Beitrittsverfahren Erdogan droht EU mit Referendum
Wenn Europa sich nicht schnell entscheidet, dann eben wir - der türkische Präsident Erdogan bringt eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft ins Spiel. Keine einfache Ausgangsbasis für den Besuch von Außenminister Steinmeier.
Das türkisch-europäische Verhältnis befindet sich in einer Dauerkrise. Der Fortschrittsbericht der EU-Kommission hatte der Türkei jüngst massive Defizite bei Rechtstaatlichkeit und Meinungsfreiheit bescheinigt. Elf Jahre nach Beginn der offiziellen Beitrittsverhandlungen werden in Europa Rufe nach einem Abbruch der Verhandlungen immer lauter.
Und auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan lässt keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass er sich die Türkei auch außerhalb der Europäischen Union vorstellen kann, so wie bei einer Rede vor Landwirtschaftsfunktionären: "Und dann kommt ihr daher und sagt, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei könnten gestoppt werden... Warum so spät? Entscheidet Euch bitte sofort!"
Brexit-Votum als Vorbild
Unter dem Beifall seines Publikums setzt er nach: "Mein Vorschlag als Staatspräsident lautet: Lasst uns bis Jahresende noch abwarten und danach das Volk fragen. Ja, lasst uns das Volk fragen. Großbritannien hat das ja auch gemacht." Offenbar denkt Erdogan an ein ganzes Paket von Volksabstimmungen: über das Präsidialsystem, über die EU-Beitrittsverhandlungen und über die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Bei einer Rede vor Landwirtschaftsfunktionären in Ankara stellte Erdogan seine Pläne für ein mögliches Referendum über die EU-Mitgliedschaft vor.
"Hör zu, Westen!"
Erdogan fährt in seiner Rede fort: "Was sagt der Westen? Todesstrafe, sagt er, das geht gar nicht. Ich wiederum möchte an den Westen appellieren: Hör zu, Westen! Das Schicksal dieses Volkes liegt nicht in Deinen Händen. Das Schicksal dieses Volkes liegt in unseren Händen." Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte kürzlich noch betont, sein Land strebe nach wie vor die Vollmitgliedschaft in der EU an. Allerdings wehrte er sich vehement gegen die Einmischung in die türkische Innenpolitik.
Besonders hart ging Cavusoglu mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ins Gericht, der angesichts der Verhaftungswelle in der Türkei laut über Wirtschaftssanktionen nachdachte: "Wenn Herr Schulz stark genug ist, möchten wir ihm raten, erst einmal die Aktivitäten der PKK innerhalb Europas zu verhindern. Entschuldigung Herr Schulz, aber Ihre drohende Haltung schüchtert uns nicht ein. Und was die von Ihnen angesprochenen Wirtschaftssanktionen betrifft: Tun Sie, was in Ihrer Macht steht!"
Es gibt aber auch besonnene Stimmen aus der Türkei. Serkan Demirtas, Redakteur bei der Zeitung "Hürriyet Daily News" warnte vor einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen: "Ein Stopp des Dialogs oder gar das Einfrieren der Beitrittsverhandlungen würden weder der Europäischen Union noch der Türkei etwas bringen."
Steinmeiers schwieriger Besuch
Demirtas fordert von beiden Seiten, den Dialog wieder zu entschärfen: "Die EU muss das tun und die Türkei auch. Herr Steinmeiers Besuch in Ankara ist in dieser Hinsicht sehr wichtig. Vielleicht wird dieser Besuch eine Wende zu einem konstruktiveren Dialog bringen."
Steinmeier wird auf jeden Fall mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu sprechen. Auch ein Treffen mit Oppositionellen ist geplant. Ob der türkische Staatspräsident Erdogan ihn empfangen wird, dürfte sich erst kurzfristig entscheiden.