Steinmeier in der Türkei Frostig in Ankara
Außenminister Steinmeier wusste, dass der Besuch in der Türkei - sein erster seit dem Putschversuch - schwierig werden würde. Aber so eisig? Mit seinem türkischen Amtskollegen lieferte er sich einen verbalen Schlagabtausch auf offener Bühne, grimmig blieb auch die Miene von Präsident Erdogan.
Lange schon ist die Türkei für deutsche Diplomaten und Politiker ein schwieriges Pflaster. Für Frank-Walter Steinmeier war sein eintägiger Besuch eine Gratwanderung zwischen deutlicher Kritik und dem Versuch, trotzdem im Dialog zu bleiben. Ist sie gelungen? Schwer zu sagen.
Den Mienen und Gesten nach zu urteilen, sind die deutsch-türkischen Beziehungen auf einem Tiefpunkt. Präsident Recep Tayyip Erdogan empfing den deutschen Minister zwar, setzte beim Händeschütteln aber eine eisige Miene auf. Auch Außenminister Mevlüt Cavusoglu zog nach dem Vier-Augen-Gespräch mit seinem Amtskollegen aus Berlin ein grimmiges Gesicht. Bei Steinmeier hängen die Mundwinkel ebenfalls ungewohnt tief. Er ist nach dem Putschversuch vom Juli nicht in der Türkei gewesen. Seitdem hat sich das Land verändert.
Grimmige Mienen, hängende Mundwinkel: Steinmeier und Erdogan in Ankara
Staatsfeinde und Terroristen überall
Die türkische Regierung wittert seit dem Putschversuch überall Staatsfeinde. Wer Präsident Erdogan kritisiert, läuft Gefahr als "Terrorist" verfolgt zu werden. Fehlende Pressefreiheit, Zehntausende Beamte wurden entlassen. Menschenrechtler und Oppositionelle werfen der türkischen Regierung vor, sie nutze den Putschversuch vom 15. Juli und die Terrorbekämpfung als Vorwand, um Kritiker mundtot zu machen und alte Rechnungen zu begleichen. Außerdem kritisieren sie die Bestrebungen Erdogans, die Todesstrafe einzuführen und über einen EU-Beitritt abstimmen zu lassen. Die Türkei ist derzeit so weit weg von Europa wie nie zuvor.
Genug Gesprächsstoff also für Steinmeier. Doch zunächst musste sich der SPD-Politiker jede Menge Vorwürfe von türkischer Seite anhören. Deutschland sei ein Zufluchtsort für PKK-Terroristen und Anhänger des "geisteskranken" Predigers Fethullah Gülen, wetterte Außenminister Mevcüt Cavusoglu und wiederholte damit Vorwürfe von Erdogan, wonach Deutschland ein "Hafen für Terroristen" sei. Die Türkei macht die Gülen-Bewegung für den gescheiterten Putsch verantwortlich.
Todesstrafe? "Meine Frau will sie auch"
Cavusoglu verteidigte zudem den Vorschlag von Staatschef Erdogan, das Parlament über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen zu lassen, damit die Putschisten hingerichtet werden können. "Das Volk will die Todesstrafe und meine Frau auch", sagte Cavusoglu. Steinmeier hatte wie viele andere EU-Politiker klargestellt, dass die von Erdogan angestrebte Wiedereinführung der Todesstrafe das Ende der Beitrittsverhandlungen bedeuten würde.
Die Türkei habe die Nase voll von der herablassenden Behandlung durch die EU in den Beitrittsverhandlungen, fuhr Cavusoglu fort. Sein Land verlange, als gleichberechtigter Partner anerkannt zu werden und nicht als Partner zweiter Klasse.
Steinmeier zusehends sauer
Der üblicherweise sehr beherrschte Steinmeier wirkte zunehmend verärgert, als die Vorwürfe bei einer gemeinsamen Pressekonferenz auf ihn einprasselten. Steinmeier verbat sich die Attacken und mahnte die Türkei angesichts der Massenverhaftungen nach dem Putschversuch im Juli seinerseits zur Mäßigung. Die Türkei solle dies "nicht als Anmaßung, nicht als Belehrung von oben herab" verstehen, sondern als echte Sorge. "Es ist wichtig, dass wir offen und ehrlich miteinander sprechen." Auch dürfe die lange Tradition der engen deutsch-türkischen Beziehungen nicht aufs Spiel gesetzt werden.
"Wir haben unterschiedliche Positionen ausgetauscht", bilanzierte Steinmeier nach dem "nicht ganz einfachen Gespräch". Zieht man die diplomatische Höflichkeit ab, bedeutet das: Ich habe meine Kritik vorgebracht, bin aber auf taube Ohren gestoßen. Der offene Schlagabtausch vor laufenden Kameras mit seinem türkischen Kollegen Cavusoglu - für diplomatische Verhältnisse war es fast schon ein Eklat.
Treffen mit Erdogan - es bleibt frostig
Allerdings kamen von türkischer Seite auch unterschiedliche Signale. Bei aller Härte in der Sache gab es durchaus Respektsbekundungen für Steinmeier als Person. Zudem wurde er zusätzlich zum angekündigten Programm auch von Staatschef Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim empfangen - was nicht heißt, dass es hier harmonischer zuging als zuvor beim Austausch auf Außenministerebene. Die Gastgeber beklagten sich bitter über negative Türkei-Berichte in deutschen Medien.
Treffen mit Journalisten, Opposition und Intellektuellen
Vor allem aber nutzte der deutsche Gast seinen Besuch, um klare Zeichen der Unterstützung für die türkische Zivilgesellschaft zu setzen. Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihren jüngsten Türkei-Reisen auf die Kontakte zur Regierungsseite und namentlich zu Erdogan konzentrierte, empfing Steinmeier in der Residenz des deutschen Botschafters türkische Journalisten und Intellektuelle, die sich für Menschenrechte, Pressefreiheit und die Rechte der Kurden einsetzen. Später sprach der Außenminister dann auch mit Abgeordneten der prokurdischen Oppositionspartei HDP, deren beide Vorsitzende mittlerweile im Gefängnis sitzen. Es gab auch eine Unterredung mit Politikern der CHP, zu der Steinmeiers SPD traditionell enge Beziehungen unterhält. Sie steht inzwischen ebenfalls im Visier der türkischen Justiz.
Er werde nicht schweigen, wenn in der Türkei "fortgesetzt Grundrechte mit Füßen getreten werden", hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert dazu jüngst im Bundestag gesagt. Steinmeier hingegen blieb beim Besuch in Ankara seiner derzeitigen Rolle als deutscher Chefdiplomat treu. Worte in solcher Klarheit vermied er. Dem SPD-Politiker dürfte das Thema Türkei jedoch erhalten bleiben: Auch als voraussichtlicher Bundespräsident wird er sich wohl noch oft mit der Lage dort auseinandersetzen müssen. Und er versprach ja bereits, auch als obersten deutsches Staatsoberhaupt unbequeme Dinge anzusprechen.
Der Präsident des Bundesamt für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat türkische Vorwürfe entschieden zurückgewiesen, deutsche Behörden gingen nicht energisch genug gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vor. "Aus meiner Perspektive des Bundesverfassungsschutzes kann ich sagen, dass diese Vorwurf völlig ungerechtfertigt ist." Es gebe mit der Türkei dazu in diesem Zusammenhang einen guten Informationsaustausch und Kooperation. "Die Behauptung, dass dies nicht funktionieren würde, muss ich mit Nachdruck zurückweisen", betonte Maaßen.