EU-Türkei-Gespräche Mitten im Stimmungstief
Das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara ist angespannt, auch in der EU ist man in Sorge. Heute nun sind türkische Minister in Brüssel, um über eine weitere Kooperation zu beraten. Doch die Rufe nach einer klaren Kante gegen die Türkei werden lauter.
Wenn sich in jüngster Zeit Vertreter der Türkei und der EU trafen, dann krachte es durchaus mal hinter verschlossenen Türen: Der zuständige EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn plauderte vor Journalisten aus, dass es bei seiner letzten Unterredung mit dem türkischen Außenminister so lautstark zuging, dass man sie auch im Nebenraum habe mithören können.
Von Harmonie jedenfalls dürften Begegnungen zwischen Brüssel und Ankara auf absehbare Zeit kaum geprägt sein. "Es wird Auffassungsunterschiede geben und die werden bestehen bleiben, wenn es um gewisse rechtsstaatliche Fragen geht", sagt EU-Kommissar Hahn vor den EU-Türkei-Gesprächen in Brüssel.
Gleichzeitig nennt er ein paar Themenfelder, auf denen ein hochrangiger Dialog durchaus Sinn mache: In Energie-, in Flüchtlingsfragen sowie beim Kampf gegen den Terror. Woran die Türkei selbst ein Interesse haben dürfte, ist eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zur EU. Konkret: Eine Ausweitung der Zollunion, die durchaus im Gespräch ist. Hier wünscht sich der Europa-Abgeordnete Arne Lietz von der SPD eine harte Linie der EU: "Europa muss in den Zollverhandlungen klarmachen, dass die Türkei diese nicht geschenkt bekommt", so Lietz im Interview mit dem ARD-Europastudio Brüssel.
Verschärfte Bedingungen
In der Tat wird von Seiten der EU-Staaten überlegt, ob man nicht das Streichen von Handelshemmnissen, zum Beispiel im Bereich Landwirtschaft, an die Einhaltung von Menschenrechten knüpft. Kommissar Hahn bestätigte, dass hier von EU-Seite über eine Verschärfung der Bedingungen nachgedacht werde.
Es ist nicht die einzige Warnung, die Hahn kurz vor Eintreffen des türkischen Besuchs nach Ankara schickte: Der Streit mit Deutschland schade der türkischen Wirtschaft, stellte der Österreicher nüchtern fest. Weder auf Touristen noch auf Investoren wirke die derzeitige Diskussion besonders einladend.
Noch haben die politischen Verhandlungen über die Zollunion nicht begonnen. Klar ist, dass auch die EU ein Geschäftsinteresse an engeren Handelsbeziehungen hat. Gleichzeitig wissen die Europäer, dass sie jenseits dessen nur noch wenige Einflussmöglichkeiten auf Ankara besitzen. Insofern dürften sie sich diese Karotte von Präsident Recep Tayyip Erdogan auch nicht völlig bedingungslos aus der Hand fressen lassen.
"Erdogan sind die Menschenrechte egal"
"Erdogan sind die Menschenrechte und die EU-Mitgliedschaft mittlerweile egal. Das hat er so auch schon zum Besten gegeben", so der Europa-Abgeordnete Lietz. Niemand in Brüssel leugnet, dass die Türkei derzeit von der EU immer weiter wegdriftet.
Die Europäer haben durchaus ein Interesse daran, Erdogan und dessen Gegner nicht völlig ihrem Schicksal zu überlassen. Auch das ist ein Grund dafür, dass man die EU-Beitritts-Gespräche nicht offiziell für abgebrochen oder beendet erklärt. Und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass dies passiert. Faktisch nämlich befinden sich die Verhandlungen ohnehin bereits im gefrorenen Zustand. Und noch etwas ist klar: Selbst wenn derzeit das größte Mitgliedsland der Europäischen Union, die Bundesrepublik nämlich, seine Beziehungen zur Türkei neu ausrichtet - den Flüchtlingspakt mit der Regierung in Ankara dürfte die EU-Seite deshalb wohl kaum in Frage stellen.