Krieg gegen die Ukraine Verletzte nach Raketenangriff auf Lwiw
Erneut ist am Samstag auch Lwiw in der West-Ukraine von russischen Raketen angegriffen worden. Die Behörden melden fünf Verletzte. Ziel der Attacke sei wichtige Infrastruktur gewesen - die mitten in Wohngebieten liege.
Von Bernd Musch-Borowska, NDR, zzt. Lwiw
Der Luftalarm, gestern am späten Nachmittag, beendete abrupt ein Freiluftkonzert vor der Oper in Lwiw. Lautsprecherdurchsagen, sich in Keller und Luftschutzbunker zu begeben, zerstreuten die Menge auf der zentralen Straße der Freiheit, dem Prospect Swoboda.
Kurz darauf, gab es ganz in der Nähe Einschläge von Raketen, und über der Altstadt von Lwiw standen dicke schwarze Rauchwolken. Nach Angaben der Behörden wurden keine Wohnhäuser getroffen. Ziel des Raketenangriffs soll ein Treibstofflager gewesen sein. Militär-Gouverneur Maxym Koszyzky schrieb über seinen Telegram-Kanal, es habe fünf Verletzte gegeben.
Stundenlang waren Feuerwehr und andere Rettungsfahrzeuge im Einsatz. Auf den Straßen beobachten die Menschen ungläubig, wie nah der Krieg an ihre Stadt herangekommen ist. In dem betroffenen Stadtteil war den Menschen der Schrecken anzusehen. Ina Kapitula, eine Anwohnerin, sagt uns: "Wir waren gerade im Einkaufszentrum, da heulten die Sirenen. Alle gingen schnell raus und als wir im Auto saßen, hörten wir den ersten lauten Knall, als die Rakete einschlug. Dann, so nach 30 Sekunden etwa, kam die zweite Rakete und dann rannten alle in die Luftschutzbunker."
Ziele in Wohngebieten
Beide Ziele des Luftangriffs hätten in Wohngebieten gelegen, sagte Gouverneur Kozytsky bei einer Pressekonferenz am späten Abend: "Es gab zwei Luftschläge gegen Infrastruktureinrichtungen, ein Öldepot im Stadtgebiet und eine militärische Einrichtung, beide in Wohngebieten. Fünf Verletzte mussten behandelt werden, ums Leben gekommen ist niemand."
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Bislang war Lwiw von Angriffen weitgehend verschont geblieben. Einmal gab es eine Explosion am Flughafen der Stadt, deutlich weiter außerhalb des historischen Stadtkerns, der in seiner Gesamtheit zum Unesco-Weltkulturerbe gehört.
Bürgermeister fordert Luftabwehr
Aber alle Städte in der Ukraine seien in Gefahr, so der Bürgermeister von Lwiw, Andryi Sadovyi. Niemand könne sagen, was das nächste Ziel sein werde: "Wir wissen nicht, wo die nächste Rakete hinfliegt. Die beiden heute sind von Sevastopol auf der Krim abgefeuert worden. Heute wurde Lwiw getroffen, aber auch andere Städte. Wir sind alle in der gleichen Situation. Je schneller wir Waffen und Luftabwehrsysteme erhalten, um so sicherer werden unsere Bürgerinnen und Bürger sein."
Die Stadt Lwiw liegt an einer wichtigen Route der Flüchtlinge aus den umkämpften Gebieten im Osten der Ukraine. Von den zwei Millionen Ukrainern, die nach Polen geflohen sind, ist ein großer Teil durch die Stadt gekommen. In Lwiw und der Umgebung selbst, sollen rund 200.000 Binnenflüchtlinge untergekommen sein.
UNHCR besorgt über Angriffe auf Zivilisten
Vor allem für die Kinder sei die Situation besorgniserregend, klagte James Elder, der Sprecher des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR in Lwiw: "Krankenhäuser und Schulen werden angegriffen, in Wohngebieten kommen Familien unter Beschuss, Frauen bringen in Luftschutzbunkern Kinder zur Welt. Das alles ist sehr sehr besorgniserregend."
Auch aus dem Osten der Ukraine wurden weitere Gefechte gemeldet. Die nordukrainische Stadt Slawutytsch soll von russischen Streitkräften besetzt worden sein. Dort wohnt das Personal, das das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl überwacht. Ukrainischen Medienberichten zufolge hatten die Bewohner der Stadt gegen die russischen Besatzer demonstriert und eine riesige ukrainische Fahne entrollt.
Demonstranten in Slawutytsch.
Lage in Mariupol weiter dramatisch
Besonders schlimm ist die Lage weiterhin in der Hafenstadt Mariupol, im Süden des Landes, die von russischen Truppen umzingelt ist. Dort sind offenbar noch immer 100.000 Menschen eingeschlossen. Augenzeugenberichten zufolge ist die Stadt völlig zerstört, es gebe kein Wasser und keine Lebensmittel mehr.
Selenskyj: "Hier geht es um die Freiheit Europas"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief den Westen erneut zur Lieferung von schweren Waffen und Kampfflugzeugen auf. Die Ukraine könne die russischen Raketen nicht mit Schrotflinten und Maschinengewehren abschießen, so Selenskyi in einer Videobotschaft in der Nacht. "Wir brauchen Flugzeuge und Panzer und Raketenabwehrsysteme. Unsere Partner haben das alles und es steht irgendwo herum und verstaubt. Hier geht es nicht nur um die Freiheit der Ukraine - sondern um die Freiheit Europas. Andernfalls sind auch die baltischen Staaten - Polen, die Slowakei - und ganz Osteuropa in Gefahr einer russischen Invasion."