol helfen
Frankreich plant mit der Türkei und Griechenland unterdessen eine humanitäre Aktion, um kurzfristig Menschen aus der schwer umkämpften ostukrainischen Hafenstadt Mariupol herauszubringen. Das kündigte Präsident Emmanuel Macron nach dem EU-Gipfel in Brüssel an.
Bei der Planung für die internationale Rettungsaktion für die Bürger von Mariupol gebe es bereits konkrete Gespräche mit dem Bürgermeister sowie eine Abstimmung mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskyj, sagte Macron. Eine Absprache sei nun auch mit Russland erforderlich, dessen Truppen die Stadt seit Wochen belagern.
Zehn Fluchtkorridore vereinbart
Die stellvertretende Ministerpräsidentin Iryna Vereshchuk gab zudem bekannt, dass für heute eine Einigung über die Einrichtung von zehn Fluchtkorridoren zur Evakuierung von Zivilisten aus den Brennpunkten der Frontlinie in ukrainischen Städten erzielt wurde. Die Korridore liegen im Umland Kiews und im ostukrainischen Gebiet Luhansk.
Im Staatsfernsehen sagte sie, dass Zivilisten, die Mariupol verlassen wollten, dies allerdings in Privatfahrzeugen tun müssten, da die russischen Streitkräfte keine Busse durch ihre Kontrollpunkte rund um die Hafenstadt lassen würden.
Lage "absolut tragisch"
Nach Angaben von Präsident Selenskyi ist die Lage in der Stadt weiterhin "absolut tragisch". In einer Videobotschaft in der Nacht warf er Russland vor, Hilfe für Zivilisten in Mariupol zu blockieren. Bislang sei es gelungen, etwas mehr als 26.000 Zivilisten aus der heftig umkämpften Stadt zu bringen. Vize-Ministerpräsidentin Wereschtschuk sagte im nationalen Fernsehen, dass noch mehr als 100.000 Menschen aus Mariupol gebracht werden müssen.
Selenskyi forderte erneut ernsthafte Gespräche mit Russland: Der Widerstand der ukrainischen Truppen bringe die russische Führung dazu zu reden. Er betonte, die territoriale Unversehrtheit der Ukraine müsse gewahrt bleiben. Alles andere werde das ukrainische Volk nicht akzeptieren.
London: Weiterhin "wahllose Bombardierungen"
Nach Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums zögern die russischen Invasionstruppen mit großen Infanterie-Angriffen auf ukrainische Großstädte. Die Invasoren setzten die Angriffe auf Metropolen wie Charkiw, Tschernihiw und Mariupol zwar fort, teilte das Ministerium auf Twitter unter Berufung auf Erkenntnisse der Geheimdienste mit.
Dabei verlassen sich die russischen Streitkräfte vor allem "auf den wahllosen Einsatz von Luft- und Artellierbombardierungen, um zu versuchen, die Verteidigungskräfte zu demoralisieren", wie das Ministerium weiter mitteilte. Es sei wahrscheinlich, dass Moskau auf diese Weise "seine eigenen bereits beträchtlichen Verluste auf Kosten weiterer ziviler Opfer begrenzen" wolle.
Schweres Ringen um die Stadt Cherson
Nach Angaben eines Vertreters des US-Verteidigungsministeriums kämpfen die ukrainischen Streitkräfte darum, die wichtige Stadt Cherson im Süden von den Russen zurückzuerobern. Das russische Militär habe keine so feste Kontrolle mehr über die Stadt wie zuvor, weswegen Cherson nun wieder als "umkämpftes Gebiet" zu bewerten sei.
Cherson sei eine strategisch bedeutende Hafenstadt, sagte der Beamte. Sie liegt am Beginn des Dnipro-Mündungsdeltas. Falls es den Ukrainern gelingen sollte, die Stadt zurückzuerobern, würde das den russischen Angriff auf die nahe umkämpfte Großstadt Mykolajiw erschweren. Zudem würde es eine mögliche Bodenoffensive in Richtung der Hafenstadt Odessa deutlich erschweren.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Russischer Angriff auf Kiew weiter möglich
Das ukrainische Militär hält einen großangelegten Angriff russischer Truppen auf Kiew immer noch für möglich. Dazu ziehe der Gegner weiterhin starke Kräfte zusammen, sagte Ukraines Heeres-Stabschef Olexander Grusewitsch. Zudem würden nach Erkenntnissen der Aufklärung in der Kaukasus-Republik Dagestan spezielle Einheiten für diesen Einsatz vorbereitet. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Zuletzt war es ukrainischen Truppen gelungen, in der Umgebung von Kiew mehrere Stellungen und Ortschaften zurückzuerobern.
Von Samstagabend bis Sonntagmorgen ist für die Hauptstadt außerdem eine weitere Ausgangssperre angekündigt. Das teilte Bürgermeister Vitali Klitschko mit.
Luftwaffen-Hauptquartier von Raketen getroffen
Im Westen des Landes wurde unterdessen das Hauptquartier der ukrainischen Luftwaffe in Winnyzja mit mehreren russischen Marschflugkörpern beschossen. Ein Teil der sechs Raketen sei im Anflug abgeschossen worden, die übrigen trafen das Gebäude, teilte die Luftwaffenführung auf ihrer Facebook-Seite mit. Dabei sei "erheblicher Schaden" an der Infrastruktur entstanden. Über eventuelle Opfer des Angriffs wurden keine Angaben gemacht.
Raketen zerstören Arsenal mit Rüstungsgütern
Die russischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben bei einem Raketenangriff erneut ein Arsenal mit Waffen und Militärtechnik zerstört. Vier Raketen vom Typ "Kaliber" seien von einem Kriegsschiff im Schwarzen Meer abgefeuert und in dem Depot in der Nähe der Großstadt Schytomyr eingeschlagen. Die wichtige Industriestadt liegt rund ein 120 Kilometer westlich von Kiew.
Nach einer Kiewer Zählung wurden zudem bislang durch den russischen Angriffskrieg fast 60 Kirchen und Gotteshäuser anderer Religionen in der Ukraine zerstört oder beschädigt. Bis Freitag zählte die für Kirchenfragen zuständige Behörde 59 religiöse Stätten, die beschossen wurden. Die weitaus meisten getroffenen Objekte seien orthodoxe Kirchen.
Ebenso seien eine römisch-katholische Kirche und fünf evangelische Kirchen von den Kämpfen betroffen gewesen, zählte der Staatliche Dienst für Nationalitätenpolitik und Gewissensfreiheit in Kiew. Auch je drei islamische Moscheen und jüdische Synagogen wurden beschädigt.